...im karnevalistischen Köln mal wieder die Schreibmaschinen heiß und alle Fässer über. Diskussionsrunden nahmen kein Ende, Leserbriefe quollen aus den Spalten. Kein schwuler Prinz, keine Kamellen-Korruption war Anlaß des Skandals, sondern das neue Programm der Stunksitzung. Wie bitte? Stunksitzung?
Da setzt seit ein paar Jahren ein domstädtischer Komikerklüngel dem hirnlosen Vereinsgeblödel der Humbatäterä-Tradition eine kraftvoll-satirische Alternative entgegen. Die - stets prekäre - Balance zwischen aktuell-politischen Sujets und bierseligem Grölklamauk wurde unter der Ägide Becker, Köster & Co. ein wohlverdienter Erfolg. Gutes Beispiel ist jener Sketch vom vorvorigen Jahr mit der hach-so-aufgeklärten Yuppie-Dame, die ihr feindressiertes, antiautoritär-gewaltfrei erzogenes Sohnemännchen nur zögernd zum Schmuddelfußballplatz schickt. Der urkölsche Trainer läßt "Severin" umstandslos gegen Mehmet, Milosz und Mustafa antreten, wo er sich ganz elternwidrig als hartgesottener Abkocher bewährt. Gut und schön. Mit solchen Scherzen lacht sich die Linksschickeria ihre eigene Multikulti-Bigotterie vom Buckel. In dieser Saison bringen die Jecken allerdings ein Thema in die Bütt, das dort kaum hingehört - auf keinen Fall in der dargebotenen Form.
Vordergründig geht`s um deutsche Unternehmen, die sich bekanntlich um Rentenzahlungen an NS-Zwangsarbeiter drücken. Wenn die nun aber doch noch zahlen täten, spekuliert das bemühte Autorenteam, würden sie eine gigantische Werbekampagne damit verbinden. Titel: Hey Jude 2000. Fiktive Reklamesprüche, die "Christian und Doro" zur allgemeinen Gaudi dann vom Stapel lassen, bilden die eigentlichen Knalleffekte. Zitat: "Taste the feeling of Jewish Culture, oder Ohne Rauch geht`s auch ..." von Haribo das neue Fruchtgummi Jud Süß, "... für das Grundschulalter das Würfelspiel Mosche ärgere dich nicht" ...", erstmalig die Jewish Trophy vor Judäa über den Libanon nach Syrien und zurück übern Jordan ... von Mercedes die J-Klasse mit dem Davidsstern...". Und so weiter. Alles heiter?
Der tosende Applaus erinnerte fatal an braune Zeiten. Damals wurden mit nicht weniger zugkräftigen Sprüchen und parodistischen Brettspielen (übrigens mit fast wortgleichem Titel) Enteignung, Deportation und Völkermord eingeleitet. Verhöhnung jüdischer Nachbarn durch Hakenpappnasen und Rosenmontagswagen hatte, wie fotographisch dokumentiert, auch im Kölner Karneval Konjunktur. Scharfe Kritik gegen die fidelen 1999er Nachkommen äußerte zunächst die jüdische Gemeinde. Man traf sich zum Meinungsaustausch, klopfte sich wohlwollend auf die Schulter und mißverstand sich gründlich. Verbitterung machte sich anderntags breit, als der Sketch zwar ein wenig gestrafft, aber mitnichten substantiell verändert oder gar gestrichen wurde.
Halthalthalthalt, widersprechen verblüffte Stunkbefürworter, gemeint war das doch alles ganz, ganz anders!? Pro-jüdisch und gegen Bonzen, Kapital und Politik? Dies die politische message, wie sie Sitzungspräsidentin Biggi Wanninger in ihrer Einleitungsmoderation, wie sie meint, unmißverständlicher auf den Begriff bringt: "...da gibt es eine gute und eine schlechte Nachricht. Die schlechte ist: die deutsche Industrie, die Banken und Versicherungen haben sich 50 Jahre lang geweigert, Entschädigungen bzw. Sparguthaben und Lebensversicherungen zurückzuzahlen. Die gute Nachricht ist: Das hat sich gelohnt, denn von den Überlebenden hat fast keiner überlebt."
Spätestens an dieser Stelle sind ein paar Selbstverständlichkeiten festzuhalten. Erstens: Kabarett und Karneval vertragen sich wie Kopf und Bauch. Wahrt man im Kabarett amüsierte Distanz zum Vorgetragenen, wird bei der Büttenrede über jeden dämlichen Brüllwitz gejuchzt. Vorm "Brettl" läßt sich erforderlichenfalls Dissenz durch Stirnrunzeln und Applausverweigerung artikulieren - in der vollgequetschten, konfettiberieselten Besäufnishalle gibt man sich lustvollem Massentaumel hin. Für "Stimmung" sorgt man selbst. Schunkeln, Pfeifen und Johlen sind die zulässigen Ausdrucksformen des närrischen Publikums. Blaukreuzler gehen ja auch nicht zum Dubliners-Schwoof, Vegetarier sollten Barbecues meiden. Alles andere wäre miesepetrig. Eine Karnevalssitzung kann man nicht türenschlagend verlassen. Daraus erwächst eine gewisse Verantwortung für das, was auf der Bühne verzapft wird. Es sollte nicht gerade ein Doppelbödigkeits-Intelligenztest sein.
Zweitens: Falls die Spaßvögel das, was sie finster entschlossen bis Aschermittwoch allabendlich durchziehen (und womöglich in die TV-Aufzeichnung bringen), dennoch für politisches Kabarett ausgeben, wäre das Thema erst recht verfehlt. Der Parodist muß den Feind kennen, nennen, überrennen! Was-wäre-wenn-Satire, die hintenrum durch die Brust nach vorn zielt, schlägt anderswo ein als geplant. Die vorgetragenen Gags gehen nämlich mitnichten auf Kosten der Bosse, Werbefritzen und Antisemiten. Sie destillieren den Spaß aus den Opfern der Verfolgung, die sich in der Kölner Lokalpresse empört zur Wehr setzten. Und: wenn Firmen Überlebende entschädigen das soll's auch geben - , weshalb die (vermeintlich) falschen Motive anprangern (sind die nicht letztendlich egal?), und nicht vielmehr jene, die dem guten Beispiel nicht folgen? Seiner diffusen Zielrichtung wegen hinterläßt der Sketch den unguten Eindruck, er mache sich über die von Martin Walser strapazierte "Moralkeule" lustig. Als wolle man suggerieren: Wer sich in Deutschland judenfreundlich äußert, tut`s immer nur in heuchlerischer Absicht. Und dieser Befund wäre ja auch nicht viel wahrer als gewisse Kapriolen der Werbebranche, siehe Benneton.
Drittens, woran Ignatz Bubis mit vollem Recht in der Walser-Debatte erinnert hat: In unterschwelliger Perfidie koppelt die öffentliche Meinung in Deutschland, selbst wenn`s um berechtigte Ansprüche geht, immer wieder die Vorstellungskreise "Juden" und "Geld" aneinander. Diese Tendenz sollte man auch bei besten politischen Absichten nicht durch stereotype Wiederholung bedienen. Dabei geht's beim Thema Zwangsarbeit gar nicht ausschließlich um jüdische Verfolgte, sondern z.B. auch um Sinti und Roma... Und, last but not least: es gibt auch Beifall von der falschen Seite. (Mit dem muß natürlich auch die Stunkkritik rechnen. Christlichen Inquisitoren, denen die Alternativ-Sitzung seit Jahren ein Dorn im Auge ist, melden sich jetzt besonders eifrig zu Wort: Siehstewohl, haben wir's nicht gleich gesagt... aber merke: Es macht einen gewissen Unterschied, ob sich KZ-Überlebende verletzt fühlen, oder ob kirchlichen Institutionen, dem Papst und seinem selbstgewählten Erzbischof ans Bein gepinkelt wird, deren Vorgänger durch ihr Konkordat mit Hitler die Machtergreifung abgesegnet hatten.)
Als wäre des Walserns noch nicht genug, setzte PR-Mann Winnie Rau am Schluß der Debatte noch eins drauf. Er gab die Parole Augen zu und durch aus - und zugleich dem Wunsch Ausdruck, nun möchten doch bitte "jüdische Künstler" das Team beraten, welche Witze denn angängig seien für die Stunksitzer und welche nicht. Ohne zu merken, wieviel latenter, meinethalben unbewußter Antisemitismus sich in solcher Zuständigkeitsrhetorik entäußert. Hatte man einst, als der "Tünnes"- hierorts eine beliebte Karnevalspuppe - ans Kreuz genagelt wurde, etwa bei Jürgen Fliege nachgehorcht, wie man solche Mätzchen am geschmackvollsten serviert? Wo sollen denn im Land der Täter und Henker die jüdischen Künstler herkommen, die ihren geistig verarmten Komikerkollegen Nachhilfe erteilen?
Verteidiger der Stunksitzung brachten übrigens auf der Stelle und mit pawlowschem Strahlemann-Grinsen das beliebte Tucholsky-Zitat an, das sich von weitem wie ein Argument ausnimmt und das da lautet, Satire dürfe - na? was? einfach Aaaahlllässs...
Laßt`s euch gesagt sein, Kollegen: Eins darf sie nicht. Die Pointen von Anno Dunnemals wiederholen.
Nikolaus Gatter
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Die Kolumne im Folker!