backAuf Erfolgskurs im 2/4 Takt

Hiss

Zwischen ZDF-Hitparade und Tanz- und Folkfest

Wenn am Freitagabend im Juli die fünf Vollblut-Musiker von Hiss die große Bühne im Rudolstädter Heine-Park betreten werden, ist das die letzte Chance für notorischen Tanzmuffel, sich schnellstens in die Zelte zu verkriechen. Denn Vorsicht: Ansteckungsgefahr! Wenn Frontmann und Sänger Stefan Hiss sein Akkordeon anwirft, Michael Roth die Mundharmonika-Sammlung wie einen Patronengurt um das Mikrofon bindet, Volker Schuh mit sicherem Wiegeschritt den Baß schwenkt, Patch Pacher den Schlagzeugthron besteigt und Andi Feller die E-Gitarre entfesselt, dann erlebt das Publikum die angesagteste Live-Band, die der Südwesten in puncto deutsches Liedgut derzeit zu bieten hat. Sie vereinen Polka und Tex Mex, Cajun und Blues, Country und Rock, und noch so einige Volksmusiken mehr, zu ihrem eigenen ungewöhnlichen Musikstil. Crossover nennt man das wohl bisweilen neudeutsch. Knochentrockene Ansagen im Charme eines finsteren Räuberhauptmanns und ironisch-zynische Zwischenbemerkungen des Sängers und Namensgebers Stefan Hiss verleihen Schwabens neuem Stern am Musikhorizont einen durchaus erfrischenden Unterhaltungswert.

Michael Pohl sprach in Ludwigsburg mit Stefan Hiss und Michael Roth.

Mit Euch beiden und Volker Schuh waren bereits 1992 drei Mitglieder der heutigen Formation Hiss zu Gast beim TFF Rudolstadt. Damals nannte sich die Band noch Erich und das Polk, benannt nach dem ex-Zupfgeigenhansel Erich Schmeckenbecher. Der ist ja nun nicht mehr dabei.

HissStefan Hiss (S.H.): Sowohl musikalische als auch menschliche Gründe führten zur Auflösung. Man hatte sich einfach nicht mehr verstanden. In der letzten Besetzung von Erich und das Polk waren dann ja auch bereits Andi Feller an der Gitarre und Patch Pacher am Schlagzeug dabei, d.h. eigentlich war es nur noch eine reine Umbenennung des Namens. Als wir merkten, daß das auch mit uns alleine klappt, haben wir die Sache weitergeführt.

Steht der damalige Hit »Polk« noch immer für das hiss’sche Musikverständnis? Eine Textzeile lautet: »Wie in allen anderen Ländern wird sich daran nichts verändern, daß man singt, so wie man spricht – und was and’res woll’n wir nicht!« oder »Manche Volksmusikkapelle kriegt den Arsch nicht von der Stelle...«

S.H.: Im großen und ganzen: Ja. Wir sprechen deutsch und deswegen ist für uns folgerichtig auch in deutsch zu singen. Allerdings sehen wir dies heute viel lockerer. Unser Ziel ist es nicht, irgendwann im Lexikon als Retter der deutschen Volksmusik zu erscheinen. Wir machen einfach das, wonach es uns ist: Diese Mischung aus verschiedenen Volksmusiken und Rockmusik. Und das richtig mit Dampf.

Discographie

CD »Herz und Verrat« 1997 Intercord INT 4844572
Maxi CD »Live« 1997 Intercord INT 8846552
CD »Tut Buße« 1998 Intercord INT 4845932

Volker und Michael haben Ihr musikalisches Talent in der Blues-Combo »Blues for Two« vorangetrieben. Kann man so eine Band überhaupt auf die verschiedenen Musikstile aufteilen?

S.H.: Eigentlich haben alle Bandmitglieder in Blues Bands gespielt. Von den Instrumenten ist eine Zuordnung natürlich vorgegeben: Daß das Akkordeon jetzt nicht zu den klassischen Rock’n’Roll Instrumenten gehört, sonder eher die Gitarre, ist logisch. Somit werden auch die musikalischen Vorlieben natürlich geprägt. Michael Roth hat vor seiner Blues-Zeit früher auch Akkordeon gelernt und wurde dadurch ganz selbstverständlich mit Volksmusik konfrontiert. Man muß sich dann nur noch teilweise an diese Zeit entsinnen. Glücklicherweise sind die Erinnerungen da nicht immer präzise, daher ist unser heutiger Musikstil nicht ganz so puristisch.

Ihr nennt Euren Musikstil selbst im Bandinfo »Polka’n’Roll« oder »Rocking Polka«. Da wird schon mal quer durch die Musikstile galoppiert und kräftig durcheinander gemixt. Läßt sich damit noch eine Zielgruppe ausmachen?

S.H.: Doch, eigentlich schon. Alle! Schwer zu sagen, ob eine breite Stilstreuung Vor- oder Nachteil ist. An sich eher Vorteil, da so eine Musik dann ja auch allen gefallen kann. Wir sehen das auch in den Konzerten. Das Publikum ist sowohl von der Altersschicht als auch von der musikalischen Ausrichtung ziemlich breit gefächert. Bei uns in der Band ist das ähnlich. Jeder hat so seine musikalischen Vorlieben mitgebracht, daraus haben wir gemischt. Wenn uns ein Stil allerdings nicht gefällt, dann bleibt der außen vor, wenn es auch noch so publikumsträchtig wäre.

Wie kommt Euer Publikum mit diesem Spannungsverhältnis Folk (z.B. beim TFF Rudolstadt) auf der einen Seite und Auftritten in Schlagerveranstaltungen wie z.B. in der totalen Geschmacksfinsternis ZDF-Hitparade auf der anderen Seite zurecht? Treffen da nicht zwei Welten aufeinander?

S.H.: Daß es natürlich ab und an zu Irritationen kommen kann, wenn eins unserer Stücke nicht so ganz in das Schema des jeweiligen Hörers paßt, ist unausweichlich. Allerdings wird die Stammklientel der ZDF-Hitparade natürlich auch nicht nach Rudolstadt kommen, somit kommt es relativ selten vor, daß es da zu einem echten Aufeinandertreffen verschiedener Hörgewohnheiten kommt.

Apropos Hitparade: Mal ganz ehrlich, habt Ihr den Eindruck, daß Eure Musik den Anwesenden und dem zuschauenden Schlagerdeutschland wirklich gefallen hat oder waren es allein die getreuen Hiss-Fans, die mittels Fan-Brief mobilisiert wurden? Immerhin habt Ihr den renommierten Schlagerfuzzis mit zwei Auftritten ganz gut Paroli geboten.

Michael Roth (M.R.): Allein die Hiss-Anhänger, damals hatten wir rund tausend in der Kartei, können es nicht gewesen sein. Dafür sind es dann doch zu wenige im Vergleich zu den Schlagerinterpreten wie z.B. Roland Kaiser. Sicherlich waren da auch einige der üblichen Hitparaden-Gucker, die sich gesagt haben: Ist mal was anderes und das gefällt mir. Sonst wäre dieser dritte Platz in der ersten Sendung nicht zu schaffen gewesen.

Wie kommt man mit dieser eher exotischen Stilmixtur in die ZDF-Hitparade? Die Verkaufszahlen von Media-Control können es bei Hiss bei aller Liebe wohl dann nicht gewesen sein.

S.H.: Nein, da gibt’s heute ein Auswahlgremium. Sicher war das Engagement von Hitparaden-Moderator Uwe Hübner mitentscheidend. Der hatte uns bei einer regionalen Sendung bereits im Programm und war der Meinung, wir könnten auch in der Hitparade bestehen.

Sind solche Auftritte reine Marketing-Instrumente oder kann man dem Playback-Hampeln doch noch etwas abgewinnen?

M.R.: Es war zumindest eine interessante Erfahrung. So eine Einladung auszuschlagen, wäre ja auch Quatsch. So viele Leute kann man, Standpunkt hin und her, das ganze Jahr über zusammen nicht erreichen, wie hier in einer Sendung. Und wenn auch nur ein kleiner Prozentsatz übrigbleibt, der sich für unsere Musik interessiert, haben wir doch schon einiges gewonnen.

S.H.: Vor zehn Jahren war klar, wer als anständiger Musiker in die Hitparade geht, der verkauft sich, begeht Hurerei. Mittlerweile ist das nicht mehr so kraß, immer wieder sind Stücke enthalten, die glücklicherweise mit dem klassischen Schlager nur am Rande zu tun haben. Unabhängig von allem, was man natürlich kritisch zu dieser Sendung anmerken kann, wird sie jedoch, gemessen mit allen anderen Sendungen, in denen wir auftreten durften, mit Abstand am professionellsten aufgezogen. Natürlich ist das Glitzerumfeld nicht unser Ding, aber da steckt bei Kamera und Regie schon noch was dahinter und sonst gibt’s auch in keiner Sendung mehr Halb-Playback, d.h. wir haben wenigstens richtig singen können. Das ist zumindest einen Hauch authentisch. Nicht, daß die Hitparade jetzt so richtig geil ist, aber sie ist nun mal eine der wenigen Sendung, die sich nur um Musik dreht, sei sie noch so schauderhaft im Durchschnitt. Selbstverständlich besteht jetzt nicht der Drang, das jedes Jahr machen zu müssen oder sogar jede Woche. Besonders der Aufwand ist da ziemlich groß. Zwei, drei Tage Aufenthalt für Proben und dann nur ein Auftritt von fünf Minuten, so lustig ist es dann nun auch nicht.


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