Wenn der Wind es will, finden wir Sand aus der Sahara mitten in Europa. Besonders gerne läßt er sich auf Autos nieder, als wolle er damit unsere Rast- und Ruhelosigkeit anprangern: Da, wo ich herkomme, gibt es noch Zeit zur Muße. Und Parkplätze auch. Was der Wind nicht hier herüberträgt, ist die Musik der Menschen aus Westsahara. Die behält der Wind gerne für sich. Weil sie so schön ist.
Von Luigi Lauer
Die Menschen, die diese schöne Musik machen, nennen sich Sahrauis. Es sind faszinierende Menschen. Die Männer mit ihren gegerbten Gesichtern, jede Falte wie der Jahresring eines Baumes. Der immerfort mahlende Sand hat ihre Haut bearbeitet, und jede Furche im Antlitz erzählt ihre Geschichte vom Leben zwischen den Dünen. Die Frauen malen sich mit Henna kunstvolle Zeichnungen auf Arme und Hände, Bilder, die an die Schnitzereien auf afrikanischen Trommeln erinnern. Dazu Ringe, Armreifen und Haarschmuck aus Perlen das ist Anmut, im unverbrauchten Sinne des Wortes. Die Geschichten aus Tausendundeiner Nacht fallen einem wieder ein. Aber waren die nicht erfunden?
Die Sahrauis entstammen keiner abendlichen Lagerfeuer-Phantasie. Sie sind weit wirklicher, als es manchen lieb ist. Deshalb müssen sie in Flüchtlingslagern leben, vertrieben vor über 20 Jahren von den Marokkanern und Mauretaniern, nachdem Spanien sich nach mehreren UN-Resolutionen zurückziehen mußte. Mauretanien hat sich längst aus dem Konflikt verabschiedet, der Krieg wurde schlicht zu teuer. Marokko dagegen hat es weiterhin auf die reichen Phosphatvorkommen der Westsahara abgesehen. Phosphat entsteht aus Phosphor, und daraus bittere Ironie waren auch die Bomben gemacht, die damals über die Sahrauis nieder gingen. Nun leben sie im Exil, 200.000 an der Zahl, auf algerischem Boden, nahe der Grenze zu ihrer Heimat, die eingemauert und vermint ist. Dort in den Lagern, mitten in der Einöde, machen sie das beinahe Unmögliche möglich: Sie pflegen ihre Traditionen und erhalten ihre Kultur am Leben. Und das, obwohl sie selbst ständig um ihr Überleben kämpfen müssen, nicht selten in der Gefahr, zu verhungern. Ohne Hilfslieferungen sähe es noch viel schlimmer aus. Das Völkerrecht ist zwar auf ihrer Seite, ebenso wie die Institutionen, die für ihre Einhaltung verantwortlich zeichnen: der Internationale Gerichtshof und die Vereinten Nationen. Nur sie tun nichts. Dennoch denken die Sahrauis nicht ans Aufgeben und verbringen die Zeit, die Marokko mit seiner Hinhaltetaktik erzwingt, mit Kulturpflege. Wer dabei an Müßiggang denkt, liegt allerdings weit daneben. Die Sahrauis wissen sehr genau, daß eine gemeinsame Kultur auch für eine gemeinsame Identität steht, daß sie die Menschen einigt und Kräfte bündelt und die haben sie bitter nötig. Kultur wird so zu einem Teil des Überlebenskampfes, und der wird vor allem von den Frauen getragen.
Was Wunder, daß die Musik der Sahrauis aus jeder Pore Schweiß und Blut absondert, daß sie nach Angst, Entbehrungen, Erniedrigungen und dem Widerstand dagegen klingt. Oder kurz: nach Blues. Wenn, wie viele afro-amerikanische Bluesmusiker sagen, den Blues nur spielen kann, wer ihn auch hat, dann ist dieses Volk prädestiniert für ohrenbetäubende Schwermut. Natürlich dominiert der Freiheitskampf die Texte, der Verlust der Heimat, das Ende der »Reisefreiheit«, die ein Nomadenvolk naturgemäß besonders trifft. Aber auch der unbedingte Wille zum Sieg ist Gegenstand vieler Lieder, verstanden als Feststellung wie Ansporn. All das zeigt, wie sehr das Exil die Sahrauis belastet, deren Lieder sonst lyrische Kunstwerke sind, dominiert von den großen Themen Liebe und Religion. Selbst Alltagsthemen bekommen einen anderen Stellenwert, hat sich das »Alltägliche« doch in kurzer Zeit dramatisch verändert. Ein wenig fühlt man sich tatsächlich an ein kleines gallisches Dorf erinnert, das beharrlich der römischen Übermacht trotzt. Nur, daß hier niemand Troubadix verprügelt. Vielleicht mehr noch als im Mali-Blues eines Ali Farka Toure bringen die Sahrauis mit einfachen, sparsamen Mitteln eine Stimmung zustande, die einen geradezu erschauern läßt. Die Lebensfreude und der Frohsinn blitzen nur gelegentlich durch. Wenn hier gute Laune hörbar wird, dann hinter vorgehaltener Hand. Nicht, daß diese Menschen zum Lachen in den Keller gingen, keineswegs. Aber sie lachen durch den Schleier ihrer Erfahrungen. An die Musik der Sahrauis zu gelangen, war bis vor kurzem kaum möglich. Obwohl seit 1991 jährlich ein Kulturfestival stattfindet, das als Wettstreit zwischen den einzelnen Flüchtlingslagern ausgeführt wird, ist doch wenig veröffentlicht worden. Es gab, 1982, eine von dem Spanier Manuel Dominguez herausgegebene Platte, betitelt »Polisario Vencerá«, »Polisario wird siegen«. Die »Frente Polisario«, das ist die Partei der Sahrauis, gleichzeitig auch Exilregierung und Militärrat. Das Album gibt es jetzt wieder zusammen mit zwei weiteren CDs in einem großzügig angelegten Set. Herausgegeben hat es wiederum Manuel Dominguez, inzwischen Chef der bekannten Weltmusik-Schmiede NubeNegra. Er hat sich die Sache etwas kosten lassen, allein das ehrt ihn. Zwei Wochen war er mit einem kleinen Team und empfindlichster Ausrüstung unterwegs, um in teils abenteuerlicher Manier Klang und Atmosphäre der Musik einzufangen, Gespräche zu führen und Kenntnisse zu sammeln.
Sahrauis Die Musik der Westsahara (NubeNegra/Intuition) 3 CDs in einer Box, Gesamtlaufzeit (46 Tracks) 2 Std. 46 Min.; Booklet Deutsch/Englisch, 120 Seiten. Preis: 49,90DM. Exklusiv bei Zweitausendeins.
|
|
|
|
Mehr über die Sahauris im Folker! 2/99