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Ein trauriger Gedanke, den man tanzen kann 

Von Corina Oosterveen

Das Wort Tango kommt von tangere, berühren. Auch wenn die Herkunft umstritten ist, benennt sie wesentliches eines Tanzes und einer Musik, die sich gerade als Folge von Berührungen erleben und begreifen läßt. Tango ist Berührung von Körpern, Gefühlen und Kulturen ... Tango ist ein Lebensgefühl, das zelebriert wird, Tango ist ein Zustand, der uns berührt.

Der Tango hat im letzten Jahrzehnt viele Freunde in Deutschland gefunden. In Berlin und Stuttgart sind regelrechte Szenen entstanden, die mehrere Tangoabende im Monat durchführen. In den letzten drei Jahren konnte man beobachten, wie die einzelnen Gruppen mehr und mehr zusammenwachsen. Diese Entwicklung wird vor allem von Amateuren getragen, wobei die »Tangopassion« bei einigen dazu geführt hat, sich mittlerweile hauptberuflich mit diesem Tanz zu beschäftigen. Es gibt Radiosendungen, eine eigene Zeitschrift und unzählige Tanzgruppen, Workshops, Bälle und Bühnenshows. Immer mehr argentinische Tanzmeister werden für das stetig wachsende Publikum nach Deutschland eingeladen, wo sie auf vollbesetzte Kurse treffen. Es gibt auch neue Entwicklungen, Theater mit Tango zu verbinden (Tangotheatro), Kurse zum Thema »Tango und Feldenkrais«, »Tango und Eheberatung« und ähnliches. Doch trotz der zunehmenden Attraktivität des Tangos wird nur selten über seine Geschichte und die Hintergründe des Tanzes berichtet, und es gibt bis jetzt auch nur ein wissenschaftliches Buch über den Tango in deutscher Sprache.

Der Tango entstand im gewaltigen Mündungsdelta von Río Paraná und Río Uruguay, dem Río de la Plata. Am Westufer liegt die argentinische Stadt Buenos Aires, gegenüber, etwa 200 km entfernt in Uruguay, Montevideo. Beide Städte streiten sich um den Ursprung, aber es herrschen in beiden Regionen um 1880 ähnliche soziokulturelle Bedingungen. Entstanden ist der Tango in den Vorstädten (arrabales), in den Vierteln der Ganoven, der Bordelle, der Arbeiter und Matrosen, den Vierteln, in denen die verschiedensten Völker und Rassen leben.

Durch große Einwandererwellen nimmt die Zahl der Einwohner rapide zu. In Buenos Aires etwa sind die Hälfte der 200.000 Einwohner Gringos (Fremde). Hinzu kommen die von den Großgrundbesitzer verdrängten Gauchos (Viehhirten). Ein extrem hoher Männerüberschuß ist zu verzeichnen. Aufgrund dessen blühen Prostitution und der Handel mit hellhäutigen Frauen. Zwei Gruppen entwickeln sich im Milieu der Vorstädte, die im Laufe der Zeit den Tango und seinen Stil bilden werden: »Lunfardos«, Ganoven, die auf Provinzler und Gringos herabsehen (in ihrer Szenesprache, Lunfardo, sind viele der alten Tangotexte verfaßt), und »Compadres«, in der Vorstadt gestrandete Viehhirten, die ihre Heimat gewechselt, ihre Eigenarten jedoch beibehalten haben. Sie leben die Einsamkeit der Pampa jetzt als städtische Einsamkeit. Sie sind »machos« und verteidigen ihren Ehrenkodex mit Kampf und Extravaganz.

Aus verschiedenen Herkunftsländern kommen Kulturen und Tänze zusammen: Walzer, Polkas, Mazurkas, Quadrillen, mediterrane Lieder und Tänze, Cifras, Cielitos und Estilos der Pampa, Volkstänze wie Malambo, Gato, Chacarero, Carnevalito und Zamba, der afrikanische Candombe (auf ihn geht wohl die choreographische und auch rhythmische Wurzel des Tangos zurück), die kubanische Habanera (mit dem für den Tango so typischen 2/4 Rhythmus mit Synkopierung auf der zweiten Achtel), die Milonga, der Tango andaluz (ein spanischer Tanz, den Musikwissenschaftler ebenso mit der Entstehung des Tangos in Verbindung bringen). Im Laufe der Zeit kommt es zur Vermischung und Verschmelzung, die eine neue Form hervorbringt, den Tango.

Milonga und Tango

Die Milonga entwickelt sich als Vorstufe des Tangos und findet Eingang in die Bordelle und in die Tanzlokale. Diese geselligen Treffen bezeichnet man auch als Milongas, was soviel wie »Durcheinander« heißt. »Die Musiker ziehen durch die Vorstädte und Vergnügungsviertel, spielen ... Tangos und Milongas, aber auch Polka und Walzer – alles nach Gehör. Oft ist nur das Anfangsthema bekannt, das dann improvisierend zu einer dreiteiligen Form weiterentwickelt wird. Die Tänzer schöpfen dazu aus einem reichen Figurenrepertoire freie Kombinationen – schreitende Bewegungen in enger und gleichzeitig »distanzierter« Umarmung, mit Momenten jähen Stillstands, den »Schnitten« und »Brüchen«, die zu jenen exponierten Positionen der Partnerin führen, die dem Tango den Ruf des Tanzes »im stilisierten Rhythmus der Paarung« einbringen. Choreographisch wie auch musikalisch dominieren in der Anfangszeit Intuition und Phantasie, aus denen sich erst allmählich ein gefestigter Formenkanon entwickelt.«

Die Männer tanzen gemeinsam, um wegen des Frauenmangels diesen komplexen Tanz proben zu können und auf der Tanzfläche mit der Partnerin zu brillieren und zu beeindrucken. Noch heute berichten »alte« Tangotänzer davon, daß sie dies in ihrer Jugend so trainiert haben und als wertvoll erachten, denn wer die Rolle der Frau getanzt und gefühlt hat, weiß wie er seine Partnerin am Besten führen muß. Wann nun der erste Tango getanzt wurde, ist unklar (und vielleicht auch unwichtig). Der argentinische Dichter Leopoldo Lugones (1874-1938) schreibt über den Tango in Zusammenhang mit einem Bordell als Ursprungsstätte.

1920 verändern sich die Tangointerpretationen hin zu einem anspruchsvolleren und harmonischeren Stil, er verliert »den Geruch der Pampa« und gewinnt eine »urbanere Sprache«. Es ist die Zeit der Guardia Nueva. Auch der Tanzstil hat sich weiterentwickelt, es ist die Zeit des ersten argentinischen Stiles, des Tango Quebrada, welcher vereinzelt heute auch in Deutschland gelehrt wird. Man unterscheidet heute in der Entwicklung mehrere Phasen:

Neben Neuer und Dritter Garde behaupten sich jedoch auch traditionelle Tendenzen. Besonders nach 1955 bilden sich einige Musikerensembles, die auf die Aufführungspraxis der Alten Garde zurückgreifen.

Musik

Als Musikform charakterisieren den Tango vor allem Rhythmik, Tempo, Besetzung und Tongebung, das heißt der spezifische Klang der Instrumente. Harmonik und Melodik entsprechen grundsätzlich den Schemata der traditionellen europäischen Musik. Da es sich – nach einer Anfangsphase der Improvisation – vom Ende des 19. Jahrhunderts an um Kompositionen namentlich bekannter Musiker handelt, ergibt sich daraus, daß das gesamte Tangocorpus, etwa im Unterschied zum Jazz, eine in die Tausende gehende Zahl von persönlich geprägten, individuell definierten Themen aufweist.

Die instrumentale Besetzung der Tangoensembles, deren Stärke nicht festgelegt ist, umfaßt in der Regel nur Chordophone einschließlich Klavier sowie das Bandoneon. Die »orquesta típica«, so heißen die Orchester ab der Größe des Sextettes, besteht typischerweise aus vier Bandoneons, vier Geigen, einem Kontrabaß, einem Klavier und dem Sänger/der Sängerin. In der Frühzeit des Tangos, in der Trios oder Quartette vorherrschten, waren außer Geige und Bandoneon noch Gitarre und Querflöte vertreten, während das Klavier vor 1913 nur als Soloinstrument Verwendung fand. Ihre charakteristische Klangfarbe erhalten die Tangoensembles vor allem durch das Bandoneon.

Der Tango wird weltweit getanzt

Der Tango erobert Europa, auch Deutschland. Neben anderen verbietet die Königlich-Bayerische Polizeidirektion in München den Tango: »Zum Fasching 1914 wird der Tango ein für allemal verboten. Nach Sachverständigenurteil ist er mehr ein sinnliches Reizmittel als ein Tanz.«. »Der Tango ist in Buenos Aires ausschließlich ein Tanz schlecht beleumdeter Häuser und Tavernen der übelsten Art. Niemals tanzt man ihn in anständigen Salons oder unter feinen Leuten. Für argentinische Ohren erweckt die Musik des Tangos wirklich unangenehme Vorstellungen. Ich sehe keinen Unterschied zwischen dem Tango, den man in den eleganten Tanzschulen von Paris tanzt und dem der niederen nächtlichen Vergnügungsszene von Buenos Aires. Es ist der gleiche Tanz mit den gleichen Gesten und Verrenkungen.« So zitiert ein Londoner Journalist 1914 Argentiniens Botschafter Larreta in Paris, zu einer Zeit, als der Tango in Europa in Mode kommt und in den Herkunftsländern ein Tanz der außerbürgerlichen Szene ist. Die Reaktion Enrique Larretas ist bezeichnend. Er, eine Person der argentinischen Oberschicht, für die Paris der Kulturmittelpunkt ist, muß miterleben, wie ein Tanz mit Begeisterung aufgenommen wird, für den seine Schicht nur Abscheu übrig hat. Europa interessiert sich nicht für die hohe Kultur Argentiniens, sondern, wie es Dieter Reichhard formuliert, für die Ausgeburt des ungebildeten Pöbels.


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