Von Ken Hunt
Internationale Ehrung für magische StimmeUNESCO-Preis für Alim QasimovMit dem Internationalen IMC-UNESCO-Musikpreis 1999 werden am 19. November im Krönungssaal des Aachener Rathauses der portugiesische Komponist Emmanuel Nunes und der Sänger Alim Qasimov aus Aserbaidschan ausgezeichnet. Beide erhalten die Picasso-Miro-Medaille der UNESCO, eine Urkunde sowie einen Geldpreis in Höhe von 5000 Mark. Der Musikpreis der UNESCO und des Internationalen Musikrates IMC wurde 1975 ins Leben gerufen und gilt weltweit als eine der bedeutendsten Auszeichnungen auf dem Gebiet der Musik. Geehrt werden Musiker und Institutionen, deren Aktivitäten zur Bereicherung und Entwicklung der Musik beigetragen haben und die dem Frieden, der Verständigung zwischen den Völkern, der internationalen Zusammenarbeit und anderen Zwecken dienen, wie sie in der Charta der Vereinten Nationen und der Verfassung der UNESCO proklamiert sind. Seit 1994 wird der Preis alljährlich in Aachen verliehen. Yehudi Menuhin, Ravi Shankar und Dimitri Shostakovich waren 1975 die ersten, die mit dem Nobelpreis für Musik ausgezeichnet wurden. Weitere Preisträger waren u.a. Leonard Bernstein, Herbert von Karajan, Olivier Messiaen, György Ligeti, Krzysztof Penderecki, Benny Goodman, Daniel Barenboim, Claudio Arrau, Mercedes Sosa, Cesaria Evora und Nusrat Fateh Ali Khan. |
In meinem Leben stellt das musikalische Reisen« eine konkurrenzlose Priorität dar. Eine Einstellung, die manche LeserInnen dieser Zeitschrift sicher teilen werden. Wie den deutschen Komponist Hans Helfritz hat auch mich musikalische Neugier um die Welt getrieben. Wenn auch oft genug nur mit dem Finger auf der Landkarte. Denn wer von uns kann es sich schon leisten, das Tote Meer, Mumbai und Tokio, San Francisco, Lima und Prag, Bochum, Baku und, etwas umgetauft, Timbaku zu besuchen und kennenzulernen? Dabei kommt mir die Frage in den Sinn, warum es weder im Deutschen noch im Englischen ein Hör-Äquivalent von besichtigen gibt, kein Verb wie behören. Da es doch möglich ist, eine Kultur nicht nur als reisender Tourist, sondern teilweise auch durch Musik kennenzulernen. Und je mehr man davon hört, desto mehr nimmt man von einer solchen Hörreise mit. Eine meiner Lieblingsreisen der letzten Jahre ist die Entdeckung einer Kunstmusik aus Aserbaidschan, dem Land im Ostkaukasus auf dem nordwestlichen iranischen Plateau. Der Sänger mit der goldenen Kehle (ein Klischee muß erlaubt sein), der diese Reise vermittelt hat, heißt Alim Qasimov. Für mich ist er so faszinierend wie der Qawwali-Maestro Nusrat Fateh Ali Khan oder der hindustanische klassische Vokalist Amir Khan.
Alim Qasimov ist ein Meister der Mugham-Musik (manchmal auch Mugam buchstabiert). Die mündlich überlieferten Mughams sind komplex aufgebaute Instrumental- und Gesangsstücke, bei denen Melodien und Rhythmen wohl ausgefeilte Bedeutungen haben. Der Mugham weist Ähnlichkeiten mit anderen Musikformen der islamischen und nordindischen Welt auf. Wie der Raga Indiens oder der vergleichbare Dastgah aus Persien hat der Mugham eine melodische Seele. Da im Mugham nur der Bereich der Tonhöhen und einzelne melodische Passagen festgelegt werden, bietet er ein dankbares Feld für ausufernde Improvisationen, sowohl melodisch wie rhythmisch. Die meisten Texte, die sogenannten Tesnifi, gehen auf die Lyrik berühmter Dichter zurück, die in vorislamischer Zeit auch als Nachrichtenüberbringer fungierten, vom 15. Jahrhundert an jedoch hauptsächlich religiöse Mythen priesen. Die Kunst des Mugham ist bei allen Völkern Transkaukasiens, Zentralasiens und des Orients gleichermaßen beliebt und hochgeachtet. Aber, sagt Alim Qasimov, vor allem in Aserbaidschan ist der Mugham tief in der Seele des Volkes verwurzelt. Die Tesnifi werden in einer Art mittelalterlichen und literarischen Aseri (Qasimovs Muttersprache) komponiert. (In diesem Zusammenhang ist das Mugham-Singen vergleichbar mit nordindischer Musik, die immer noch in Brijbhasha oder Braja Bhasha, einer alten Hindi-Mundart, gesungen wird. Der französische Musikwissenschaftler und jahrelange Leiter des Instituts für Vergleichende Musikwissenschaft in Berlin, Alain Daniélou, wies schon 1975 im Booklet für die Auvidis-CD Azerbaijan: Traditional Music des Lautenspielers Bahram Mansurovs darauf hin, daß mughamat [der Plural von mugham] wie Mugham Shur und Nivanishapur dem Raga Bhairavi beziehungsweise dem Kafi entsprechen.)
Alim Hamza oglu Qasimov wurde am 14. August 1957 in Nabur, einem Dorf in der Region Shemakhi, rund 100 Kilometer entfernt von der Hauptstadt Baku an der Küste des Kaspischen Meers als Sohn armer Bauern geboren. Damals gehörte Aserbaidschan zur UdSSR. Wenn Qasimov von jenen Jahren spricht, benutzt er die Wendung zur sowjetischen Zeit so, wie heute Deutsche von der Zeit vor der Wende sprechen. Außer Erdbeben war in Shemakhi nicht besonders viel los. Sein Vater hat etwas gesungen, bei Hochzeiten oder bei Festen. Er hat mir viel beigebracht, erzählt er. Er war zwar kein außergewöhnlicher Sänger, aber er liebte Musik. Auch meine Mutter sang, doch ihre Stärke war eher ein sicheres Gefühl für Rhythmus. Ich denke, daß ich etwas von der Stimme meines Vaters und etwas vom Rhythmusgefühl meiner Mutter im Blut habe.
Nach seiner Zeit bei der Armee übte Alim Qasimov zunächst die unterschiedlichsten Berufe aus. Im Land der Raffinerieanlagen hatte auch er selbstverständlich mit Öl zu tun und verdiente sich u.a. als Fahrer und Monteur seinen Lebensunterhalt. Doch die ganze Zeit war ihm bewußt, daß etwas in seinem Leben fehlte. Es gab überhaupt keinen Bereich, in dem ich irgendeinen Erfolg vorweisen konnte, erinnert sich Qasimov mit einem Lächeln auf den Lippen. Deswegen habe ich mich 1978 dann an der Staatlichen Musikschule angemeldet. Mein Lehrer war dort Agha Khan Abdullaev. Er hat mich in die Geheimnisse und die Kunst des Mugham eingewiesen. Trotzdem war ich unzufrieden mit dem Angebot der Schule. Ich fing an, auf eigene Faust Studien zu betreiben. Ich hörte mir Aufnahmen früherer Künstler an und besuchte Konzerte von Mugham-Interpreten. So vergrößerte Qasimov unaufhörlich sein Repertoire. Neben dem Studium der aserbaidschanischen Kunstmusik widmete er sich dann auch zunehmend der Volksmusik seines Landes. Doch im Mittelpunkt stand immer die Stimmausbildung. Im Unterschied zur hindustanischen Musik gibt es beim Mugham keine bestimmten Gesangsstile, erklärt mir Qasimov, keine Schulen im europäischen Kunstverständnis, kein Gharana-System (gharana bedeutet Haus in der nordindischen klassischen Musikterminologie). Es gibt nur einen Pfad, aber jeder Künstler muß darauf seinen eigenen Weg beschreiten. So entstehen die verschiedenen Varianten eines Mughamstils.
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Die Virtuosität seines Gesangs unterstreicht Alim Qasimov mit nicht weniger virtuosen Fingerbewegungen auf der Rahmentrommel Daf (manchmal auch Daff oder Daph geschrieben). Traditionell wird dieses Instrument mit Ziegenfell bespannt. Doch Qasimovs Trommel ist mit einem amerikanischen Plastikfell bespannt. Ziegenfell verstimmt zu schnell und eignet sich daher nicht für Konzertaufführungen, sagt er. Ganz traditionell hingegen weist seine in Aserbaidschan gefertigte Trommel Glöckchen und Metallringe auf, die innerhalb des Rahmens befestigt sind und zum Klingen gebracht werden können. Begleitet wird Alim Qasimov derzeit von Rauf Islamov an der Spießgeige Kamancha und Malik Mansurov an der Langhalslaute Tar. Ihr Spiel klingt zuweilen wie ein Echo zu Qasimovs Stimme.
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Mehr über Alim Qasimov im Folker! 6/99