US-Klezmer für Israel back

Chava Alberstein und die Klezmatics
mit neuen alten Tönen

Von Thorsten Bednarz

Chava AlbertsteinNicht erst seit dem Grand Prix D'Eurovision des vergangenen Jahres weiß man, daß Israel musikalisch mehr als nur Ofra Haza oder Abi und Esther Ofarim zu bieten hat. Dennoch ist Israel musikalisch gesehen ein weißer Fleck auf der Landkarte – völlig zu Unrecht. Vielleicht liegt es daran, daß man mit dem Land der Juden die falschen musikalischen Assoziationen verbindet.

Orientalische Popmusik hat in Mitteleuropa nun einmal noch nicht sehr viele Freunde, aber eine gewachsene Folklore des Landes Israel gibt es auch nicht. Woher auch, das Land existiert immerhin erst seit 50 Jahren und hatte mit dem politischen Überleben genug zu tun. Für Kulturpolitik reichte es da oft nur im Zusammenhang mit der Unterhaltung der Streitkräfte.

»Für die meisten Menschen ist Israel lediglich ein politisches Subjekt und kein kulturelles«, klagt Chava Alberstein. »Irgendwie kann ich es aber auch verstehen. Doch wenn die Menschen die Zeit und die Ruhe hätten, die politischen Probleme mal für einen kleinen Augenblick beiseite zu lassen, ohne sie gleich zu vergessen, und sich auf die Kultur zu konzentrieren, würden sie tolle Songs, Tanzgruppen und Malerei entdecken. Das sind Dinge, die du sehen kannst, wofür du keine Sprache brauchst.« Chava Alberstein gilt in ihrer Heimat als die große Dame des Folksongs, wird gar als israelische Joan Baez verehrt. Die Sängerin ist etwa ebenso alt wie ihr Heimatland und hat auch rund 50 Alben veröffentlicht, die jedoch in Europa so gut wie unbekannt geblieben sind. Ihre Lieder folgen aber auch nicht dem leicht eingängigen Schema einschlägiger heimischer und internationaler Klezmerbands. Überhaupt ist Klezmer im engeren Sinne ein relativ neuer Begriff, wenn es um die Umschreibung der Lieder Chava Albersteins geht – aus dem ganz einfachen Grunde, daß es in Israel dafür eigentlich keine Szene gibt wie hier. Klezmer wird dort außerhalb der Liturgie so gut wie nie gespielt und die alte Sprache der europäischen Juden, das Jiddisch, ist, ähnlich dem Latein, eine eher säkulare Sprache. Chava Alberstein geht sogar noch weiter, wenn sie sagt: »Die israelische und die jiddische Kultur heute sind Gegensätze. Erst jetzt, wo Israel 50 Jahre alt ist, ist das Land auch alt genug, um zurückzublicken und seine ganz verschiedenen Wurzeln anzuerkennen: die jemenitischen, jiddischen und persischen etwa. Am Anfang versuchten wir, der Vergangenheit zu entkommen, um etwas Neues aufbauen zu können. Wenn alle in Israel weiterhin Persisch, Russisch oder Jiddisch redeten, gäbe es keine hebräische Sprache. Wir haben da etwas neues kreiert, und immer wenn es dazu kommt, dann wirst du extrem. Du zerstörst etwas von deiner Vergangenheit, um eine strahlende Zukunft zu errichten. So haben auch wir viele wunderbare Dinge auf diesem Weg verloren. Jiddisch war so etwas. Es gab drei ganz wesentliche Orte, an denen Jiddisch gesprochen wurde, und überall gab es wesentliche Feinde: in Deutschland war es Hitler, in Rußland Stalin und, auch wenn es nicht gerade ein passender Vergleich ist, in Israel der neue Zionismus, der alles neu aufbauen wollte.«

Und so ging auch ein Großteil der jiddischen Poesie dieses Jahrhunderts verloren, der sich Chava Alberstein nun mit den Klezmatics aus New York auf ihrem gemeinsamen Album »The Well« widmet. Dabei stehen so bekannte Namen wie der von Itzik Manger und Abraham Reisen neben hier eher noch unbekannten Autoren. »Als ich diese jiddischen Gedichte vertonte, da wußte ich, daß ich damit nicht einfach so ins Studio gehen und sie mit irgendwelchen Musikern aufnehmen konnte. Es brauchte mehr als das. Da kam ich auf die Idee, daß das vielleicht ein Projekt für die Klezmatics und mich sein konnte. The Klezmatics & Chava AlbersteinAls ich ihnen die Songs dann vorspielte, wußten sie sofort, was ich wollte. Es war ganz natürlich, vielleicht sogar der einzige mögliche Weg, diese Platte gemeinsam mit ihnen zu machen.« Und immerhin leben die Klezmatics in einer Stadt, in der noch viel Jiddisch gesprochen wird, wo viele der Dichter, deren Poesie auf diesem Album vertont wurde, auch zeitweilig lebten. So hat denn auch Lorim Sklamberg eine besondere Beziehung zu dieser Platte, wohl der ersten, so Chava Alberstein, bei der die Klezmatics von Texten ausgingen. »Ich glaube, es ist etwas ganz Universelles an diesen Gedichten. Chava sagte, daß wir nicht unbedingt von den Texten herkommen. Was wirklich stimmt, ist, daß wir uns vor den üblichen Liebesliedern drückten, weil wir mit unserer Musik andere, humanistisch universelle Dinge ausdrücken wollten – Arbeitslieder etwa oder Songs mit einer progressiven politischen Aussage. Darum drehte sich bei uns alles in den letzten zwölf Jahren. Zum ersten Mal, wie bei einer Bar Mizwah, stehen wir nun vor der Situation, Songs zu spielen, für die wir immer zu schüchtern waren. Aber auch wir brauchten etwas ganz Spezielles, um solche Lieder spielen zu können, und das war für uns dieses Projekt. Wenn du mit diesen Songs etwas machst, merkst du, wie lebendig sie sind, wie sie atmen, und für mich ist es etwas ganz Spezielles, weil sie aus meinem kulturellen Erbe kommen.« Und darüber hinaus, so betont Chava Alberstein, waren dies auch die ersten Songs, die wieder in Jiddisch geschrieben wurden – jedenfalls in Israel. Lediglich in den späten 60er und frühen 70er Jahren gab es ein sehr erfolgreiches Theaterstück von Itsik Manger, das auf der jiddischen Kultur beruhte, ansonsten aber ein modernes israelisches Bühnenstück war. In dieser Tradition würde Chava Alberstein gern ihr gemeinsames Album mit den Klezmatics sehen – aber noch einen Schritt konsequenter, weil Jiddisch gesungen.

Ganz im Gegensatz dazu steht die Pflege der jiddischen Kultur in den USA. Lorim Sklamberg etwa ist neben seiner Musikertätigkeit auch noch Vizepräsident von Living Traditions. »Living Traditions wurde 1994 gegründet, um das 'Klezcamp' fortzuführen. Das ist ein wunderbares 'Fortbildungscamp', das wir nun schon zum 14. Mal veranstaltet haben. Alles begann damit, Leuten zu helfen, Klezmer zu spielen. Heute hat sich das auch auf das Songschreiben, Literatur, Film und Tanz und alle verschiedenen Aspekte der jiddischen Kultur ausgeweitet. Jedes Jahr haben wir einen bestimmten Schwerpunkt und in diesem Jahr ist es, zum Teil auch wegen dieses Projektes, die jiddische Kultur in Israel.« Solcherlei Anstrengungen um die jiddische Kultur sind den Israelis fremd – und nicht nur das, sie weisen sie in gewisser Weise von sich, wie Chava Alberstein sagt: »Ich glaube, sie sehen das mehr als amerikanische Kultur an. Sie wissen auch kaum, was da vor sich geht. Dazu fehlen uns die Informationen. Für die Israelis gehört das zur Diaspora und zu Amerika.« Um dann noch zu ergänzen: »Das grundlegende Problem ist: Klezmermusik ist in Israel eng mit der Religion verbunden, mit den Orthodoxen also. Sie wird nicht als Kunst angesehen sondern als Teil der religiösen Zeremonien.«

Aber nun sind auch die orthodoxen Juden in Israel – im Kampf um Regierungsbeteiligungen und Länderrückgabe oder auch nicht – auf dem Vormarsch. Man sollte meinen, die Politiker und ihre Lobby wären mit sich selbst und den zum großen Teil auch von ihnen selbst verschuldeten Problemen beschäftigt genug, um sich noch um die Kultur kümmern zu können. Aber der religiöse Eifer um die Erhaltung der nach jahrhundertelangem Kampf vermeintlich gewonnenen jüdischen Heimat macht auch vor der Musik nicht halt, was Chava Alberstein in Bezug auf ihre Lieder zu spüren bekam. »Das ist sehr schwierig, denn die Orthodoxen wollen alles zurückdrängen, was nicht in ihre Vorstellung paßt. Sie stehen dem Fortschritt im Weg. Kunst lebt aber von der Bewegung, kann nicht lange auf einem Fleck stehen. Ich lasse mir auch nicht vorschreiben, was ich wie zu singen habe. Wenn es nach den Orthodoxen ginge, sollten Frauen überhaupt nicht singen. Sie würden am liebsten alles kontrollieren, wie sie es früher taten. Sie leben im Widerspruch zur Freiheit, zum Leben eines Künstlers oder Denkers. Es ist nicht einfach, besonders für mich, die ich die jüdische Tradition sehr mag. Sie ist ein Teil von mir und für mich gehört es dazu, auch Zeilen aus der Bibel oder anderen heiligen Büchern zu singen. Aber Frauen sollten das nicht singen, heißt es. Manchmal haben wir da große Schwierigkeiten, denn da wird es ein Politikum und ist nicht mehr Kultur oder Geist.«


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