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Afro Celt Sound System

Auf dem Weg zu einer Band

Der diffuse Charme des Experiments zeichnete das erste Album der bikontinentalen Band Afro Celt Sound System aus. Obwohl die Musik eine Nische bediente, in der immerhin 200.000 Käufer saßen, dauerte es drei Jahre, bis die Direktverbindung Dublin-Dakar mit neuem Album wieder hergestellt wurde. Der Tod des Keyboarders Jo Bruce war es, an dem die Band beinahe kollabiert wäre. Nun tritt sie nach vollzogener Trauerarbeit umso gereifter an, ihren Ausnahmestatus zu zementieren.

Von Luigi Lauer

Jedermanns Sache wird »Release«, wie das zweite Album heißt, nicht sein. Das traf zwar schon auf die erste Scheibe zu. Jetzt aber ist der Bonus des Neuen, sind die Lorbeeren für eine geniale Idee verbraucht. Die Antwort von Afro Celt Sound System heißt – drei Jahre nach dem Erstling – Professionalität, Struktur, Songwriting. Gerade diese Elemente wurden auf dem ersten Album freundlicherweise ignoriert und machten seinen speziellen Reiz aus. Und doch: »Release« hat seinen Platz und wird auch die Liebhaber des sehr viel spontaneren Debütalbums nicht gänzlich verschrecken können, dafür hat es zuviel Substanz. Verantwortlich dafür zeichnet, vor allem und wieder einmal, Mastermind Simon Emmerson. Sein Revier hat er mit so unterschiedlichen Projekten markiert wie mit seiner Band Working Week, mit Manu Dibangos wegweisendem Album »Polysonik« sowie seiner langjährigen Zusammenarbeit mit Baaba Maal. Dem Folker! hat Simon Emmerson Fragen über die neue Gangart seiner Gruppe beantwortet.

Gerade erst hast Du das neue Baaba-Maal-Album mitproduziert, hast mit Alan Stivell gearbeitet, und jetzt bist du nicht nur mit Afro Celt auf Tour, sondern hast auch die Regie für das neue Album übernommen sowie Kompositionen beigesteuert. Wann schläfst du eigentlich?

Emmerson: Tja, haha, gute Frage. Also – um die Weihnachtszeit habe ich viel geschlafen.

Du schläfst nur am Jahresende?

Emmerson: Etwas mehr schon, auch von Januar bis März habe ich wenigstens zehn Stunden pro Nacht geschlafen, trotz zwölfjährigem Sohn und acht Monate alter Tochter. Aber Weihnachten sind Martin Russell (Keyboards, Toningenieur; Anm. d. A.) und ich regelrecht kollabiert, weil wir das ganze Jahr durchgearbeitet hatten. Neben Baaba Maal und Alan Stivell, die Du erwähnt hast, haben wir auch noch mit dem Spanier Carlos Nunez gearbeitet sowie eine Realworld-Produktion mit einer in Dänemark lebenden Somali-Frau durchgezogen. Das letzte Jahr hat uns völlig ausgelaugt, emotional, psychisch, physisch, und auch mit der Kreativität waren wir am Ende. Da mußten wir uns vor dem Tourbeginn natürlich etwas ausruhen.

Ihr habt auch in Deutschland Auftritte.

Emmerson: Ja, wir haben 20 Gigs, davon etwa sechs in Deutschland. Ich bin immer froh, in Deutschland zu spielen, weil hier World Music sehr ernst genommen wird, es ist eine große Sache hier. Die Leute sind viel offener als in Frankreich. In der französischen Szene gibt es vor allem die Kolonien, Zaire, die frankophile Szene, das macht es für uns viel schwieriger. Selbst Myrdhin, der französische Musiker in unserer Band, bezeichnet sich nicht als Franzose, sondern Brite. Nicht mal er mag die Franzosen...deshalb haben wir auch kein Problem mit ihm! In Deutschland ist Myrdhin oft unterwegs als Harfenist, zum Beispiel mit Deborah Henson-Conant.

Ihr seid nicht die einzigen, die Probleme mit Frankreich haben. Jetzt lassen wir die Franzosen aber mal in Ruhe und kommen auf das neue Album zu sprechen. Erster Höreindruck: mehr Vocals.

Emmerson: Ja, es ist ein viel mehr auf Songs basierendes Album. Auf Vol. I waren keine wirklichen Songs. Manche Leute sagten, oh, ihr geht jetzt in Richtung Tanzmusik, Richtung Techno, mehr keltisch. Aber es ist mehr auf Liedform basierend, das ist das wichtigste. Letzten Endes schreibt man ja doch Lieder, strukturiert Sachen um einen Song herum. Dann hat es kräftigere Grooves, und das Zusammenspiel ist stärker geworden. Wir sind heute mehr eine Band, vorher war es einfach Spaß an der Sache. Selbst als Produzent fühle ich, das es kohesiver geworden ist. Beim ersten Album haben wir Musiker zusammengewürfelt, die sich nicht kannten. Jetzt sind wir, nach hundert Auftritten, ausgereifter, erwachsener, haben uns zu einer Band entwickelt.

Die nach dem Tod von Keyboarder Jo Bruce erst einmal in der Versenkung verschwand.

Emmerson: Oh, ja, das war dramatisch. Er war das jüngste Bandmitglied und hatte seine ganze Karriere noch vor sich, als er an einem Asthma-Anfall starb. Wir haben sehr lange gebraucht, das zu verarbeiten, das war nicht leicht, aber irgendwann sind wir wieder zusammengekommen.

Heißt das Album deswegen »Return«?

Emmerson: Es heißt »Release«.

Sorry...wie komme ich jetzt auf »Return«?

Emmerson: Keine Ahnung, aber es ist witzig was Du sagst, denn ursprünglich sollte es tatsächlich »Return« heißen. Es klang uns aber dann doch zu arrogant, zu pompös, zu sehr nach »Rückkehr der Dinosaurier«.

Und warum dann »Release«?

Emmerson: Das haben wir entschieden, nachdem wir den Song »Release« aufgenommen hatten, der eigentlich ein Instrumentaltitel werden sollte. Dann dachten wir aber über eine Gesangsnummer nach und luden Sinead O‘Connor ein. Wir hatten keine Ahnung, was sie machen, was sie singen würde. Einen Text hatten wir zwar, sie sang ihn aber nicht. Stattdessen sang sie aus Jo´s Position, durch seine Augen, und sie sang: ´Sorge dich nicht, wir sind mit dir, deine Musik lebt weiter...´ es war unglaublich einfühlsam und powerful, was sie da machte. Wir alle mußten weinen, als sie das sang, und es war in der Tat eine Befreiung, eben »release«. Alle spürten, daß es jetzt genug sei, daß es Zeit sei, nach vorne zu schauen. Sie hat wirklich etwas verändert, bewegt, und das sehr profund. Sie schaffte das alleine durch das Feingefühl in ihrer Stimme – unbeschreiblich. Und dann nannten wir das Album »Release«.

Hing es mit dem Baaba-Maal-Album zusammen, daß Du Sinead O‘Connor haben wolltest? Schließlich ist ihr Backing-Chor, die Screaming Orphans, auf »Nomad Soul« dabei.

Emmerson: Nein, wir wollten schon auf Maals Album Sinead haben, die aber nicht frei war. Wir bekamen die Orphans, was sich als hervorragender Ersatz herausstellte. Für Afro Celt hat sie Iarla O‘Lionaird überzeugen können, der einige Auftritte mit Sinead hatte, darüber ein guter Freund von ihr wurde und sie fragte, ob sie nicht für einen Song dabeisein wolle. Und dann kam diese unglaubliche Nummer heraus. Ich hatte den Song noch gar nicht gehört, als ich schon mal anfing, ihn zu mixen, weil Martin Russell in London war. Es hat mich umgehauen!

Ironischerweise hat der Tod von Jo Bruce euch als Band erst richtig zusammengeschmiedet?

Emmerson: Im Grunde schon. Wir hätten uns trennen oder weitermachen können. Es ist viel passiert in der letzten Zeit. Ich habe eine junge Tochter, N‘Faly hat ein Baby, Iarla hat geheiratet, Jo starb, mein Vater und meine Großmutter starben – es gab so viele Ereignisse. Aber wir haben über Afro Celts nachgedacht und sind zu dem Ergebnis gekommen: Wir haben es angefangen, also bringen wir es auch zu Ende. Der Impuls war da, das Rad läuft, und jetzt muß es weitergehen. Besonders für mich, denn ich habe die Sache gestartet, als Produzent, und jetzt kann ich mich ein wenig zurücklehnen und Teil der Band werden. Die Weise, wie es sich entwickelt, ist sehr interessant.

Hat sich mit dem neuen Bandgefühl auch die Arbeitsweise geändert?

Emmerson: Aber ja! Wir arbeiten heute wesentlich kollektiver, schreiben die Songs als eine Band. Iarla, James, Martin und ich haben die Songs zusammen geschrieben. Es kann sich keiner mehr hinsetzen und bestimmen, wer was schreibt. Das hat natürlich mehr Diskussionen zur Folge, es werden ständig Argumente ausgetauscht. Wir haben aber alle ähnliche Positionen. Iarla hat einen sehr tiefen traditionellen Hintergrund, er macht einen der ältesten Musikstile Irlands, reiner Gesang ohne Begleitung, ein Vokalstil Westirlands, uralt. Aber er ist überhaupt nicht daran interessiert, traditionelle Folkmusik zu machen. Er liebt traditionelle Musik, aber was er machen will, ist total moderne Musik, alter Stil in modernem Kontext. Und James von den Pogues auch, er gehört ebenfalls zur Fraktion der Modernisten. Wir haben also alle einen sehr ähnlichen Geschmack. Und die Afrikaner lieben es sowieso, auf moderne Grooves zu spielen. Sie finden das wirklich interessant, es ist für sie eine Herausforderung.


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