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Grenzüberschreitungen im barocken Opernhaus

Vorbei ist die Zeit, als Bayreuth allein wegen der Wagner-Festspiele im Blickpunkt des musikalischen Geschehens stand. Seit den alljährlichen Konzerten der „Grenzüberschreitungen“ wird in der Hochburg Opernhausdeutschen Kulturguts Tonkunst aus Nah- und Fernost ebenso zur Selbstverständlichkeit wie afrikanische Musik, südamerikanische Lieder und Jazz. Heute reisen Menschen weltweit aus ihren Heimatländern an, um an diesen Bayreuther Aufführungen teilzunehmen. Das Besondere der Veranstaltung ist, daß hier angesehene Künstler der sogenannten Weltmusik- und Jazzszene in einmaliger multikultureller Besetzung zusammenkommen, um gemeinsam Kompositionen der verschiedensten Musiktraditionen zu präsentieren.

Nicht selten zu hören sind dabei beispielsweise afrikanische Gesänge zu Rhythmen asiatischer Herkunft in Begleitung traditioneller europäischer Instrumente.

Highlight ist auch in dieser ersten Novemberwoche wieder das Abschlußkonzert der „Grenzüberschreitungen“ im Markgräflichen Opernhaus. Wie, weiß Antje Hollunder zu berichten.

Von Antje Hollunder

Als 1992 zum ersten Mal unter dem Namen „Grenzüberschreitungen“ in der blau-gold gehaltenen Kulisse des barocken Markgräflichen Opernhauses westafrikanische Künstler aus Nigeria beim traditionellen Yoruba-Maskentanz Salti schlugen, erlitt das Publikum in Bayreuth keineswegs einen Kulturschock. Bereits Anfang der achtziger Jahre hatte es hier schon Konzerte mit renommierten Musikern aus Nigeria und Südindien gegeben – im gleichen Haus, in dem auch Richard Wagner zunächst seine Werke aufführte, bevor er sein eigenes Festspielhaus baute! Als Initiator für die unkonventionellen Veranstaltungen zeichnete jeweils Dr. Ulli Beier verantwortlich, Mitbegründer und damaliger Leiter des „Iwalewa“-Hauses in Bayreuth, dem universitären Kulturzentrum zur Förderung zeitgenössischer außereuropäischer Kunst.

„Warum“, so Ulli Beiers berechtigte Frage damals, „sollte das Opernhaus ausschließlich den Künsten der westlichen Welt vorbehalten sein?“ Ihm würdig seien genauso gut Kulturvertreter anderer Länder, die mitunter sogar eine viel ältere klassische Musiktradition vorweisen könnten. Mit seiner erfolgreichen Argumentation legte Dr. Ulli Beier damit in der oberfränkischen Kleinstadt den Grundstein für eine neue Ära, frei nach seinem Motto: „Hier wird gezeigt, daß kulturelle Grenzen nur in unseren Vorurteilen existieren.“

1991 ging es dann einen weiteren Schritt in Richtung der heutigen „Grenzüberschreitungen“. Diesmal betraf es stärker innermusikalische Aspekte. Beim „East West Music Festival“ präsentierte Ulli Beier verschiedene Künstler, die nicht nur auf eine klassische Musiktradition spezialisiert waren, sondern so weitumfassend gebildet und weltoffen, daß die MusikerInnen sie auch mit einer anderen Kultur zu koppeln wußten. Besonders umjubelt wurde dabei das Duo „Karnatic Bach“ mit dem Inder Anup Kumar Biswas am Cello und Ulli Beiers Sohn, dem Australier Tunji Beier an der südindischen Doppeltrommel Mridangam. Zusammen ließen die beiden unter anderem die „Cello Suite Nr. 1“ von Johann Sebastian Bach erklingen, verknüpft mit klassischen südindischen Rhythmen aus der Region Karnataka. Der Erfolg dieses ungewöhnlichen Crossovers brachte die Entscheidung, einmalige Projekte dieser Art im Opernhaus häufiger stattfinden zu lassen. Im nächsten Jahr lud Ulli Beier zu den ersten sogenannten „Grenzüberschreitungen“ ein.

Inzwischen ist Ulli Beier offiziell in Ruhestand und lebt in Australien. Organisiert wird die von ihm initiierte Konzertreihe jetzt von einem Verein, den der Kulturpreisträger der Stadt Bayreuth selbst noch vor seiner Abreise ins Leben gerufen hat. Genau so viele Personen, wie ein derartiges Unternehmen braucht, stehen hinter „Grenzüberschreitungen. Verein zur Förderung multikultureller Musik e.V.“ Aber die Hauptsache ist auch einzig, daß die Konzerte laufen.

Künstlerischer Leiter der Veranstaltungen ist dabei Tunji Beier, der seinem Vater auch schon zuvor beratend und unterstützend zur Seite gestanden hat und sich daher bestens in der Sache auskennt. Tunji Beier sorgt dafür, daß das Konzept der „Grenzüberschreitungen“ aufgeht. Und das sieht so aus: Anfang der Woche reisen die von ihm „auserwählten“ Musiker der verschiedenen kulturellen Hintergründe an. Prinzipiell haben bereits einige von ihnen miteinander musiziert, während sie hingegen von anderen Künstlern der anwesenden Schar noch nie etwas gehört haben. Vor allem ihnen gilt es sich jetzt unbedingt zu nähern, kulturell und musikalisch, denn am Ende steht das gemeinsame Konzert aller im Markgräflichen Opernhaus. Und dessen Programm beinhaltet keinesfalls eine Jam-Session, sondern fordert adäquat einstudierte Kompositionen, gemäß der anspruchsvollen Spielstätte. Freitags können die Künstler der „Grenzüberschreitungen“ die Ergebnisse ihrer bis dato viertägigen Zusammenarbeit dann das erste Mal vor Publikum erproben. An diesem Vorabend des Opernhauskonzertes findet in etwas lockererem Ambiente nämlich das Festival der „Grenzüberschreitungen“ im „Zentrum für internationale Jugendkultur“ statt. Hier sind die Musiker zunächst in kleinen Formationen mit der Musik zu erleben, mit der sie üblicherweise auftreten. Zum Schluß aber spielen sie erstmalig einige Stücke gemeinsam.

„Es ist das erste Festival, das ich gesehen habe, das so verschiedenen Talenten eine Chance bietet, mit der Arbeit, den Ideen und Stilen der anderen vor der Aufführung bekannt zu werden. Was herausgekommen ist, war oft eine reiche Mischung an Stilen, ein vielfarbiger Klangteppich in neuer Umgebung.“ So äußerte sich der amerikanische Pianist Burton Greene von der Gruppe „Klezmokum“ nach seiner Teilnahme an den „Grenzüberschreitungen“ 1995. Der norwegische Perkussionist Terje Isungset formuliert ein Jahr später: „Ich habe das Festival SEHR genossen. Für mich war es der Höhepunkt meiner Arbeit 1996. ... Die Tatsache, daß wir alle im gleichen Haus geprobt haben und daß wir all diese (wundervollen) Mahlzeiten ZUSAMMEN eingenommen haben. Es ist schön, neue Musiker zu treffen und verschiedene Musiker, die verschiedene Welten spielen. Meine menschliche und musikalische Perspektive ist seitdem ein bißchen besser (größer) geworden.“


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