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Die Neue Deutsche Folk-Punk-Welle

Von Judith Fischer

In den letzten Jahren sind in der deutschsprachigen Musikszene ein paar exotische Gewächse aus dem Boden geschossen. Kritiker und Journalisten bemühen alle möglichen Wortkreationen, um diese Erscheinung zu bezeichnen: Folk-Punk, Folk-Metal, Folk-Core... Eine Gruppe bezeichnet ihre Musik scherzhaft als Blockflötenpunkrockfolk. Am besten scheinen diese Gewächse im Norden und im Osten der Republik zu gedeihen. Beinahe schon zu den Veteranen zählen, wenn man die Schnellebigkeit des Geschäfts bedenkt, die Berliner Inchtabokatables. Schon zu DDR-Zeiten waren die fünf Musiker in der halbwegs geduldeten, aber vielleicht gerade deshalb sehr bunten und lebendigen Mittelalterszene zu Hause. Aus dieser Zeit stammt noch die Figur des Totengeigers, die für eine Rockband ungewöhnlichen Instrumente und das Motto »no guitars«, dem die Band auf allen mittlerweile fünf Alben treugeblieben ist. Für das fünfte Werk »too loud« zeichnen Uwe -voodo – Knack, der Gründer des Voodo Clubs, als Produzent und Eroc als Co-Produzent verantwortlich. Letzteren bezeichnete Sänger Robert alias Breuler als «einen der produktivsten Mitarbeiter, die wir je hatten.«

Demselben Boden sind zwei weitere Gruppen entsprungen. Seit nunmehr zehn Jahren unterwegs auf mittelalterlichen Märkten (und den dazugehörigen Gelagen) sind die »Könige der Spielleute« Corvus Corax. Die Geburtsstunde dieser Formation war eine Nacht- und Nebelaktion während der Aufnahmen zur Musik eines Märchenfilms im März '89, bei der sich die Gründungsmitglieder Castus Rabensang, Meister Selbfried und Venustus Oleriasticus mit zwei befreundeten Musikern im Studio einschließen ließen und die erste CD »Ante Casu Peccati« aufnahmen. Verstärkung bekamen die fünf 1996 mit Tritonus dem Teufel und im Mai letzten Jahres mit Hatz als zweitem Trommler. Wo die mittlerweile siebenköpfige Truppe mit bis zu fünf Dudelsäcken, Schalmeien und Trommeln aufzieht, verbreiten sie eine Stimmung, die zum Spruch der Spielleute im 14. Jahrhundert paßt, als die Pest in Europa wütete: »Zieht mit uns von Stadt zu Stadt/ nur wer die Tanzwut in sich hat/ der kann in diesem kranken Leben/ sich über die Pestilenz erheben.«

Discographie

--> Inchtabokatables
Inchtomanie (BMG 11850-2) 1992
White sheep (BMG 11890-2) 1993
Ultra (BMG 22805 2) 1994
Quiet! (BMG 74321 30612 2) 1997
Too loud (BMG 74321 55053 2)

--> Corvus Corax
Ante Casu Peccati (1989)
Congregatio (1991)
Inter Deum Et Diabolum Semper Musica Est (1993)
Tritonus 1995
Corvus Corax – live auf dem Wäscherschloß 1998
Viator 1998

--> Subway To Sally
Album 1994 (EFA11928-2)
MCMXCV (EFA 03207-2) 1995
Foppt den Dämon! ( BMG 74321 35965 2) 1996
Bannkreis (BMG 49171-2)

Die Schnitter
Mähdrescher (EFA 12782-2) 1997
Arg (EFA 15755-2) 1998

Letze Instanz
Brachialromantik (EFA 12785-2) 1997

Mutabor
Mutabor (Virgin) 1997

Tanzwut nennt sich folgerichtig auch das neue Projekt von Corvus Corax. Während die Musiker bisher weitgehend auf elektrische Verstärkung verzichteten, um die Stücke möglichst authentisch darzubieten, ist Tanzwut der Versuch, nicht nur mittelalterliche Melodien durch E-Gitarren und elektronische Klänge zu modernisieren, sondern einen neuen Stil zu kreieren. Eine wichtige Rolle spielen dabei auch die eigenen Texte. »Tanzwut wird deutsche Texte haben, weil wir die Eindrücke aus dem Leben in einer Großstadt wie Berlin nicht auf englisch ausdrücken könnten,« meint Castus Rabensang auf eine diesbezügliche Frage. Einen kleinen Vorgeschmack konnte man auf dem einen oder anderen Open Air-Festival im Sommer erleben. Obwohl das Projekt damals noch in den Kinderschuhen steckte, darf man auf die erste CD und eine weitere Tour gespannt sein, die für Anfang '99 geplant sind, zumal Jahn Gaffrey, seines Zeichens Produzent der Toten Hosen für die Zusammenarbeit gewonnen werden konnte. Den zahlreichen Fans der »schwarzen« Szene dürfte diese Entwicklung jedenfalls entgegenkommen. Daß Tanzwut mittlerweile eine eigenständige Band geworden ist, bedeutet nicht das Ende von Corvus Corax. »Wir hängen sehr an beiden Projekten«, verrät Castus.

Im Jahr 1993 erblickte Subway To Sally in der heutigen Form vor den Toren Berlins, genauer gesagt im Potsdamer Lindenpark, das Licht der Welt. In der folgenden Jahren ist es der »wilden Sieben« um den Frontmann Eric »Fish« Hecht gelungen, aus dem Schatten der befreundeten Inchties zu treten, einen eigenen Stil zu finden und eine wachsende Fangemeinde um sich zu scharen. Den Ausdruck »Folkmetal« hören sie nur noch ungern. Eher verstehen sie sich als progressive Rockband, die versucht, verschiedene Stilelemente zu integrieren. Dazu meint Gitarrist und Texter Bodenski: »Wir adaptieren keine irischen, schottischen oder mittelalterlichen Weisen, indem wir sie mit Rockinstrumenten spielen, sondern wir versuchen mehr und mehr, Musik so zu schreiben, wie es die Meister oder Bänkelsänger damals getan hätten, wenn sie unser heutiges Instrumentarium gehabt hätten.« Dazu haben sicherlich die ungewöhnliche Kombination der Instrumente, die Bodenski als »Schicksalsfügung« bezeichnet, und die unterschiedlichen Wurzeln und Werdegänge der Musiker beigetragen. Autodidakt Eric Fish fing »nur« als Dudelsack- und Flötenspieler an, aber seine Vorliebe für ausgefallene Outfits und Bäder in der Menge sorgen heute bei Fans und Hassern der Band gleichermaßen für einen bleibenden Eindruck. Frau Schmidt stammt aus einer sehr musikalischen Familie und hat langjährigen klassischen Geigenunterricht genossen, bevor sie Folk für sich entdeckte. Leadgitarrist Ingo, der für die Arrangements verantwortlich zeichnet, hat sogar ein Studium an der Musikhochschule hinter sich. Von ihm stammen auch die Metal-Elemente des StS-Sounds. Schlagzeuger David dagegen begann seine Karriere in einer Jazzband. Dann gibt es noch die »Unwürdigen« (O-Ton Bodenski), Sugar Ray, Simon und Bodenski, die »nur« in der Musikschule Baß bzw. Gitarre gelernt haben. Die Vorliebe von letzterem für expressionistische Dichter und historische Schmöker schlägt sich in den vieldeutigen bis kryptischen Texten nieder.

Wo Subway To Sally zur Metapher greifen, da nennen Die Schnitter die Zustände, die ihnen zuwider sind, ganz ungeschminkt beim Namen. Die Kassler verstehen sich als politische Band und unterstützen amnesty international, Umweltschützer und die AntiFa. Es ist sogar schon vorgekommen, daß sie einen Auftritt ohne Geigerin Bettina bestreiten mußten, weil diese bei den Protesten gegen die Castor-Transporte in Ahaus verhaftet worden war. Der Einfluß des Punkrock ist unverkennbar bei dieser Formation, die sich vor der Veröffentlichung ihrer ersten CD »Mähdrescher« unter dem Namen Stonehaven schon einen Namen als Lokalmatadoren gemacht hatten. Nicht umsonst nennen sie auf die Frage nach Vorbildern New Model Army als Beispiel. Der Anstoß zur Umbenennung war übrigens von der Plattenfirma ausgegangen, die befürchtete, daß eine Band mit englischem Namen und deutschen Texten sich nicht vermarkten lassen würde. Mit »Die Schnitter« wurde durch die Anspielung auf die Tagelöhner einerseits, den »Schnitter Tod« andererseits, ein sehr sinnfälliger Name gefunden. Neben eigenen Texten verwenden die vier um Leadsänger Ralf Kemper Lieder aus der Zeit des dreißigjährigen Krieges und dem Vormärz, die auch heute nichts von ihrer Aktualität eingebüßt haben.

Die Dresdener Letzte Instanz, die in ihrer Heimatstadt bereits Kultstatus genießen, beginnen sich auf ihrer Tour »quer durch diese kaputte Welt« ein Publikum im Rest der Republik zu erspielen. Das Erstlingswerk »Brachialromantik« erntete überwiegend gute Kritiken. Auf dem Album werden ironische Anspielungen auf die Kunstmusik (Ouvertüre, Sinnfonie) mit Hardcore und Technorhythmen verbunden. Mit viel schwarzem Humor beschreiben die Texte den ganz normalen Wahnsinn des Alltags. Auch live kommt das Zusammentreffen von Geige, Cello und Schalmei mit harten Gitarrenriffs gut an. Auf den Konzerten der Herbsttour konnte man einen Vorgeschmack auf das nächste Album und Robinson als neuen Sänger erleben. Auf die Frage wie es zur Trennung vom bisherigen Leadsänger »Hörbi« kam, meinte ein Bandmitglied: »Wir haben uns nicht mehr so gut verstanden, und er war auch nicht mehr bereit, an sich zu arbeiten und sich weiterzuentwickeln.«


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