backIsraelische Choreographen

Shmulik Gov-Azi

Von Matti Goldschmidt

Shmulik Gov-Ari bereichert bereits seit über einem viertel Jahrhundert die israelische Volkstanzszene mit eigenwilligen Choreographien. Viele seiner Tänze gehören mittlerweile zum Standardprogramm eines israelischen Volkstanzabends.

Shmulik, 1957 in Nahariyah (1) geboren (beide Eltern kamen bereits als Kinder aus dem Jemen ins Gelobte Land), kann sich nicht daran erinnern, irgendwann einmal nicht getanzt zu haben. So wurde Shmulik das Tanzen praktisch in die Wiege gelegt und bis heute dreht sich sein Leben um eine der – zumindest für ihn – schönsten Sachen der Welt. 1963 siedelte die Familie in die etwas südlicher gelegene, gemischt arabisch-jüdische Stadt Akko über, in der Shmulik, inzwischen selbst Ehemann und Familienvater, auch heute noch mit seiner Familie lebt. Dort begann er schließlich im Alter von ungefähr sechs Jahren, regelmäßig an israelischen Volkstanzkursen teilzunehmen. Während seiner Oberschulzeit besuchte er die Tanzveranstaltungen der damals wichtigsten Tanzleiter nördlich von Haifa (der sog. »Kiriyoth«), darunter diejenigen von Yankele Levi (2), Menakhem Menakhem (z«l) oder Bentzi Tiram (3). Als ganz selbstverständlich betrachtet es heute Shmulik, damals in verschiedenen Aufführtanzgruppen mitgewirkt zu haben; als Mitglied der populären Karmon-Tanzgruppe wurde es ihm ermöglicht, gar nach Europa zu reisen, damals für viele junge Israelis die einzige Möglichkeit, das als finanziell unerschwinglich geltende Ausland zu besuchen.

Bald nachdem Shmulik in einem Jugendzentrum Akkos seinen ersten eigenen Tanzabend leiten konnte und in Haifa unter der damaligen Leitung von Tamar Elyagur (4) und Jonathan Gabai den sog. Ulpan (5) absolvierte, versuchte er sich auch in eigenen Choreographien. Als seinen ersten Tanz überhaupt nennt er »Shir Same'akh«, choreographiert auf ein Lied von Uri Shevakh (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Lied von Mordechai Za'ira), das allerdings niemals Einzug in die israelische Volkstanzszene fand. Weitere Tänze aus diesen frühen Jahren sind übrigens bis heute »unveröffentlicht« (etwa »Debka Yodfath«). Wie Shmulik näher erläutert, waren seine damaligen Choreographien auch kaum dafür gedacht, von einem breiten Publikum getanzt zu werden, vielmehr sollte die Lust an Kreativität durch neue Schrittkombinationen auf ausgewählte Melodien Ausdruck finden. Darüberhinaus war Anfang der 70er Jahre der relativ kleine Kreis von Tanzleitern und Choreographen sehr auf Abgrenzung bedacht, an jungen – und dadurch vielleicht auch unerfahrenen – Neueinsteigern wurde wenig Interesse gezeigt. Im Gegenteil, so stellt Shmulik im Rückblick mit Bedauern fest, scheint es ihm heute, daß das »Establishment« eine gezielte Entwicklung seiner Begabung nicht zulassen wollte. Als Mentor und Förderer entpuppte sich schließlich Yankele Levi, der Shmuliks offensichtliche Begabungen zu würdigen wußte und dessen ersten veröffentlichten Tanz, `Yom Alef ba-Shavua' (ca. 1974), auf vielen Tanzabenden weitergab. In dieselbe Periode fallen schließlich auch Choreographien wie »Anavai«, »Ahavath ha-Khayalim« oder »Stham Yom shel Khol«. Nach dem obligatorischen Militärdienst in einer Kampfeinheit begann Shmulik ein Sportstudium am Wingate-Institut (südlich von Netanyah gelegen) mit Schwerpunkt Tanz; in dieses Studium fallen solche Fächer wie klassisches Ballett, moderner Tanz, Musik, Choreographie usw.. Shmuliks Ruf als charismatischer Tanzmeister eilte ihm voraus, und bald wurde er gebeten, ein neues Kursprogramm für israelische Volkstänze am Institut aufzubauen (seine Tanzabende am Institut mit Hunderten von Teilnehmern waren über Jahre hinweg landesweit bekannt und überaus populär).

Auf die Frage, wie Shmulik seine Tänze choreographiert, gibt es keine eindeutige Antwort. Jede Musik setze neue Bedingungen, jede Schrittkombination baue auf alten Erfahrungen und Erkenntnissen auf, kreiere aber wiederum neue. Auf die musikalische Grundidee, gegliedert durch den Anfang, den Mittelteil sowie den Schluß, setzt Shmulik als erstes eine Art `tänzerisches Bild' – gewissermaßen als Übersetzung von Klang in körperlichen Ausdruck. Die Schritte selbst erfolgen in einem späteren Stadium als konkretes Resultat jenes Bildes, so etwa in »Anavai« mit einer Schrittkombination, die einfach an das Treten auf Weintrauben erinnere, in »Shabekhi Yerushalayim« mit einer Umsetzung des Bibeltextes auf die Tanzschritte oder in »Eizeh Shemesh Mevurecheth«, indem der Optimismus, den das Lied ausstrahle, oder und die imaginäre Morgensonne einfach zu fühlen seien, ob man nun wolle oder nicht... Shmulik sieht seine Choreographien zu vorgegebener Musik als Ergänzung und Vervollständigung einer musikalischen Idee. Und schließlich hält er erst dann einen Tanz für gelungen, wenn seine Kollegen, die über 500 Tanzleiter Israels, einen Tanz von innen her begreifen, denn letztlich sind es diese, die den Tanz weitergeben und somit die Entscheidung über die Aufnahme einer neuen Choreographie in die israelische Volkstanzszene bestimmen.

Unmittelbar nach Beendigung seines Studiums am Sportinstitut (mit akademischen Abschluß) bot ihm das israelische Ministerium für Erziehung eine Dozentenposition an der gleichen Hochschule an. Dies ließ ihn jedoch nach einigen Jahren unzufrieden; Shmulik dachte an persönliche Entwicklungs- und Entfaltungsmöglichkeiten, so daß er 1992 mit seiner Familie Israel verließ, um sich für (»genau«) zwei Jahre mit seiner Familie (Heirat 1989, 2 Kinder) in den USA niederzulassen. Dort befaßte er sich insbesondere mit dem Programm »Judentum durch Tanz«. Ziel dieses Programmes ist, über den Tanz (jüdische) Interessenten mittels Video, CD, Audiokassetten oder anderen Medien dem Judentum näher zu bringen. Insbesondere osteuropäische Juden sehen darin eine positive Orientierungshilfe zur Identitätsfindung, wie die Erfahrung seit der Auflösung der UdSSR zeigt (6). Nach seiner Rückkehr aus den USA beauftragte ihn das israelische Kulturministerium mit Organisations- und Koordinationsaufgaben im Bereich Tanz für das Gebiet Nordisrael. Mit dem gewerkschafts-affiliierten »Verband der Tanzmeister« mit Sitz in Tel Aviv beschränkt Shmulik die Kontakte auf ein Minimum, da er zum einen als Professioneller und Familienvater einfach zu wenig Zeit für zusätzliche ehrenamtliche Aufgaben findet, zum anderen kann er sich mit einer Mehrzahl der Mitglieder nicht identifizieren, die mehr an einer persönlichen Karriere mit Hilfe des Verbandes als an der Sache selbst, der Förderung des israelischen Volkstanzes zum Wohle aller, interessiert seien. Nichtsdestotrotz ist er jederzeit bereit, an über den Verband initiierten Kursen organisatorisch und auch praktisch mitzuwirken, soweit seine Teilnahme explizit angefordert wird (z.B. die Bibeltänze im Juli 1998 auf dem XI. Tanzfestival in der galiläischen Stadt Karmiel).

(Mit Shmulik Gov-Ari sprach Matti Goldschmidt im August 1997 in Bedford, England)


(1) Nahariyah, nördlichste am Mittelmeer gelegene Stadt Israels, wurde 1934 von deutschen Einwanderern gegründet, heute ca. 44.000 Einwohner. 
(2) Levi: vgl. Choreographenserie no. 4. 
(3) Tiram: vgl. Choreographenserie no. 8.  
(4) Elyagur: vgl. Choreographenserie no. 9. 
(5) Ulpan: Ausbildung zum Tanzlehrer für israelische Tänze, Vorausbedingung zur Aufnahme in den gewerkschafts-affiliierten »Verband israelischer Tanzmeister« mit Sitz in Tel Aviv, vgl. dazu Matti Goldschmitt, »Mit israelischen Tänzen leben« in FOLKSBLATT 2/92. 
(6) Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang der Einsatz der Israeli Folk Dance Association (IFDA) unter der Leitung von Maurice Stone mit Sitz in London, die sich um Stipendien bemüht, um damit jungen jüdischen Erwachsenen aus den Staaten des ehemaligen »Ostblocks« Tanzfortbildungskurse in England zu finanzieren. Wie die Praxis zeigt, gelingt es vielen dieser Absolventen, eigene Volkstanzkurse in ihren Heimatstädten zu organisieren und somit über den Tanz einen erfolgreichen Beitrag zum Wiederaufbau aktiver jüdischer Gemeinden zu leisten. 


Hinweis der Redaktion:
Matti Goldschmidt hat im Leipziger Folksblatt regelmäßig über die israelische Choreographenszene berichtet. Vor dem Hintergrund der dort und seit 1998 im Folker! veröffentlichten Beiträge handelt es sich bei dem Porträt von Shmulik Gov-Ari um die Nummer 17 dieser Reihe.


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