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Das neue GEMA-Hochrechnungsverfahren PRO

Musiker sind in der Regel keine Buchhalter. Doch wenn sich bestimmte Einnahmen plötzlich auf ein Siebtel des Gewohnten reduzieren, merkt das jeder und die Empörung ist groß. Schuld an der Aufregung ist die GEMA, die für Live-Konzerte im U-Musikbereich ein neues Abrechnungsverfahren eingeführt hat.

Die Hintergründe des Streites erläutert Christian Rath.

Eigentlich ist die GEMA für Musiker eine segensreiche Einrichtung. Als Verwertungsgesellschaft sorgt sie dafür, daß die »Urheber« von Musiktiteln Geld erhalten, wenn diese im Radio oder live gespielt werden. Jahr für Jahr nimmt die in München ansässige GEMA 1,5 Milliarden Mark ein, die mit einem Abzug von rund 14 Prozent für Verwaltungskosten und weiteren 10 Prozent für die GEMA-Sozialkasse vollständig an Komponisten, Textdichter und Verleger ausgezahlt werden. Gewinne darf die GEMA keine erzielen.

Heftiger Streit ist nun aber um den Topf von jährlich knapp 60 Millionen Mark entbrannt, die für Live-Darbietungen im U-Musik-Bereich eingenommen und verteilt werden. Die GEMA achtet scharf darauf, daß für jede Live-Darbietung GEMA-Gebühren bezahlt werden. Die Höhe richtet sich nach Eintrittspreis und Größe des Raumes. Erfaßt werden auch Darbietungen in Jugendhäusern, an der Hotelbar oder bei einer Vereinsfeier. Allerdings weiß die GEMA häufig nicht, welche Stücke bei diesen Live-Aufführungen tatsächlich gespielt wurden. Die Veranstalter sind zwar verpflichtet, eine Liste der Musikfolge einzureichen. Tatsächlich kommt dieser Pflicht aber nur jeder siebte Veranstalter nach. Was bei den anderen 85 Prozent der Veranstaltungen gespielt wird, muß hochgerechnet werden. Und über die Technik der Hochrechnung wird nun schon seit über einem Jahr gestritten.

Bis 1998 war die Hochrechnung nämlich ganz einfach. Man ging davon aus, daß die eingereichten Listen eine repräsentative Stichprobe darstellen und multiplizierte deren Ergebnis einfach mit sieben. War die Aufführung eines Musikstücks bei einer Veranstaltung belegt, ging die GEMA davon aus, daß es auch noch bei sechs weiteren Veranstaltungen gespielt wurde, und dort lediglich keine Listen eingereicht wurden.

Im Mai 1998 haben nun aber GEMA-Vorstand und -Aufsichtsrat ein neues Hochrechnungsverfahren namens »PRO« eingeführt, das insbesondere für Musiker aus der Folk-, Jazz- und Kleinkunst-Szene erhebliche Verschlechterungen mit sich bringt. Das von dem Wuppertaler Statistikprofessor Gerhard Arminger entwickelte Verfahren unterstellt nämlich, daß bei der bisherigen Art der Hochrechnung (alles wird mit sieben multipliziert) eine »Verzerrung« zu Lasten des sogenannten »Standardrepertoires«, also den Evergreens und aktuellen Hits, eingetreten ist.

Um sein Modell plausibel zu machen, unterscheidet Arminger beispielhaft zwei Komponisten A und B. Dabei hat A Werke komponiert, die ständig und in ganz Deutschland auch von anderen Gruppen gespielt werden, während Liedermacher B der einzige Interpret seiner Stücke ist. Weil B aber selbst für die vollständige GEMA-Meldung seiner Veranstaltungen sorge, habe er, so Arminger, am Ende das Siebenfache dessen bekommen, was ihm eigentlich zugestanden wäre. Hitschreiber A dagegen könne sich um die Vielzahl der Show-Bands und Entertainer, die seine Musik nachspielen, wirklich nicht kümmern. A sei nach dem alten System deshalb auf Kosten von B benachteiligt worden.

Armingers neues Abrechnungsverfahren PRO stellt nun bei der Hochrechnung diejenigen Musikstücke besser, die im ganzen Jahr und an verschiedenen Orten auf GEMA-Listen auftauchen. Während früher die häufigsten zwanzig Prozent der Stücke 90 Prozent des Geldes ausbezahlt bekamen, sind es künftig 96,6 Prozent. Umgekehrt werden für die anderen 80 Prozent der Stücke statt 10 Prozent des Geldes nur noch 3,4 Prozent ausgeschüttet. Gerade bei Musikern, deren Repertoire sonst niemand spielt (oder dies zumindest nicht der GEMA meldet), sinken die GEMA-Einnahmen aus diesem Topf auf bis zu 15 Prozent des bisherigen Werts. Das GEMA-Zubrot, das ein Live-Musiker zusätzlich zu seinen Honoraren erhält, wurde also stark eingedampft. Der Kinderliedsänger Helmut Meier glaubt, daß die Reform für bisher schon schlecht verdienende Urheber »existenzvernichtende« Auswirkungen haben kann. Bei der GEMA ist man sich dagegen keiner Schuld bewußt. »Eine richtige Abrechnung kann nicht unsozial sein«, betont GEMA-Vorstand Professor Reinhold Kreile.

Ob das neue Verfahren die Wirklichkeit tatsächlich besser abbildet als das bisherige, ist allerdings umstritten. Der Gitarrist Ulli Bögershausen glaubt jedenfalls, daß auch seine Stücke sehr häufig nachgespielt werden, ohne daß sie gemeldet werden. »Ich habe vier Gitarrenbücher verfaßt und auf Konzerten begegnen mir immer wieder junge Leute, die sagen, sie haben Stücke von mir auf Schul- oder Hochschulkonzerten gespielt, dies aber nicht der GEMA gemeldet.« Bögershausen ist daher einer der Hauptkritiker des neuen GEMA-Verfahrens.

Bei vielen der nicht belegten Konzerte dürfte auch Material gespielt werden, das überhaupt nicht von professionellen Komponisten stammt, Material also aus dem musikalischen Amateur-Bereich, der mit der Musikwirtschaft (noch) nichts zu tun haben will. Schulbands und Feierabend-Hiphopper, die überwiegend eigenes Material zum Besten geben, müßten für den GEMA-Beitritt mehr bezahlen, als sie an Ausschüttung erhalten würden. Deren Stück vom Kuchen wird also auf die Gema-Mitglieder verteilt, früher gleichmäßig, heute schwerpunktmäßig auf die Komponisten von »Standardrepertoire«. Warum das gerecht sein soll, kann auch die GEMA nicht erklären.

Wie relevant die beiden eben angeführten Kritikpunkte am neuen PRO-Verfahren sind, könnte man nur verbindlich beurteilen, wenn man wüßte, was bei den 85 Prozent der Konzerte und Live-Darbietungen gespielt wird, für die keine Meldebögen existieren. Musiker haben daher vorgeschlagen, die Abgabequote zu erhöhen, indem kooperativen Veranstaltern ein Rabatt bei den GEMA-Gebühren eingeräumt wird. Davon will die GEMA jedoch nichts wissen. »Die Veranstalter sind dazu verpflichtet, die Musikfolge zu melden. Es gibt keinen Grund, hierfür einen Rabatt zu geben«, betont GEMA-Pressesprecher Hans-Herwig Geyer. Eine andere Alternative wäre, in einer repräsentativen Stadt einmal alle GEMA-pflichtigen Veranstalter nach der Art des bei ihnen gespielten Repertoires zu fragen. Doch auch eine derartige Untersuchung ist der GEMA zu teuer.


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