»Hört von den sieben Vaganten, die ihr Glück in der Hölle fanden. Behangen mit Fetzen und Schellen, die so laut wie Hunde bellen. Ihr Lachen ist Sturm und Gewitter, feiern und zechen, es kommt der tödliche Schnitter. Verehrt und angespien sind sie bekannt im ganzen Land, von allen IN EXTREMO genannt...« Was so beginnt, endet von einer ausgeklügelten Live-Show begleitet in einer wilden Tanzorgie schweißgebadeter Fans. Die Berliner Mittelalter-Folk-Rock-Band In Extremo hat innerhalb eines Jahres einen kometenhaften Aufstieg erlebt.
Von Claudia Frenzel
IN EXTREMO Verehrt und Angespien (Megalux) Natürlich fängt auch diese CD mit dem bekannten Intro (»Merseburger Zaubersprüche«) an, und natürlich hat man auch von dieser CD nichts anderes erwartet als einen konsequenten Anschluß an die Debutscheibe der Berliner »Weckt die Toten« vom vergangenen Jahr. Finstere Mittelalterklänge paaren sich mit rauher Poesie und harten Gitarren, die aber durchaus schon mal von den drei Dudelsäcken weggefegt werden. In Extremo treten den Kreuzzug durch die Musik an. Wer denkt, hier würde ein stetiges Schrammeln musikalische Defizite übertünchen, liegt daneben. Die Vaganten beherrschen ihr Handwerk, auch wenn es das Ohr der Freunde des herkömmlichen Minnegesangs schrecken wird. Richtig rockige Songs wie »Pavane«, oder »Spielmannsfluch«, die den Metallica-Support beim Dynamo-Open-Air erklären, sind eher was für Liebhaber von Bands wie Subway to Sally oder Skyclad als für Freunde irischer Pubmusik. Bei In Extremo wird klar, warum einige Kriegerstämme einst mit Schalmeien und Dudelsäcken voran gegen den Feind zogen. Aber In Extremo verdeutlichen auch, warum so manches Burgfräulein bei nächtlichem Minnegesang dahinschmolz. Manch Barde hätte vor Jahrhunderten sein schauriges Liedgut wohl ähnlich musikalisch umgesetzt, so er nur gekonnt hätte. Was nützt es, von Schmutz, Gewalt, Blut und Inquisition mit süßem Stimmchen und Laute zu singen. Ein Schmankerl draufgesetzt wurde der Scheibe durch die tatkräftige Unterstützung seitens der Herren Inchtabokatables, die, wie bei dem hymnisch anmutenden schwedischen »Herr Mannelig« oder »Vänne och Fräude« mit Cello und Geige bei Fuß standen. Gassenhauer bei künftigen Konzerten dürfte aber auf jedem Fall »Am Galgen hochgezogen« werden. Ein Stück, daß verdeutlicht, wie viel Power drei Dudelsäcke haben können. Alles in allem ein sehr rundes Scheibchen. Claudia Frenzel |
Zum Ende des Millenniums scheint es, als trauere man viel weniger den letzten hundert Jahren davon nach als wesentlich ferneren. Die Muse des Mittelalters erfreut sich wachsender Beliebtheit. Spielleute haben Hochkonjunktur, der Taler rollt. Bands wie Subway to Sally, Corvus Corax bzw. Tanzwut und auch In Extremo sammeln heere Fanscharen um sich, die ihnen nicht selten, wenn auch nicht mit Pferdewagen, durch die Lande hinterherfahren. Faszination Mittelalter. »Diese Mittelalterwelle war eigentlich schon immer da«, erklären »Yellow Pfeiffer« (Dudelsack) und »Das letzte Einhorn« (Gesang) von In Extremo, »nur sind in den letzten beiden Jahren die Medien auch ziemlich auf diese Musik aufmerksam geworden«. In Extremo aus Berlin gehören mittlerweile, wohl auch Dank der Medien, zu einer der bekanntesten und erfolgreichsten deutschen Mittelalter-Folk-Rock-Bands.
1997 »IN EXTREMO-GOLD« (Eigenvertrieb) 1998 »WECKT DIE TOTEN« (Debutalbum) 1998 »HAMELN« (Live; Akustik; Mittelalterprogramm) 1998 »AI VIS LO LOP« (Maxi) 1998 »DIE VERRÜCKTEN SIND IN DER STADT« (Mittelalterprogramm; Akustik) 1999 »VEREHRT UND ANGESPIEN« (Megalux) |
Die Berliner, die sich 1995 zunächst als Trio zusammengefunden hatten, tingelten vor ihrem Durchbruch, der mit ihrem Debutalbum »Weckt die Toten« 1998 begann, lange Jahre über Mittelaltermärkte, wo sie mit einer Mischung aus Gaukeleien, mittelalterlichem Liedgut und Galgenhumor faszinierten. Vor allem der fette Sound, den zwei Dudelsäcke, Schalmeien und eine Trommel herbeizaubern können, entwickelte sich schnell zum Markenzeichen der Extremos.
1996 entsannen sich In Extremo, die ihren Namen dem Lateinbuch verdanken, alter Freunde aus dem Rockmusikbereich. Die Band »Noah«, in der Extremo-Sänger Micha, »Das letzte Einhorn«, sich lange Zeit als Sänger verdingt hatte, wurde zu gemeinsamen Aufnahmen eingeladen. Es entstanden zwei Songs auf der selbstproduzierten 97er CD »In Extremo-Gold«, die den künftigen Weg der nunmehr sieben Vaganten vorzeichnete. Das Experiment, Mittelaltermusik mit härteren Rockklängen zu koppeln, das so neu nicht mehr war, gefiel sowohl den Musikern als vor allem auch dem Publikum. »Wir spielen aber auch heute noch nach wie vor auf Mittelalterfesten ein reines Akustikprogramm«, bekräftigt »Das letzte Einhorn«. Allerdings sind In Extremo mit ihrem Crossoverprojekt mittlerweile wohl wesentlich erfolgreicher. Die Bilanz des letzten Jahres kann sich sehen lassen: Eine fast immer ausverkaufte Clubtour im Herbst '98, Wahl zu den Spielleuten des Jahres '98 (SWR TV), Einstieg in die Alternativ Charts, europaweite Veröffentlichung der Debutscheibe vor einem halben Jahr und unerwartet hohe Verkaufszahlen. Auch im Rock- und Metalbereich müssen sich In Extremo nicht verstecken. Wegbereiter hierfür dürften nicht zuletzt Bands wie Subway to Sally gewesen sein, die so manches Metalmagazine und damit auch manchen Metalfan für Folkmusik, wenn auch nicht im traditionellen Sinne, geöffnet haben.
Von einer allgemeinen Subway-Faszination, die die deutschen Konzertsäle ergriffen hat, wollen In Extremo nicht profitiert haben. »Subway machen ja überhaupt keine mittelalterliche Musik«, so Sänger Micha. »Gut, sie haben mittelalterliche Texte, aber die Musik hat damit gar nichts zu tun. Sie spielen ja nicht, wie wir, orginalgetreue mittelalterliche Instrumente.« Trotzdem gehen Sally's Jünger genauso zu In-Extremo-Konzerten, wie umgekehrt. Mittlerweile spielen beide Bands auch Gigs zusammen. Auch zu den Berliner Kollegen von den Inchtabokatables gibt es rege »berufliche« Beziehungen. So wurden einige Songs auf der im August erschienenen neuen In-Extremo-CD »Verehrt und Angespien« mit den »Streichern« der Inchtabokatables eingespielt.
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