backDer »Pied Piper« der Folkszene

Jack Hardy und Fast Folk

Von Andrew C. Revkin

Jack Hardy macht es sich in einem Ledersessel im engen Wohnzimmer seines Greenwich Village-Appartements bequem. Aufmerksam lauscht er dem halben Dutzend Liederleuten, die ihre neuen Songs vortragen. Einigen ist anzuhören, daß sie noch nicht ausgearbeitet sind. Andere Lieder klingen schon ziemlich ausgefeilt. Alle sind jedoch nicht älter als eine Woche. Das ist nämlich die Grundregel bei den seit nunmehr 16 Jahren von Jack Hardy veranstalteten Singer/Songwriter-Treffen.

Jack Hardy – mit seiner schmächtigen Stimme, elfenhaft und eigensinnig – ist ein oder zwei Jahrzehnte älter als die meisten Anwesenden. Als er an der Reihe ist, stellt er eine neue Ballade vor, die von einem Jungen und dessen Traum von Piraten erzählt. Nach jedem Lied gibt es Beifall. Es wird jedoch nicht geklatscht, sondern nur mit den Fingern geschnalzt. Da werden Erinnerungen an Versammlungen zu Zeiten der Beat Generation wach, die unter ähnlichen Umständen in winzigen Wohnungen abgehalten wurden. Dann wird freizügig kritisiert. Dabei fließt der portugiesische Rotwein, den jemand mitgebracht hat.

Jack Hardy auf Tour:

3. Juli D-Ingolstadt, Neue Welt
4. Juli D-Rudolstadt, TFF'99
6. Juli CH-Buchs, Fabriggli
11. Juli CH-Splügen, Open-Air

Dies sind die bisher bestätigten Termine, die Veranstalter werden jedoch versuchen, weitere Auftritte zu ermöglichen.

Jede Woche, in der Regel montags, pilgern die Songwriter zu Jack Hardys Appartement in der Houston Street. Sie kommen nicht nur aus New York, sondern auch aus Boston und Philadelphia, um dieser Liedermacherrunde beizuwohnen, die nunmehr seit den späten siebziger Jahren an wechselnden Plätzen stattfindet. Zu den Stars, die aus diesem Kreis hervorgegangen sind, gehören Shawn Colvin, Lyle Lovett und Suzanne Vega.

Die regelmäßigen Treffen haben den Charakter einer Werkstatt für Künstler, die sich als Teil der modernen Folkmusik-Tradition fühlen, die in frühen sechziger Jahren entstand, in den frühen 80ern einen weiteren Höhepunkt hatte und heute so vor sich hindümpelt.

Jack Hardys Appartement entspricht ganz dem Bild vom Leben der Boheme im Künstlerviertel Greenwich Village. Angesichts der von Kerzenwachstropfen überlaufenen Weinflaschen, den vergilbten Fotos von Folkmusikern an der Wand, Stapeln von ramponierten LPs und der mit Gedichtbänden und Romanen vollen Regale kommt man sich vor wie auf einer Theaterbühne. In gewisser Weise stimmt das auch.

Jack HardyJack Hardy kam Mitte der siebziger Jahre nach New York City. Zunächst war er auf der Suche nach der »Folkszene«, von der einst das Village verkündete. Dann machte er sich daran, sie wiederzubeleben. Als Jack Hardy eintraf, waren Bob Dylan und andere Heroen des ersten Folkrevivals längst von der Szene verschwunden. In ihrem Gefolge hatte sich eine kommerziell orientierte Folkmusik im Popgewand entwickelt, die von Künstlern wie James Taylor und Jackson Browne repräsentiert wurde. In den New Yorker Klubs waren Disco und Punk angesagt. Doch Jack Hardy trommelte die verbliebenen Folkies, die noch in den Kaffeehäusern im Village verkehrten, zusammen und fing an, seine Musik zu machen.

»Während alle darüber klagten, daß es keine Auftrittsorte mehr gibt, niemanden, der einen bucht und keine Plattenfirma, die Interesse zeigt«, erinnert sich Richard Meyer, selber Liedermacher und langjähriger Freund Jack Hardys, »sagte Jack, 'Ok, dann schaffen wir uns eben einen eigenen Klub, treffen uns jede Woche und produzieren unsere Alben selbst'«. Aus der Idee entstand 1982 die Singer/Songwriter Co-op, aus der später das Fast Folk Musical Magazine wurde. Gerdes Folk City, das Cornelia Street Cafe und ein eigener Klub, das Speak Easy, zogen die Künstler in der Folgezeit wie ein Magnet an. Und in einer Mansarde in Brooklyn wurden die jeweiligen neuen Werke der Beteiligten mit einer Bandmaschine aufgenommen.

Veröffentlicht wurden sie dann allmonatlich auf LPs und später auf CD mit einer für die Folkszene ungewöhnlichen Regelmäßigkeit. Verbunden mit einem Magazin gingen sie an Läden, Radiostationen und Abonnenten. Rund 100 Masterbänder dieser Aufnahmen und das ganze Fast Folk-Archiv ist seit kurzem im Besitz der Smithsonian Institution. Dort ist geplant, die alten Platten in den nächsten Monaten auf einem eigenen Label, auf Smithsonian Fast Folk, wiederzuveröffentlichen.

»Die ganze Idee bestand darin, es wirklich schnell, eben ´fast´, herauszubringen«, erzählt Jack Hardy. »Du konntest einen Song bei einer open mike-Veranstaltung oder bei einem unserer Treffen hören, und zwei Wochen später wurde er bei einer Radiostation in Philadelphia oder Chicago gespielt.« Im Laufe der Jahre hat Hardy allerdings auch so manchen seiner Kollegen mit seinem autoritären Stil vergrätzt. So untersagte er beispielsweise den Künstlern bei den ersten Fast Folk-Konzerten wegen seiner Aversion gegen jede Form des Kommerzes, ihre eigenen Kassetten zu verkaufen. »Das hat allen mächtig gestunken«, erinnert sich David Massengill, ein Fast Folk-Pionier. »Er vergaß einfach völlig, daß wir nicht nur an unserer Karriere arbeiten wollten, sondern auch unseren Lebensunterhalt verdienen mußten.«

Andrew C. Revkin ist Mitarbeiter der Feuilletonredaktion der New York Times.
Übersetzung: mik


Jack Hardy – The Collected Works

Part 1: Volumes 1-5, 1965-1983 (Prime CD PCD 49)
Part 2: Volumes 6-10, 1984-1995 (Prime CD PCD 50)

Einzel-CDs:

  1. Early and Rare (1971; PCD 51; Original 1971)
  2. The Mirror of my Madness (1976; PCD 52)
  3. The Nameless One (1978; PCD 53)
  4. Landmark (1982; PCD 54)
  5. White Shoes (1982; PCD 55)
  6. The Cauldron (1984; PCD 56)
  7. The Hunter (1986; PCD 57)
  8. Through (1990; PCD 58)
  9. Two Of Swords (1991; PCD 59)
  10. Civil Wars (1995; PCD 60)

(Mir ist nicht bekannt, ob die CDs auch separat verkauft werden. Da sie aber alle Einzel-Bestellnummern haben, habe ich sie hier nochmals extra aufgeführt.)

Man kennt das ja, man steht vor’m Plattenschrank und denkt: Irgendwann hätte ich gerne mal diese LP auf CD. »On The Beach« von Neil Young zum Beispiel, oder »When The Time Is Right« von Gay & Terry Woods. Anschließend kommt man in die Abteilung der Vinyl-Scheiben, bei denen man Stein und Bein schwört, daß nie ein Verrückter auf den Gedanken käme, sie auf CD zu veröffentlichen. Bei Allan Taylors »The Traveller« weiß man immerhin, daß der Künstler gerne möchte, aber der, vorsichtig formuliert, sehr umstrittene Chef von Celtic Music nicht; bei Jack Hardy weiß man genauso, daß er selbst nie auf den Gedanken gekommen wäre. Lieder waren (und sind) für ihn immer zweierlei: eine Frage des Handwerks, und eine Frage des Singens; auf keinen Fall aber Thema für besondere kommerzielle Erörterungen.

Aber jetzt sogar geballt: Zwei Schuber mit jeweils 5 CDs. Der Waschzettel sagt, die Box enthielte »die komplette Anthologie von Jack Hardys zuvor veröffentlichten Werken«. Das stimmt nicht. Denn zum einen fehlen zwei Lieder seiner 1971 noch in seiner Heimat Aspen, Colorado, veröffentlichten Debut-LP, auf der er aussieht wie Brother Jack Allman (»jack hardy«, great divide records gdsr 1759), ».45 calibre man« und »ballad of mclaughlin (beneath the rain)«, und zum anderen fehlen all seine Beiträge zu den diversen CoOp- und Fast-Folk-Platten. Dort hat er sich zwar immer sehr zurückgenommen, weil er als Initiator dieser Serie (mehr zu dem Thema im Artikel in diesem Folker!) sich nicht zu sehr in den Vordergrund drängen wollte. Aber es sind dort doch eine Reihe von Liedern erschienen, die sich – zusätzlich zu den Bonus-Tracks, die Platz auf der einen oder anderen CD dieser Boxen gefunden haben (wobei ich immer noch "Meandros" vermisse) – gut gemacht hätten.

Ein Seller waren keine der LPs von Jack Hardy. Seine produktivste Phase war Anfang der 80er Jahre; damals erschienen sogar mehrere LPs – teils unter, wie man hier sehen kann, verändertem Cover – in Deutschland. Doch die jeweiligen Firmen – pastels/LPs2+3, entente/LP7 – scheiterten daran, daß Ambition und Qualität nicht notwendigerweise Umsätze garantieren.

Warum sie sich nicht verkaufen ließen, warum Jack Hardy immer nur einer kleinen Fangemeinde ein Begriff war, das läßt sich nachvollziehen, hört man diese zehn Alben hintereinander durch. Da ist, für einen Deutschen das erste Signal, die Musik. Geändert hat sich eigentlich nichts in den letzten 30 Jahren. Immer noch bettet Jack Hardy seine Lieder in eine Art akustischen Folk-Rock ein, der vor allem eins tut: alle Ecken und Kanten scheuen! Die mit Abstand härteste Nummer ist »Murder« auf »The Mirror of my Madness«, wo er sich Dylan à la »Highway 61« nähert. (Eine weitere Reverenz gibt es in der Gesangszeile »How does it feel« von »Broken Heart« auf »White Shoes«.) Ansonsten ist die Musik eine direkte Fortführung des Sounds, den die Plattenfirma Elektra in den 60er Jahren Singer/Songwritern wie Tom Paxton oder Tom Rush verpaßte, in der Hoffnung, sie würden durch die Hinzunahme von Baß und Schlagzeug kommerziell interessanter. Wurden sie nicht, höchstens musikalisch langweiliger. So muß man auch Jack Hardy attestieren, daß er – leider – musikalisch niemanden vom Hocker reißt. Das plätschert alles nett vor sich hin und könnte durchaus die Hinzunahme anderer Instrumente (zu g/b/dr) vertragen, wie Konzerte mit dem Saxofonisten Chuck Hancock 1984 oder einige Songs auf »Landmark« beweisen, das durch die Umsetzung der Irland-bezogenen Texte in ein entsprechendes Ambiente mit Pennywhistle, Mandoline usw. zu seinem mit Abstand musikalisch interessantesten Album geriet.

»Als ich anfing, Literatur zu studieren, war das erste, was ich innerhalb einer Woche lernte, wie langweilig die Klassiker sind. Also beschloß ich, sie alle neu zu schreiben. Dies ist Dantes 'Inferno', zusammengestrichen auf vier Strophen und einen Refrain.« (Ansage 1984 zu »Subway«)

Bernhard Hanneken


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