dem Bertolt »Eugen« Brecht die Frauen ja auch nicht davon, obwohl er sie, wie die Germanistik neuerdings zu enthüllen wähnt, schamlos enteignet und ums Urheberrecht behumst haben soll. Fassen wir uns kurz, und des Dichters Namen künftig besser als Markenzeichen auf. Nur wo »Dings« draufsteht, ist auch »Dings« drin. Das gilt natürlich auch vice versa, beispielsweise für den frischgebackenen stellvertretenden PDS-Vorsitzenden. Der kann nun Hüsch, Degenhardt, Wallraff, was-weiß-ich auf die Hülle drucken lassen, heraus kommt doch bloß immerzu Dehm, Dehm und Dehm. Möge der Sozialismus unter seiner Führung noch weit herrlicher obsiegen als bisher schon. Fragen wir uns lieber, wie's um die Neuen Werte nach der Wende, das randlose Haifischbecken der Marktwirtschaft und die Piraterie des Computerzeitalters steht. Immerhin muß die Plattenbranche derzeit nicht bloß Millionen von CDs, sondern auch rund sieben Prozent Umsatzrückgang verpacken.
Der Geschäftsführer des Musikverleger-Verbandes DMV und des Gesamtverbandes Deutscher Musikfachgeschäfte deutet mit ausgestrecktem Zeigefinger auf den Schuldigen: die Jugend von heute. Er vermutet »die Haupttäter unter Zwölf- bis Fünfzehnjährigen«, wie ein Bericht der Süddeutschen Zeitung zitiert: »Die kommen mit CD-Brennern auf den Schulhof, brennen Kopien und verkaufen diese an Mitschüler.« Eingelegt, wie zu vermuten ist, in handelsüblichen (durchsichtigen) Plastikhüllen. Leider fehlt dann, wie bei Drogen aus dem Chemiebaukasten, der Beipackzettel mit der Nummernfolge. Deshalb treffe man die Bagage gleich anschließend in der Fußgängerzone wieder. Vor den Medienshops drücken sie sich an den Grabbelkästen herum und friemeln frech aus den (gewöhnlich tonträgerfrei) dargebotenen CDeckeln die Heftchen heraus. »Doppelten Schaden« für die Händler registriert Heinz Stroh: »Zum einen können sie in der jugendlichen Zielgruppe weniger CDs absetzen, andererseits sind die CDs ohne Inlays nicht mehr verkäuflich.« Und noch immer keine Aussicht auf eine brauchbare, kopienverhindernde Datenverschlüsselung (ebensowenig wie bei Softwareprogrammen...)
Da haben wir's. Erst die gute alte Vinylscheibe mit ihren opulenten, kunstgerecht aufgepopten Covern abschaffen (Wißt ihr noch? Sgt. Peppers Schnittmusterbögen? Andy Warhols Hosenstall auf Sticky Fingers? Die sind heut' Hunderte wert, und bei kratzerfreiem Inhalt nur noch bei Sotheby's erhältlich) und dann jammern. »Kopien brennen«, wie das schon klingt jedenfalls nicht allzu weit weg von Raub-, Mord- und nichtlizensierter Schnapsbrennerei. Ja, ich bekenne: Haben wir auch gemacht zwischen zwölf und fünfzehn. LPs einmal kaufen, Musikkassetten in Klassenstärke kopieren. (By the way, wo finden die auf dem Schulhof 'ne Steckdose für ihre Rechner?)
Wie schön für die Branche, daß wir nicht ewig fünfzehn bleiben. Das dicke Ende folgt unweigerlich: Wir werden sechzehn, siebzehn, gar zwanzig, siebenundzwanzig, siebenundvierzig... Imperien geraten ins Wanken, Märkte brechen weg, Firmen gehen bankrott, und neues Leben blüht aus den Turbinen. Gewiefte Tonbandwürmer wo sind sie geblieben? schnitten damals schon lieber SWF-3-Ausstrahlungen mit und drückten bei der Verkehrsdurchsage die Pausentaste (daher das im Grunde überflüssig gewordene Relikt, der Pieps vor- und nachher). Revoxologie war ein teures Hobby, wenigstens in den Anschaffungskosten, und die salatträchtigen und nie trackgenau vorzuspulenden Magnetstreifen konnten »authentisches« Rillenvinyl nicht ersetzen. Waren sie abgenudelt, konnte man das schwarzbraune Gewurstel allenfalls als Trauerkonfetti bei Bestattungsfeiern verwenden.
Dann verpaßte BASF den Umstieg ins MusikCassettengeschäft, der Walkman eroberte den öffentlichen Nahverkehr, und selbst Autofahrer hatten auf 30-, 90-, 120minütigen Etappen eine echte Lausch-Alternative. Doch auch jetzt noch griff der Musikfreund reiferen Alters zur gepflegten Abendunterhaltung aufs Grammophon zurück. Und wer den Text nicht verstand, mußte sich ein Songbuch oder irgendwann dann doch mal die Originalscheibe mit dem Kleingedruckten dabei besorgen.
Derzeit regiert die CD. Ein paar Jahre ist es den Multis gelungen, der Kundschaft den Haupttrumpf zu unterschlagen: ihre digitalen Vorzüge. Die fehlerfrei zu kopierende, auf Wunsch immer neu organisierbare Datenstruktur war allenfalls eine Extrawurst für Produzenten. Einst galt die »erste« eigne Platte unter Liedermachern als Prestigeobjekt, sie erschien in diskophilen Liebhaberauflagen, wurde auf Tourneen mitgeschleppt und von der Freundin in den Pausen feilgeboten. Ein Geheimtip lautete, das garagen-produzierte Masterband in Belgien pressen und die Cover mehrwertsteuerneutral gleich mit über die grüne Grenze zu holen. Heute überschwemmen Nachwuchstalente den Markt mit billigen On-demand-Silberlingen. Und rate mal: Welche sind die teuersten CDs auf dem Markt? Die liebevoll remasterten Langspielplatten mit Original-Trackfolge! Warum nicht mehr vom Medium CD verlangen? Den riesigen brachliegenden Speicherplatz benutzerfreundlich gestalten, interaktive Anwendungen drauflegen, Erinnerungen, Bilder, Kommentare, frei wegzublendende Tonspuren als Mitspielchance... frei nach Brecht: Geh, mach' die Musik von damals nach?
Doch schon steht die nächste Innovation ins Haus: Format MP 3. Online wird derzeit angeblich keine Zeichenfolge öfter in die Suchmaschinen eingetippt als diese (von S, E und X abgesehen). Mit MP 3 läßt sich feinste musikalische Schlemmerkost auf sage und schreibe einem (1) Megabyte servieren, von Datenbank-Anbietern kostenlos bereitgehalten und jederzeit abrufbar. Besser noch, wir laden die Web-Musi gleich auf CD-ROM herunter. Wo bleiben da wohl die Urheberrechte, mag mancher sich kopfschüttelnd fragen. Gemach auf EG-Ebene wird derzeit über eine Abgabepflicht bei kommerzieller Verwertung dieses Materials verhandelt. Und wie beim Wettlauf zwischen Has' und Igel rasen wir im Stoppelhopserschritt weiter: Wozu überhaupt noch Tonträger? Das Media Lab des Massachusetts Institute of Technology verheißt neuerdings Computer im Turnschuhabsatz, sponsored by NIKE. Körpernahe Schwachstromnetze, die uns mit dem Internet verbinden, ersetzen künftig den Walkman. Durchwaten wir die Datenströme, Brillen-Displays vor Augen, Antenne auf der Pudelmütze, die Welt als Schnittstelle und das Ohr wie eine klaffende Wunde immer am Frequenzpuls der Bewußtseinsindustrie...
Nikolaus Gatter
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Die Folker!-Kolumne 3/99