backFerner liefen...

oder vielmehr, "ferner sind allhier zu finden / Vier, die allerschönsten Frauen, / Daß, gereizt sie anzuschauen, / Huris fürchten zu erblinden..." – FOLKER!s Beitrag zum endenden Goethe-Jubiläumsjahr. Abia, Herrin von Mizraim ("Ihr muß Gabriel sich neigen"), Suleika, Miriam, Aischa und Fatima heißen die paradiesischen Damen mit Ehrenplatz auf dem West-östlichen Divan: "Diese finden wir alldorten", wie es in der zweiten Fassung des Poems heißt, nebst Goethen an ihrer Seite, denn "wer Frauenlob gepriesen / Der verdient, an ewgen Orten / Lustzuwandeln wohl mit diesen."

Der Weimarer Hauptdichter und Universalcasanova, Kenner des Orients und seiner Mythen, Toleranz und Humanität nicht bloß dichterisch einfordernd, sondern als Weltbürger-Multikulti vorlebend, verkörperte so etwas wie unsere bessere Hälfte, das einsame Gegenbild der in unserem Jahrhundert hochgekochten ebenfalls-deutschen Barbarei.

Schon im 19. Jhd. stand er eher auf der anderen Seite: Militaristen und Steißklopfer des Wilhelminismus, der antisemitische Professorenklan oder die 'Germanistik' mit ihrer mittelhochdeutschen Hieroglyphenzählerei wollten nichts von ihm lernen. Der Preußenkaiser selbst mißbilligte die Behandlung der Iphigenie im Unterricht, schließlich hätten die Gymnasien teutonisches Jungvolk, keine Griechen und Römer zu erziehen.

Doch ein Symposium zum Thema "Außerdem waren sie ja auch Menschen..." Goethes Begegnung mit Juden und Judentum (4.-5. September, Frankfurt, Museum Judengasse), wollte es anders und stürzte Goethe vom Himmel durch die Welt zur Hölle: als Finsterling und Reformbremse, Fremdenfeind und Holocaust-Vordenker. Eine anonyme Textsammlung wurde vorab verteilt, mit einschlägigen Stellen, viel Luft und "Raum für Notizen". Dabei hätte doch wenigstens Goethes Verkehr mit Marianne Meyer, Moritz Oppenheim, Rahel Varnhagen, dem jungen Mendelssohn-Bartholdy (nur im Bild zu sehen) erwähnt werden müssen. Mit ähnlich subtil komponierten Blütenlesen hat man in der Terroristen-Ära bundesdeutsche Schriftsteller als geistige Brandstifter enttarnt.

Beim Nachlesen stellt sich die Fadenscheinigkeit der aus dem Kontext geklaubten Zitate heraus. Immer wieder gegen Goethe angeführt wird ein Satz aus dem Roman Wilhelm Meisters Wanderjahre – "...dulden wir keinen Juden unter uns" – dort einer erzfrommen US-Auswanderersekte in den Mund gelegt. Mit gleichem Recht könnte man Felix Krull zitieren und Thomas Mann einen Hochstapler schelten. Anderes stammt noch weniger "von Goethe", dafür von Eckermann, Bettine von Arnim oder Kanzler von Müller, der seine Unterhaltungen zwölf Jahre später ausfabulierte: in seinem gleichzeitigen Tagebuch steht nichts von Goethes Ablehnung deutsch-jüdischer Mischehen. Ein dritter Text, die sog. "Judenpredigt" in falsch-jiddelnden Mischdialekt sollte ironischerweise Goethes angeblichen Antisemitismus relativieren helfen. Von ihm existiert keine Handschrift, nur eine dubiose Abschrift ohne Autorangabe, weshalb ihn die Weimarer Ausgabe "verdächtig" nennt – im Heftchen fehlt dieser Hinweis.

Nichts Schlimmeres hätte dem Autor von Dichtung und Wahrheit einfallen können, als sein kindliches "Vorurteil" gegen Juden einzugestehen, dessen Herkunft aus Frömmelei, Fremdenangst und Obrigkeitshörigkeit und Möglichkeiten zur Überwindung aufzuzeigen. Da hatten sie ihn beim Wickel! Es half nichts, daß der Patriziersohn nachweislich trotz Vorurteils beim Brand der Judengasse löschen half. Dabei hätte sich die Mehrheit der Deutschen in der Pogromnacht wohl besser Goethe zum Vorbild genommen.

Eine Diskussion war gar nicht erst vorgesehen beim "Abendvortrag" des Berkeley-Profs W. Daniel Wilson, der kürzlich nachwies, was längst bekannt war – daß es in Weimar vor Illuminaten nur so wimmelte. Er verzeiht dem Kleinstaat nicht, daß er im 18. Jhd. lag, schrieb Peter Hacks über sein Buch vom Goethe-Tabu. Mangels kritischer Rückfragen verbreitete sich in Frankfurt das Klima eines Schauprozesses. Genüßlich reihte Wilson Perle an Perle, ohne die Fassungen mitzuliefern, und mischte manches Imitat darunter. Tenor: "die Authentizität des Zitats von vorhin ist umstritten" – aber für die genehmen Schlußfolgerungen ist es noch allemal gut. Andere Referenten klopften ihm einhellig die Schulter, selbst noch, nachdem Jurist Hans-Peter Benöhr das engagiert-vorurteilslose Eintreten des Advokaten Goethe für jüdische Klienten geschildert hatte.

Den Höhepunkt lieferte Privatdozent Will Jasper aus Potsdam, der eine Mischung aus Marxistischer Abendschule geteilt durch Juso-Stammtisch hoch Goldhagen bot. Von "Griff nach der Weltmacht" über die "Mandarine" bis zum "Verrat der Intellektuellen" und zur "Banalität des Bösen" fehlte kein Schlagwort, das nicht gegen Goethe und seine verblendeten Anhänger gekeult wurde. Daß die abgefeimt-chauvinistischen Goethe-Gesellschaften dereinst von Metternich verboten worden waren, daß es der jüdische Germanist Ludwig Geiger war, der sie später ins Leben rief – kein Wort darüber.

Dann die Schlußrunde: So stelle ich mir die Gleichschaltung einer literarischen Gesellschaft vor. Das Publikum, vorwiegend christlich-jüdische Gesellschaft oder beflissen-selbstgeißelnde Goetheaner, reagierte verstört. "Dürfen wir denn jetzt noch unser Gingkobäumchen begießen?" erkundigte sich zaghaft die Abgesandte eines süddeutschen Goethevereins. Keiner der anwesenden Wissenschaftler wollte Wilsons Aberwitz auch nur relativieren. Fazit: Nicht Goethe wurde auf dieser Tagung beleidigt, sondern, soweit satisfaktionsfähig, die Intelligenz der Teilnehmer.

Nur Jürgen Stenzel (der die "Judenpredigt" für Goethe reklamiert hatte) trat vorsichtig den taktischen Rückzug an und gestand, auch er hätte sich in Weimar, vertraut mit den Komplikationen des jüdischen Erbrechts und ohne Möglichkeit einer Zivilstandsehe, mutmaßlich gegen interreligiöse "Mischehen" ausgesprochen. Wilson antwortete nur einmal auf Kritik: daß Goethe die Überwindung seines "Vorurteils" darstellt, meinte er, sei nur geschehen, weil er sich – die künftige Emanzipation prophetisch erahnend – ein judenfreundliches Mäntelchen umhängen wollte.

Gibt's auch was Angenehmeres vom Goethejahr zu melden? Ann Willison Lemke (Bloomfield Hills, USA) hat ein wunderschönes Liederheft herausgegeben: Von Goethe inspiriert, erhältlich im Buch- und Musikalienhandel oder beim Furore Verlag, Kassel (Fax 0561/83472). Die von Lemke entdeckten Vertonungen von zwölf teils unbekannten Komponistinnen sendete kürzlich der Deutschlandfunk; sie erscheinen demnächst mit Erläuterungen der Autorin auf CD. "Sie haben mir eine Ehre erzeigt", bedankte sich Fanny Hensel, Mendelssohns Schwester, bei Goethe für die ihr geschenkten Verse. "Mit ihrer Musik ehren sie den Dichter", kommentiert Lemke, "zugleich dient der Text als Inspirationsquelle für ihre eigene Kreativität."

Goethe als Anreger schreibender und komponierender, auch jüdischer Frauen: "An solche Vorzüge zu erinnern ist nützlich und erforderlich", meinte Ludwig Geiger 1885, "zu einer Zeit, in der von Ultramontanen, protestantischen Heißspornen, von angeblichen Sittlichkeitswächtern diesseits und jenseits des Ozeans Goethes Charakter und Leben verdächtigt [...] werden."

Nikolaus Gatter


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Die Kolumne im Folker! 6/99