back»Es kommt auf die musikalische Aussage an«

Patrick Molard

Ein Piper aus der Bretagne

Von Andel Bollé
(Das Portrait beruht auf einem langen Abendgespräch zwischen Patrick Molard, Anke Hiestermann, Heidi Rasche und Andel Bollé).

Im vergangenen Herbst hatte Folker!-Mitarbeiter Andel Bollé das Vergnügen, bei einem Bretagneaufenthalt den Dudelsackspieler Patrick Molard zu besuchen.

Der bretonische Musiker bewohnt ein altes Haus in der Zentralbretagne, unweit von Maël-Carhaix, zusammen mit seiner Lebensgefährtin Anke Hiestermann. Sie hat die sinnvolle Einrichtung deutsch-französischer Partnerstädte sehr wörtlich genommen hat. Sie arbeitet im Office de Tourisme in Carhaix, wo man beste Informationen über die Folkszene erhält.

Discographie

(CD-Auswahl, angegeben sind die Aufnahmejahre)

1983 »Ar baz valan« (Keltiagraphie/Keltia Musique KMCD 87)
1985 Gwerz (ohne Titel) (Ethnéa ET 8803 AR)
1987 Gwerz »Au Delà« (Excalibur DAS CD 821)
1988 Crépillon/Bigot/Molard »Ar Sac'h Ler«(Escalibur CD 826)
  Diverse Interpreten »Dañs« (Adipho IG C01)
1989 Den »Just Around The Window« (Escalibur CD 830)
  Pennoù Skoulm »Fest noz« (Escalibur CD 854)
1992 Gwerz »Live« (Gwerz Pladenn GWP 001)
  »Pìobaireachd« (Gwerz Pladenn GWP 003)
1993 Triptyque (ohne Titel) (Gwerz Pladenn GWP 002)
  Jacques Pellen »Celtic Procession« (Silex Y 225028)
1994 P. M. & Youenn Le Bihan »Er Bolom Koh« (Gwerz Pladenn GWP 007)
1996 Diverse Interpreten »2nd Grand Concert Of Piping« (Greentrax CDTRAX 128)
1997 »Biniou Braz« (Cinq planètes CP 022972)
  Diverse Interpreten »The Piping Concert« (Lochshore CDLDL 1270)
  Christian Duro »Sonneur Fisel« (Escalibur CD 872)
  Diverse Interpreten »The Gathering« (Real World CDRW 62)
1998 Alain Genty »Le Grand Encrier« (Keltia Musique KMCD 92)

Mit ultimativen Formulierungen soll man vorsichtig sein, das Prädikat »der beste ...« wird schnell allzu Vielen zuerkannt, meistens ohne Zustimmung der Betroffenen. Patrick ist nun zweifellos einer der profiliertesten, sicher aber der vielseitigste Piper in der Bretagne und einer der wenigen, die sowohl Biniou koz (alter bretonischer Dudelsack) wie Biniou braz (große Highland Bagpipes) spielt. Geboren 1951 in St. Malo begann er als 14jähriger Bombarde und Highland Pipes zu spielen und landete bald bei der dortigen Bagad »Quic en Groigne«, später bei der Pipe-Band »Ah Ere« von Rennes, wo er in Jakez Pincet seinen ersten wichtigen Lehrer traf. 1970/71 ging er nach Aberdeen, um bei Robert Brown und Robert Nicol die klassische Form schottischen Dudelsackspiels zu erlernen, die Pìobaireachds (sprich: Pibrochk), von denen er gut 100 beherrscht (einige zu hören auf der CD »Pìobaireachd«, 1992).

Beim bretonischen Folk-Revival Mitte der 70er Jahre war Patrick von Anfang an dabei, bei Alan Stivell natürlich, mit Dan Ar Braz, aber auch in eigenen Gruppen wie »Ogham« oder »Satanazet«. Nicht zu vergessen Patricks jüngere Brüder, von denen Jacky nicht nur als exzellenter Geiger, sondern auch als Produzent (Gwerz Pladenn) eine bedeutende Rolle spielt, während Dominique einer der wenigen einfühlsamen Schlagzeuger der Folkszene ist (unlängst bei Skolvan eingestiegen). Entscheidende Marksteine, nicht nur für Patrick selbst, sondern für die gesamte bretonische Entwicklung, waren bzw. sind zweifellos die Gruppen »Gwerz«, »Den« und »Pennoù Skoulm«.

Mittlerweile genießt Patrick großes Renommee in der Fachwelt der Piper und wurde mehrfach zu diversen »Piping Concerts« eingeladen, zusammen mit Größen wie John MacLean, Malcolm Robertson (CD: »2nd Grand Concert of Piping«, Edinburgh 1996) oder Angus MacDonald, Paddy Keenan, Gordon Duncan (CD: »The Piping concert«, 1997). Er spielt dabei nicht nur bretonische Tunes auf dem großen Schotten – die bretonische Entsprechung des Pìobaireachd heißt Biniaouerezh oder Pibaerezh (zu hören auf der letzten Solo-CD »Biniou braz«, 1997) – sondern regelmäßig auch andere Pipes, wobei er die Frage nach dem Lieblingsdudelsack für so unbeantwortbar hält wie die nach der Bevorzugung eines seiner drei Kinder.

Neben dem Biniou braz brachte Patrick sich noch einige andere Dudelsäcke autodidaktisch bei, darunter natürlich das in der Bretagne unvermeidliche Biniou koz, das mit der Bombarde zusammen gespielt wird, beide nach Patrick eigentlich »ein Instrument, auf zwei Personen verteilt«. Langjähriger Couple-Partner ist Youenn Le Bihan (CD: »Er bolom Koh«, 1994), mit dem er 1984 und 1985 das »Championnat des Sonneurs en Couple« in Gourin gewann. Letztes Jahr belegte er mit Michel Keranguyader den zweiten Platz in der Gesamtwertung des Concours Bombarde/Biniou braz (in den Teilkonkurrenzen »Mélodie« und »Marche« den ersten).

Des weiteren ist Patrick ein mehr als passabler Uilleann Pipes-Spieler (bei »Pennoù Skoulm« z. B.), wenngleich er diese mit einem gewissen bretonischen »Akzent« spielt, wie er sagt. Seit gut zwei Jahren greift er auch zu den Scottish Small Pipes. Er beherrscht auch Tunes auf der bulgarischen Gaïda (zu hören auf der Triptyque-CD, 1993), die indes für die keltische Musik wegen der charakterisierenden Verzierungstechniken nicht so geeignet ist; nicht nur ein Problem des Fingersatzes, sondern auch der verfügbaren Töne. Small Pipes und Highland Bagpipes sind im Fingersatz identisch, während etwa die diversen französischen Cornemuses anders gebaut sind. Daß Patrick keine Cornemuse spielt, ist aber eher eine Folge des unterschiedlichen musikalischen Feelings der französischen Bordunmusik, die ja in der Regel auch die Drehleier zum Partner hat, die es zwar auch in der Bretagne gibt, die aber außerhalb der nordöstlichen Region keine Bedeutung hat. Hinzu kommt sicher die vergleichsweise unterentwickelte Szene im übrigen Frankreich, wo man sich sehr um eine Wiederbelebung von außen bemüht; die Verwurzlung scheint bei weitem nicht so ausgeprägt wie in der Bretagne, trotz der poulären Bourrée-Tänze. Das Festival von St. Chartier im Juli ist zwar ein Mekka, berechtigterweise, aber Leute aus der Region sieht man relativ wenig. Einige kleinere Events in dessen Sog profitieren von dessen Popularität und Besuch, bleiben aber zahlenmäßig gering im Vergleich zur fest-noz-Tradition der Bretagne, von der Menge der Musiker und Bands ganz zu schweigen. Es ist bezeichnend, daß der überwiegende Teil der im französischen »trad magazine« rezensierten CDs aus der Bretagne kommt und bretonische Artikel verschoben werden müssen – wie der über den Skolvan-Akkordeonisten Yann-Fañch Perroches (N° 61) – um die Ausgewogenheit nicht zu gefährden.

So wundert es nicht, daß die musikalischen Beziehungen zwischen der Bretagne und dem übrigen Frankreich weitaus geringer sind als zu den sog. keltischen Ländern. Es ist wohl müßig, darüber zu diskutieren, ob nun alles wirklich keltisch ist, was dafür ausgegeben wird, und für Patrick auch nicht wichtig. Für ihn ist ein Piper wie der Bulgare Petko Stefanoff letztlich genauso wichtig wie die »Neukelten« aus Asturien und Galizien, es kommt auf die musikalische Aussage an.

Im letzten Herbst kam Patrick gerade von einer zehntägigen Tournee aus Galizien zurück, wo er u. a. am von Raúl Piñeiro organisierten »1. Festival Interceltico de Maestros Solistas de la Gaita« teilnahm, u. a. mit »Guti« Fernandez (Asturien), Rory Campbell (Schottland), Carlos Lorenzo (Galizien) und Mick O'Brien (Irland). Die Szene Galiziens/Asturiens ist noch relativ jung und ein wenig chaotisch, wie Patrick berichtete, aber außerordentlich rege und von erstaunlichem Potential. Es gibt doch einiges mehr als nur Carlos Nuñez, der den kommerzielleren Weg eingeschlagen zu haben scheint. (Einer der interessantesten Musiker dort ist derzeit der Gaita-Spieler und Flötist Xosé Manuel Budiño). Allein in der Provinz Orense gibt es mehr als 1.000 Gaita-Spieler. Bei einem Kurs für Highland Pipes in der dortigen Escuola di Gaita im Juni letzten Jahres sah sich Patrick mit nicht weniger als 70 Interessenten konfrontiert, die an schottischem Grace-Noting interessiert waren.

Die Beziehungen zwischen der Bretagne und Galizien sind recht intensiv. Es sieht dort nicht nur ähnlich aus, es gibt auch dort eine Region namens »finisterre« (ein Ende der Welt im Westen), bretonische Musik ist außerordentlich bekannt und beliebt, z. T. auch ähnlich, gibt es dort mit dem »Alala« ein dem bretonischen Gwerz entsprechenden Gesangstypus. Die Folkrock-CD von »Den« kennt nahezu jeder. Patrick zeigte sich nicht wenig beeindruckt von seinem eigenen Bekanntheitsgrad dort, selbst Bankbeamte schüttelten ihm die Hand, was in Carhaix, wo er wohnt, selten vorkommt. Als einer der ersten hatte er mit »Aires de Pontevedra« ein galizisches Stück aufgenommen (auf seinem ersten Soloalbum »Ar baz valan« von 1983, letztes Jahr auch als CD erschienen), geradezu eine galizische Hymne. Alle Konzerte Patricks in Galizien waren rappelvoll wie eigentlich immer, wenn Pipes im Spiel sind.


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