backHiphop und Folk gegen Purismus

Seltsame, aber Lecker Sachen aus Köln

Von Michael & Christian Moll

Die Brücke zu schlagen zwischen so unterschiedlichen Musikrichtungen wie Folk und Hiphop, dazu gehört schon einiger Ideenreichtum. Lecker Sachen haben dieses Ziel zumindest zum Teil bereits erreicht. Ihre Musik geht bei weitem über Folk hinaus. Sie ist außerordentlich ausgeklügelt und wird mit viel Pep präsentiert. Lecker Sachen sind ohne Zweifel eine der vielversprechendsten und spannendsten Bands, die Deutschlands Folkszene seit langem hervorgebracht hat. Als Geheimtip kann man sie heute, nach ihrem zweiten Platz beim Deutschen Rock-Förderpreis '98 und dem zweiten Platz in dem von Viva 2 übertragenen Triebwerk '98 eigentlich schon gar nicht mehr nennen. Für Folkfans sind sie es allerdings schon noch.

»Folkhippop« nennen die Kölner Musiker ihre einzigartige Musik – eben Folk + Hiphop + Pop. Eine Gemeinsamkeit stellen sie gleich heraus: zwei dieser Musikformen kommen »von ganz unten«, aus dem tiefsten Inneren – sowohl Hiphop als auch Folk. Lecker Sachen wollen eine Brücke bauen zwischen den Lagern, »so daß wir uns in der Mitte der Brücke alle zusammen treffen können mit unserer Musik und zusammen bei Hochwasser (war damals in Köln gerade aktuell; Anm. d. A.) Feste feiern«.

Folk nimmt eine ganz besondere Stellung in der Musik der Lecker Sachen ein. Fiddlerin Lisi, die einen Irish Folk-Hintergrund hat, erklärt: »Hiphop ist vor allem das fette Schlagzeug und das Gerappe, aber Folk ist die eigentliche Seele – die ganzen Instrumente und die flotten Reels, die wir da einbacken, und die folkloristischen Jubeljauchzer dazwischen.« Markus, »Herr Be«, ergänzt: »Unsere beiden Herzen – Lisis und meins – schlagen überwiegend für den irischen Folk. Wobei es sicher auch World Music- und Ethno-Strömungen gibt, die man bestimmt verarbeiten könnte.« »Und was den Hiphop angeht, so kann man nur sagen, daß die wenigsten wissen, was in der Szene abgeht. Es gibt unglaublich viele Parallelen zwischen den Folkies und den Hiphoppern. Vor allem gibt es in beiden Szenen Puristen. Doch selbst die könnten, wenn sie nur wollten, die existierenden musikalischen Parallelen entdecken. Und irgendwann klopfen wir uns alle auf die Schultern, und – ehm – dann hören wir alle Lecker Sachen...«

Folkies können erst einmal beruhigt werden, daß es Markus, dem Schöpfer von Lecker Sachen, früher nicht anders ging als den meisten aus der Folkszene: »Ich habe immer gesagt, Hiphop ist keine Musik.« Aber tief in ihm drin haben ihn immer die Grooves im Hiphop beeindruckt – aber das konnte er sich zunächst nicht eingestehen. Das Schlüsselerlebnis fand schließlich unter mysteriösen Bedingungen in Irland statt – wo auch sonst. Bei einem Besuch bei Freunden mit Pub in Tipperary blieb Markus zusammen mit einem Freund unvernünftigerweise noch den Abend, bevor am nächsten Mittag sein Flug ging. Am Morgen verschliefen sie natürlich, wachten mit einem ordentlichen Kater auf und dachten gleich, sie kriegen den Flug nie. »Wir sind daraufhin mit unserem Kumpel in den Pub gegangen – er ist Barmann – und dann hat er uns erst mal ein paar frische Pints gezapft. Wir haben uns gedacht, daß wir uns jetzt nur noch begraben können. Doch à propos begraben – ein Kumpel von ihm ist Totenträger, den hat er angerufen, und der fuhr uns zum Flughafen. Bei der Tour hat er seinem Namen alle Ehre gemacht. Er ist wirklich gefahren wie ein Totengräber. Unterwegs entdeckte ich im Wagen eine Kassette von House of Pain. Ich hatte von der Gruppe gehört und wußte, daß es Iren sind, die Hiphop machen. Und weil sie aus Irland kamen, wollte ich sie hören. Gleich beim ersten Ton hat das bei mir nur noch Klick gemacht. Seitdem, das ist kein Witz, war für mich Hiphop echt klasse. Trotz unserer Kopfschmerzen waren Lisi und ich komplett weg von dieser irischen Hiphopband.«

Ein weiteres Schlüsselerlebnis, das Markus wesentlich beeinflußt hat, war der Auftritt Eileen Eivers mit Paddy A Gogo auf dem Ballyshannon Folkfestival in Irland: »Eileen Eivers, eine absolute Persönlichkeit in der irischen Geigenszene, kommt mit ein paar Rappern aus den Staaten und macht plötzlich so eine Mischung mit Tunes und Hiphop. Viele Leute sind buhrufend rausgegangen aus dem Festzelt. Mir ist genau das Gegenteil passiert – ich war begeistert.«

So entstand die Idee, Folk und Hiphop miteinander zu verbinden. Und das Publikum von Lecker Sachen zeigt, daß sich die Szenen schon näher kommen, was auch für Markus noch ein kleines Abenteuer bedeutet. An einem Abend spielten Lecker Sachen in einer der bedeutendsten Institutionen der Ruhrgebiets-Folkszene, der Kultkneipe »Sonne«, die mit diesem Konzert ihren 21. Geburtstag feierte. »Tags drauf«, erzählt Markus, »traten wir in einem Laden auf, wo ich in besten Folkzeiten Andy Irvine auf der Bühne spielen sah. Letzte Woche Freitag waren wir in Dülmen im Jugendzentrum auf einer Hiphop-Jam, da waren echt nur Kids, die diese fetten Mützen aufhaben, die Hosen – man kennt das ja – also ein ganz anderes Publikum. Und sie alle finden irgendwo Interesse an unserer Musikmischung.«


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