backFerner liefen...

wir nicht immer per pedes über die Ponte Vecchio zu den Uffizien und vom Baptisterium zur Accademia, sondern vertrauten uns auch in den Osterferien dem ÖPNV an. Tickets und Eintrittskarten (in Italien bildnerisch-opulent wie Wertpapiere gestaltet) heben wir als bezahlte Souvenirs auf. Die Rückseiten florentiner Omnibus-Biglietteri sind dieser Tage mit einer Spendenaufforderung der Krebshilfe bedruckt, eingeleitet mit: SIAMO IN GUERRA.

Wir sind im Krieg. Gemeinplatz der Werbesprücheklopfer bei unseren südlichen Nachbarn, wofür es hierorts »nicht den geringsten Anhaltspunkt gibt«, wie ein namhafter SPD-MdB kürzlich von der Rednerkanzel des nordrhein-westfälischen VS-Schriftstellerverbands in der IG Medien verkündete. Deutschland führt Krieg? Ach was. Begleitende Maßnahmen zur Durchsetzung humanitärer Hilfs-einsätze, das ja, NATO-Militäraktionen gegen den serbischen Aggressor, zugegeben, gezielte Luftschläge, warum nicht, auf militärische Einrichtungen wie Brücken, Kraftwerke, Fernsehsender, und jetzt auch noch Bundeswehr-«Nothilfe« für Soldaten und Zivilangehörige im Grenzgebiet operierender Natostaaten und humanitärer Organisationen, mit beiläufig-versehentlichen Kollateralschäden, falls es doch einmal ein bewegliches Weichziel trifft. Aber doch kein Krieg!

Denn wo Mars regiert, schweigen bekanntlich die Musen. Unsere sind noch ganz schön beredt. Ihren besonderen Lieblingen rauben sie das letzte Quentchen Verstand und programmieren an seiner Stelle einen Jargon, der desto schwerer erträglich ist, je deutlicher er die geistige Defizienz offenbart. Biermann, Barde der Golfkriegsbombardements, begehrt mit dem Engel des Matthias Claudius, nicht schuld daran zu sein. Enzensberger will die skinhäuptigen UCK-Sympathlinge bewaffnen, sollen die ihren Bürgerkrieg vor Ort selbst austoben. Reif für die »Umerziehung«, an der sich Daniel Goldhagen und Rupert Neudeck beteiligen, wäre das serbische Volk, wenn’s nach Elfriede Jelinek geht. Man sei gegen den Krieg, meldet sich VS-Bundesvorsitzender Fred Breinersdorfer in der WOCHE zu Wort, »sieht jedoch, es gibt keinen Ausweg. Deswegen muß man den Krieg bejahen. Und das tut richtig weh.«

Aua. Dazu paßt auch, daß der DGB mit seinem diesjährigen Motto zum Arbeiterkampftag (»für unser Land«) nicht die Internationale hochleben ließ, sondern einen Vater-Ländler in den Mai tanzte. Heilig die letzte Schlacht? Oder schon die vorletzte? Unterdessen mutieren friedensbewegte GRÜNE zur militantesten Bellizisten-Kernzelle und bilden im harmonisch-einhelligen Verlautbarungston Sätze des logischen Typs Flächenbombardements sind eine prima Voraussetzung für die künftige Multi-Kulti-Gesellschaft im Kosovo und anderswo. (Unter Genscher hieß das noch: Gerade wer für Abrüstung eintritt, müsse seinen entschlossenen Willen zur Auf-, pardon Nachrüstung bekennen.)

Analogisierende Vergleiche des Holocaust, während des Historikerstreits von links als üble Verharmlosungstaktik gedeutet, werden jetzt von denselben Linken zu den serbischen Untaten gezogen, um linken Wehrwillen zu mobilisieren. Doch Joschkas Beschwörungen zum Trotz: Milosevic ist kein zweiter Hitler. Wenn meine Berechnungen stimmen, kann er höchstens Anspruch auf den Titel des dreihundertsiebenundneunzigsten Hitler machen, und selbst von den ganz niedrigeren Nummern sind einige noch im Amt.

Streiten wir nicht über Sinn und Unsinn in Zeiten des Krieges, stellen wir uns lieber die Preisfrage der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtkunst (Einsendeschluß 30. Juni, Adresse ist der Redaktion bekannt), Kann Literatur dem Frieden dienen? Bzw.: den friedensschaffenden »Maßnahmen«? Und wie steht’s mit aktuellen Kompositionen, Feldgeschrei, Siegeshymnen, Lili Marleen, Hinlegenaufmarschmarsch? Wo bleibt der Rhythmus, bei dem wirklich jeder mitmuß?

Über eins werden wir schnell einig – ist nicht genug Musik drin, in diesem Krieg. Und das, obwohl sich mit den beiden Ober-Warlords ein begnadeter Saxophonspieler und ein Lyriker gegenüberstehen. Ganz anders als Vietnam, das Filme wie Full Metal Jacket oder Good Morning Vietnam als drogengesättigtes Rockfestival der anderen Art schildern (während die Woodstock-Gegendemo nur noch zur Sandmännchenstunde in Programmkinos läuft). Bob Dylan hat einst in West Point aufgespielt – wieso nicht Biermann in Ramstein, bzw. Rammstein in Priština? Als die Türken vor Wien standen, schlüpfte die Janitscharenmusik ins Operettengewand. Wann schlägt sich die Multikulti-Erfahrung unserer Jungs auf dem Balkan endlich auch in der Tonkunst nieder? Sollten Joschka und Rudolf nach gewonnener Luftschlacht unter klingendem Spiel und Trommelwirbel Heerschau halten, bleibt ihnen wohl kaum anderes übrig als der Rückgriff auf den Hoch- und Deutschmeistermarsch.

Aber noch ist Hoffnung. »Zur preußischen Militärmusik« äußerte sich der große Dirigent und Wagner-Prophet Hans von Bülow (der übrigens das nicht weniger militante Bundeslied der Arbeiterbewegung vertonte: Alle Räder stehen still / wenn dein starker Arm es will...) in der Neuen Zeitschrift für Musik Bd. 49, No. 1 vom Juli 1858. Bülow, altem Generalsadel entstammend, empfahl dem braven Musikdirektor Piefke (hieß wirklich so) vom 8. Infantrieregiment die Österreicher als Vorbild. Deren – damals noch vielvölkerstaatliches – Musikkorps »darf vielleicht schon deßhalb den ersten Rang beanspruchen, weil [...] abgesehen von den unbestreitbar hervorragenden musikalischen Naturanlagen der slavischen Nationen eine Zusammenstellung der tüchtigsten Kräfte dadurch erreicht wird, daß die Regimenter selbst in Österreich, mit bedeutenden Opfern fortwährend Werbungen unter Aus- und Inländern (namentlich Böhmen) veranstalten, ja sogar auf ihre Kosten die Capellmeister zu diesem Zwecke größere Reisen unternehmen lassen«...

Nikolaus Gatter


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Die Folker!-Kolumne 4/99