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Khaled – Taha – Faudel

Die drei Tenöre des Raï

Von Karen Pfundt

Ein Mammutkonzert vereinte im vergangenen Herbst in Paris drei Meister einer Popmusik mit nordafrikanischem Ursprung: Khaled, in Algerien geboren, nach Frankreich übergesiedelt, Rachid Taha, in Algerien geboren, in Frankreich aufgewachsen, und schließlich Faudel, in Frankreich geboren und die jüngste Raï-Hoffnung. Ihr grandioser Erfolg war auch ein Triumph der Musik der nordafrikanischen Einwanderer. Mit »1, 2, 3 soleils« liegt nun eine Live-CD mit dem Konzertmitschnitt vor, die im April den Sprung in die Top Ten der World Music Charts Europe geschafft hat. Karen Pfundt hat den gemeinsamen Auftritt von Khaled, Taha und Faudel gesehen.

Samstag, 26. September 1998, Palais Omnisports de Paris Bercy, eine der größten Hallen, die Paris zu bieten hat. 16.000 Zuhörer warten auf drei Stars des Raï: auf Khaled, den König des Raï; auf Faudel, den Kronprinzen, und schließlich auf Rachid Taha, das Enfant terrible. Über 50 Musiker werden an diesem Abend auf der Bühne stehen. Sechs Millionen Mark wird sie den Veranstalter kosten, diese größte Popproduktion des Jahres. Schon seit Monaten hat man überall in Paris die Plakate für diesen Abend gesehen. Draußen vor den Toren des Bercy-Stadions stehen Tausende von Fans, in der Hoffnung, vielleicht doch noch eine Schwarzmarktkarte zu ergattern. Vergeblich, das Konzert ist seit Wochen ausverkauft.

KHALEDEntsprechend ist die Atmosphäre im Saal – aufgeheizt, gespannt. Ein paar algerische Fahnen werden geschwenkt, aber eher wie bei einem Fußballspiel als bei einer politischen Demonstration. Das nordafrikanische Publikum ist in der Mehrheit, aber es sind auch Franzosen da. Die »Prominenz« ist auch vertreten, mit Sting zum Beispiel und dem Modemacher Jean-Paul Gaultier. Ein Gast auf den VIP-Rängen wird besonders heftig begrüßt: Cheb Mami ist gekommen, als Zuschauer. Daß er, der die Entwicklung des Raï in Frankreich so geprägt hat, heute abend nicht auf der Bühne stehen wird, hat er der Tatsache zu verdanken, daß er bei der falschen Plattenfirma unter Vertrag steht: Er gehört nicht wie Khaled, Faudel und Rachid Taha zu einem der Labels des Platten-Multis Polygram. Da helfen auch keine Zurufe aus dem Publikum – das Konzert beginnt ohne ihn.

Nabil Khalidi, Virtuose auf der arabischen Laute Oud, spielt ein langes Intro. Hossam Ramzy, einer der bekanntesten Percussionisten des arabischen Raums, begleitet ihn mit drei weiteren Bendir-, Derbuka- und Tar-Spielern. Aziz Ben Salem spielt die Ney, die arabische Flöte. Dann fallen die Streicher ein: zwanzig Violinen, Violas, Celli und Bässe aus Ägypten und ein zwölfköpfiges Ensemble aus Frankreich. In diesen traditionellen, kompakten nordafrikanischen Klangkörper drängt sich dann die Rhythmus-Section von David Bowie: Zachary Alford am Schlagzeug und Gail-Ann Dorsey am E-Baß. Und schließlich kommt noch eine ganze Phalanx von Gitarristen, Saxofonisten, Keyboardern, Trompetern und Posaunisten dazu. Dann der große Moment – Khaled, Rachid Taha und Faudel treten auf das riesige Plateau und fangen gleich zu dritt an zu singen.

»1, 2, 3 soleils« – so heißt das Motto des Abends – »Ein, zwei, drei Sonnen«. Das ist der Titel eines Films von Bertrand Blier, zu dem Khaled die Filmmusik schrieb. Die Presse, die schon im Vorfeld so ausführlich wie nie über die drei Musiker berichtet hatte, nennt sie nur noch »Die drei Tenöre des Raï«. Zweieinhalb Stunden lang singen Khaled, Rachid Taha und Faudel abwechselnd solo, in Duos und Trios ihre großen Hits, Khaled sein »Aïcha«, das monatelang – auch in Deutschland – aus allen Radios klagte, Faudel sein »Tellement n'brick«. Beide Lieder klingen mit den ägyptischen Streichern im Hintergrund plötzlich klassisch-imposant, viel weniger schmalzig als im Original. Rachid Taha`s »Ya Rayah«, das im letzten Jahr unerwartet ein regelrechter Club-Hit geworden war, kommt mit noch mehr Techno-Bässen als sonst. Das Publikum nimmt alles mit Begeisterung auf. Es ist ein einzigartiger Triumph für die Musiker.

Ein großer Erfolg – auch kommerziell – für Plattenchef Pascal Nègre. Er hat das Gipfeltreffen der drei Raï-Tenöre in seinem Hause arrangiert und finanziert. Sechs Millionen Mark haben die Vorbereitungen gekostet, acht Monate Arbeit für die beteiligten Musiker. Viel für ein einmaliges Ereignis, aber die Kosten sollen durch den Verkauf des Live-Albums hereinkommen, das im Frühjahr auch in Deutschland erschienen ist. Der Boß des größten Labels auf dem französischen Markt ist dabei nicht etwa auf einen fahrenden Zug aufgesprungen. Er war vielmehr der erste, der gegen den Widerstand seiner eigenen Leute Khaled 1992 einen Plattenvertrag gab, als noch keiner bei den großen Plattenfirmen so recht absehen konnte, wie beliebt der Raï bald werden würde, nicht nur beim arabischen Publikum.

Das Konzert in Bercy ist also auch ein Triumph für die Musik der ungeliebten nordafrikanischen Einwanderer. Der Weg war lang, von den Bordellen der algerischen Hafenstadt Oran, wo der Raï Anfang des Jahrhunderts entstanden war, über die algerischen Chebs und Chebbas, die »Jungen«, die ihn Ende der siebziger Jahre wiederentdeckten und sich zu eigen machten, bis hin zum ersten Festival des Raï in Frankreich, im Jahre 1986. 1992 ist das Jahr des Durchbruchs. Khaleds Song »Didi« ist der erste algerische Hit in den französischen Charts. Heute stellt der Raï in Frankreich etwas dar, was der Reggae für Großbritannien bedeutete, nämlich eine universelle Jugendkultur.


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