backDie Fraunhofer-Linie: Handgemachtes aus Bayern

20 Jahre Fraunhofer Saitenmusik

Von Ulrike Zöller-Hickey

Die Wirtschaft Fraunhofer in Münchens Innenstadt war in den 70er Jahren unter professionellen Kneipengehern und Folkies ein Geheimtip: Sie war eines der wenigen Wirtshäuser in der Stadt, das sich in der Resopaltischzeit getraute, Altmünchner Gemütlichkeit mit massiven Wirtshaustischen und Ganserl mit Knödel zum Programm zu machen. Hier war aber auch der Ort, an dem man Live- Sessions erleben konnte, russische, irische, griechische Musik wurde in den Hinterzimmern gespielt und die Münchner Iren fühlten sich hier besonders wohl; Barney McKenna besuchte das Fraunhofer regelmäßig, wenn er gerade mit den Dubliners durch Süddeutschland tourte. Die Mischung aus Rauch, Schweinebraten und Holzfußboden roch gleichzeitig nach Musik und Erin go Brath.

Fraunhofer SaitenmusikInmitten der russischen und irischen Musik war immer öfter ein engelsgleiches männliches Wesen zu erkennen – blondes langes Haar und weißes Flatterhemd – , das, völlig unpassend in dieser folkbewegten Umgebung, bayerische Stubnmusi auf Hackbrett und Tiroler Harfe zum Besten gab. Folk und Stubnmusi, Barney McKenna und Wastl Fanderl, das waren in den 70er Jahren noch unvereinbare Gegensätze. Folkmusiker – das waren langhaarige Linke, Stubnmusikanten trugen im allgemeinen bayerische Tracht, kurze Haare und eine konservative Gesinnung. Das engelsgleiche Wesen hieß Richard Kurländer, und was er da tat, ließ in der bayerischen Musikszene eine Bombe platzen. Zusammen mit seinen ehemals russischen Musikerkollegen Sitka und Arthur spielten sie inmitten der Nach-68er-Studentenszene, die sich von dem Wort Stubnmusi nicht unbedingt angezogen fühlte, Landler und Polkas, Menuette und Boarische, und manch einem Fraunhofer-Besucher blieb das höhnische Lachen gemeinsam mit seinem Sonntagsganserl im Halse stecken. Die meinten das ernst mit ihrer Musik, und letztendlich, so schlimm war sie gar nicht. Schnell wurde das musikalische Weltbild theoretisch zurechtgerückt: Wenn die Iren hier ihre Folkmusik hochhalten, warum sollten deutsche Gruppen nicht das gleiche tun?

Discographie
1983 Volksmusik in schwierigen Zeiten
TRIKONT Schallplatten, München US 0107
1985 Gegen den Rhythmus der Zeit
TRIKONT Schallplatten, München US 0124
1987 No. 3
TRIKONT Schallplatten, München US 0143
1989 Zwischenklänge
TRIKONT Schallplatten, München US 0162
1993 gfanga hams es!
TRIKONT Schallplatten, München US 0191
1993 Excursionen
BRITON Musikverlag, München CD 2084
1996 '96
BRITON Musikverlag, München CD 3025
1998 Das Album
TRIKONT Schallplatten, München US 0254
1998 ...zur Weihnachtszeit
Briton Musikverlag, München CD 3065

So geschah es also, daß nicht nur der musikalische »Frühschoppen« im Fraunhofer immer öfter bayrisch geprägt war, sondern daß man in der Kleinkunstbühne »MUH« eines Tages eine Fraunhofer Stubnmusi auftreten sah, die neben brasilianischen Gitarristen, griechischen und irischen Sängern oder Liedermachern spielte. Daneben etablierten sich übrigens zur gleichen Zeit die drei Musiker der Biermösl Blosn sowie Rudi Zapfs Formation Guglhupfa als weitere Zerstörer des alten bayerischen Volksmusik-Weltbilds. Der Name Fraunhofer Stubnmusi für Richard, Arthur und Sitka war in zweierlei Hinsicht gerechtfertigt. Selbstredend war die Wirtschaft vorrangig die natürliche Umgebung der drei, denn nahrungs- und biergebend hielt der Wirt Beppi den Musikern seinen Stammtisch gleich neben der Schänke frei. Das Fraunhofer war gleichzeitig Nest und Balzplatz – ein Biotop im Hintergebäude diente Richard als Wohnung, ein Zimmer, das zum Schlafen nur noch notdürftig Platz bot: Harfe, Hackbretter, diverse Instrumente, Notenständer, Aufnahmegeräte hatten Vorrang. Die Notdurft verrichtete man auf einem Ort, der gleichzeitig den Kabarettisten der Fraunhoferbühne diente – und der Eingang in Richards Zimmer führte durch deren Umkleideraum. (Durch meine vielen Besuche in Richards Wohnung kann ich mit Fug und Recht behaupten, nahezu jeden bekannten bayerischen Kabarettisten in der Unterhose bewundert zu haben. Das sind journalistische Einblicke, deren sich nicht viele Kollegen rühmen können). Nach einer freundschaftlichen Trennung von seinen Mitmusikanten erschien Heidi Karutz auf der Bildfläche, eine Münchner Soziologiestudentin Berliner Ursprungs, die sich in der Berliner und Münchner Musikszene, vor allem der russischen und balkanesischen, gut auskannte und nun dem Hackbrettfieber verfiel. Durch unermüdliches Üben, meist tagsüber auf der leeren Fraunhofer-Kabarettbühne, schaffte sie nach kürzester Zeit die Kleinkunstbühnenreife, um mit Richard im Duo auftreten zu können.

In dieser Zeit entwickelte sich das Programmkonzept, mit dem die Fraunhofer heute auftreten: Bayerisches, Österreichisches und Irisches, der Zitherspieler Arno Sautter der die beiden bald darauf begleitete, steuerte klassische oder moderne Zitherliteratur bei, Heidi grub in ihren Notenschätzen (Gott sei Dank war ihr Vater Notenschreiber, da war doch ein gewisser Fundus vorrätig) nach alten Melodien oder nach Werken der »leichten Klassik«, die Richard für Harfe, Hackbrett und Zither bearbeitete. Später kamen noch Gitarre und Baß hinzu – und etwa zur gleichen Zeit der Eintritt in die offizielle Folkszene: Die erste Einladung zum Folktreffen auf der Lenzburg in der Schweiz. Übrigens nannte man sich zu dieser Zeit Eresinger Stubnmusi, nach dem Heimatort des Zitherspielers. Hier spielten die Musiker neben Caterina Bueno, Shalil Shankar, Hein und Oss, Le Clou, Folkvind oder Elster Silberflug, und vor allem neben den aufsteigenden Schweizer Folkgruppen Jeremias und Appenzeller Space Schöttl. Diese Hackbrettartisten, die lässig und kraftvoll musizierten, inspirierten die Fraunhofers zu etlichen, heute für sie typischen Stücken (beispielsweise der »Hirtenpolka«, die mit Teelöffeln gespielt wird – und an so gar manchen Abenden hat Heidi vor lauter Lässigkeit im Stück den Löffel abgegeben).

Die Erlebnisse auf der Lenzburg ließen bei der Fraunhofer Saitenmusi – so nannten sie sich ab 1981, als der Bassist Gerhard Zink seine Liebe zu Heidi und seine Liebe zur Musik nutzbringend zu verbinden verstand – die Idee eines eigenen Festivals aufkeimen. Am 31. Juli 1982 veranstalteten sie das erste Folkfestival auf der Burg Kaltenberg, etwa 50 Kilometer westlich von München gelegen – ein Folkfest, das heute, nach 17 Jahren in ununterbrochener Folge noch existiert und inzwischen wohl zu den bedeutendsten seiner Art in Deutschland zählt. Durch die Beteiligung des Schloßherrn, Prinz Luitpold von Bayern, und des Bayerischen Rundfunks waren die schlimmsten finanziellen Risiken abgedeckt, aber wie es ist, Veranstalter, Programmverantwortlicher und Musiker in einem zu sein, weiß nur der, der so etwas einmal selbst probiert hat. (O-Ton Gerhard Zink: »Weißt du, wenn du gerade anfangen sollst, zu spielen und die Klofrau kommt auf die Bühne und ruft dir zu: ‘Herr Zink, die Klopapierrollen sind zu Ende. Wer zahlt die eigentlich?‘ – dann ist die Konzentration einigermaßen eingeschränkt...«) Jedenfalls bewies sich und beweist sich immer noch, daß die Fraunhofer neben dem Musizieren auch organisieren und improvisieren können, und das mit dem Klopapier wurde daher auch gelöst.


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