back25 Jahre Folk-Treffen im Jugendhof Scheersberg

Von Ulli Ehlers und Susanne Kalweit

Zum 25. Mal treffen sich vom 4. – 6. Juni 1999 Schleswig-Holsteins Folkies im Jugendhof Scheersberg (nicht weit von Flensburg). Das Jubiläum steht unter dem Motto »Von 'Snuten un Poten' zur Weltmusik«. Ulli Ehlers1, Mitarbeiter des Jugendhofes und Initiator und Begleiter des Folk-Treffens seit 25 Jahren, hat für die LAG Folk aus dessen Entwicklung berichtet.

Wie alles anfing

Ulli Ehlers kam zunächst nur im Radio mit Folk in Berührung – durch Manfred Bonsons NDR-Sendung »Folkloremusik aus aller Welt«. Als pädagogischer Mitarbeiter auf dem Jugendhof erlebte er »Beatfeste«, die sich in nichts von kommerziellen Konzerten unterschieden. Er fand, daß dies nicht die Aufgabe einer Bildungsstätte sein könne. Als Alternativen gab es Jazz und eine neue Musikrichtung, irische Musik, für die sich eine Band aus Flensburg anbot. Für zwei Mark konnte man daher am 11. Mai 1975 der Gruppe Born To Win lauschen; es folgte – in Anzug und Fliege – die Jazzband Rainy City Stompers. Und weil gerade das Irische so gut ankam, organisierte Ulli Ehlers am 19. Oktober 1975 eine weitere öffentliche Folk-Veranstaltung. Sie gilt als die Geburtsstunde des Folk-Treffens auf dem Scheersberg. 1976 folgte ein Wochenend-Seminar über »Die gesellschaftliche Funktion des Volksliedes«. Die nächtliche, gänzlich ungeplante Session im Speisesaal, u. a. mit Mitgliedern der Eckernförder Suhrbrook Family, ist heute legendär.

Der nächste Schritt war, die Gruppen nicht einfach spielen zu lassen, sondern eine umfassende Konzeption zu entwickeln, die 1978 in einem eintägigen Folk-Treffen mit Konzert und Diskussion umgesetzt wurde. 1979 dauerte das Treffen schon zwei Tage, ab 1981 drei. Schnell wurde der Jugendhof – mit seinem großen Raumangebot, zu dem auch für Tanz, Workshops und Kinderfolk sehr geeignete Rasenflächen gehören2, mit den herrlich gelben Rapsfeldern und dem Blick über die Ostsee – zu einem Geheimtip. Aus den Anfängen mit zwei eingeladenen Gruppen entwickelte sich bald eine Großveranstaltung, die z. T. bis zu 20 spielfähige Gruppen versammelte und – oft zum Ärger des Publikums – ein Doppelprogramm fahren mußte.

Demokratisch beschlossen die MusikerInnen, wer wann und wie lange spielen durfte; diejenigen mit dem weitesten Anreiseweg durften z. B. zuerst spielen. Dadurch wurden die Konzerte manchmal um zwei Stunden überzogen. Trotzdem blieb genug Zeit für Workshops, Gespräche und Sessions bis in den frühen Morgen.

Auch wenn das Programm heute weniger umfangreich ist und das Schwergewicht sich auf die Workshops verlagert hat, sind viele der einmal eingeführten Elemente erhalten geblieben, weil sie den Bedürfnissen der
Beteiligten entgegenkommen. Zum Abschluß des Wochenendes diskutieren alle Interessierten neue Ideen, Anregungen und Kritik, die vom Leitungsteam in die Planung des nächsten Jahres einbezogen werden.

»Wir machen weiter!«

Eckernförde, Elmshorn, Oldenburg oder Kiel sind als Festivalorte schon seit den 70er oder frühen 80er Jahren nur noch Erinnerung. Auch auf dem Scheersberg ließ bereits Ende der 70er Jahre das FolkiInteresse spürbar nach. Deshalb stand das Treffen 1982 unter dem Motto »Folklore Quo Vadis«: »Folk-lore – Volk-lore – Volk-lose (?) Musik« oder »Ist die Folklore dazu verdammt, vor 20 Leuten im Folk-Keller zu versanden?« Gern gibt Ulli Ehlers heute zu, daß diese provokanten Thesen eine Art Werbegag waren. Er und die beiden künstlerischen Direktoren, Walter Peetz und Michael Reinhardt, hatten nicht unbedingt das Ende der Folk-Bewegung vor Augen. Dabei herrschte vielfach Krise: Die Zuhörer fehlten bei großen Festivals und in gut geführten Folkkneipen. Gruppen lösten sich auf, die Medien berichteten schon längst nicht mehr über Folkmusik und sendeten keine Folklore.

Auf dem Scheersberg stand 1982 am Ende jedoch das Versprechen: »Ja, wir machen weiter.« Wir – das waren lauter Gruppen, die es heute nicht mehr gibt: Aver Liekers, Heidehase, Die Igels, Hakke Toene, Geigenleier-Kapelle, Rummelpott sowie einige Gruppen aus Hamburg und Dänemark. Künstlerische Direktoren waren nach Walter Peetz und Michael Reinhardt, die am längsten amtierten, Florian Fürst, Alfred Dieckmann, Kalle Johannsen, Manuel Knortz, Peter Sawallich und, seit drei Jahren, Jörg Geschke.

LAG Folk

1990 zogen erneut dunkle Wolken auf. Die Zuschüsse des Kultusministeriums, für eine Veranstaltung dieser Größenordnung unerläßlich, sollten ganz gestrichen werden, nachdem schon in den Vorjahren heftig gekürzt worden war. Dazu kam eine neue Politik: Da der Jugendhof Scheersberg bereits institutionelle Förderung für seine Arbeit erhielt, sollte die Förderung von individuellen Projekten wie dem Folk-Treffen künftig nicht mehr möglich sein. In einem »Offenen Brief« protestierten die über 100 versammelten Folkmusikerinnen und -musiker bei der zuständigen Ministerin und bei Ministerpräsident Björn Engholm.

Diese solidarische Tat zeigte überraschende Wirkung. In Verhandlungen auf verschiedenen politischen Ebenen konnte ein akzeptabler Kompromiß erzielt werden. Die damalige Referentin im Kultusministerium, Frau Dr. Kadelbach, verlangte etwas, das es bisher zwischen Flensburg und Freiburg, Berlin und Aachen nicht gegeben hatte: »Folkies, organisiert euch!«

In Folkkreisen sah man Vereinsmeierei als eine Sache für Kaninchenzüchter oder höchstens noch für Trachtengruppen an. Und jetzt sollten gestandene Musikerinnen und Musiker – allesamt ausgewiesene Individualisten, die, dem Folke treu, Publikumsgeschmack, Kritikern und Medien die Stirn boten, die sich gegen »Heinos«, Egerländer und musikalischen Einheitsbrei zur Wehr setzten – sie sollten plötzlich einen Verein gründen? Mit Satzung? Von den organisatorischen Fragen, in denen sich niemand auskannte, mal ganz abgesehen. Es half die Einsicht in die Notwendigkeit – kein Verein, kein Geld, kein Folk-Treffen. Die Landesarbeitsgemeinschaft Folk Schleswig-Holstein e.V. (LAG Folk) gründete sich.

In den fast neun Jahren ihres Bestehens hat sie sich von der Zwangsgemeinschaft sehr schnell zu einer Lobby für die Folkmusik gewandelt, die heute überall im Lande anerkannt ist und »modellhaft für ganz Deutschland wirkt« (so Prof. Erich Stockmann vom Deutschen Musikrat). Seit 1991 hat die LAG Folk maßgeblich die Organisation der Folk-Treffen in die Hand genommen. Ihr erster Sprecher und Motor der Vereinsgründung war Alfred Dieckmann, sein Nachfolger Rainer Schwarz, beide ehemals Mitglieder von 'Aver Liekers'. Dritter 1. Vorsitzender wurde schließlich – und ist bis heute – Jörg Geschke, der in nächtlichen Scheersberg-Gesprächen »weichgeklopft« werden mußte zur Kandidatur, dann aber mit vollem Einsatz an die Arbeit ging.

Wer sonst noch vor oder hinter den Kulissen geholfen hat, das Folktreffen am Leben zu erhalten, kann hier nicht aufgezählt werden. Es wird von vielen Leuten getragen, die nicht nur als Teilnehmerinnen und Teilnehmer kommen, sondern jedes Jahr Ideen beitragen und bereit sind, einen Teil der Arbeit zu
übernehmen. Besonders die letzten drei Treffen »Folk Meets Jazz«, »Folk geiht Platt« und »Folk geht über die Grenze(n)« fanden wieder riesiges Interesse. Leider geht damit keine finanzielle Verbesserung einher – im Gegenteil, die gewachsene Attraktivität kostet zusätzliches Geld. Auch in Zukunft wird sich also jedes Jahr wieder die Frage stellen: »Wer soll das bezahlen?«

Musiker für Musiker

Weshalb hörte »der Scheersberg« nicht – wie viele andere Festivals – einfach auf zu existieren? Die Antwort sieht Ulli Ehlers einmal darin, daß es wohl als einziges Festival von Leuten organisiert wird, die Musik machen, für Leute, die Musik machen. Weitere Gründe sind die durchweg gute Resonanz in der Presse und in den Medien sowie die Solidarität, die sich jeweils an Punkten entwickelte, als das Festival bedroht war, und die bis heute fortwirkt. Ein weiterer Grund – den er nicht nennt – heißt wohl Ulli Ehlers. Nicht ohne Grund gehört er der LAG Folk als Ehrenmitglied an.

Jubiläumstreffen

Zum Jubiläum haben sich Gruppen der ersten Stunde angesagt – Aver Liekers, Born To Win, Moin, Schmelztiegel, Suhrbrook Family und Liederjan, daneben aber auch neue Gesichter wie die Schrägen Vögel, allesamt unter 27, und als Bonbon die Kerberbrothers Alpenfusion, Deutsche Folk-Förderpreisträger 1998.

Info und Anmeldung beim Jugendhof Scheersberg, 24972 Quern, Tel. 04632 / 84 80 0, Fax 84 80 30.


zurück


Home


vor


Aktuelles im Folker! 3/99