back»The Times They Are A-Changin´«

Corporate Dylan

Paul Williams kommentiert die Privatkonzerte von Bob Dylan (Übersetzung: Michael Kleff)

Glaubt man dem Wall Street Journal, dann hat Bob Dylan für einen Auftritt hinter geschlossenen Türen im Auftrag des japanischen Börsenmaklers Nomura Asset Capital Corporation $ 300.000 eingesteckt, das Vierfache dessen, was er bei einem »normalen« Rockkonzert bekommt. »Die meisten Musiker sind Kapitalisten, auch wenn sie gerne in einem anderen Licht erscheinen wollen«, kommentierte der Präsident von Nomura Asset Capital gegenüber dem »Wall Street Journal«. Offensichtlich, denn die Liste derer, die sich nicht lange bitten lassen, wenn der Scheck winkt, ist lang: Carly Simon, Sting, die Eagles, Crosby, Stills & Nash, Michael Jackson, Celine Dion, Whitney Houston und Rod Stewart sind nur wenige Namen. Manche machen sich dafür auch auf den beschwerlichen Weg in ferne Länder, wie beispielsweise in ein Sultanat auf Borneo. Und nur von wenigen Künstlern, zum Beispiel von Elton John, ist bekannt, daß sie einen Teil ihrer Einnahmen aus diesen privaten Konzerten für wohltätige Zwecke spenden. Folker! hat Paul Williams um einen »Gastkommentar« zu Dylans Privatkonzerten gebeten. Der amerikanische Journalist beschäftigt sich seit vielen Jahren nicht nur mit Bob Dylans Leben, seinen Texten oder seiner gesellschaftlichen Rolle, sondern vor allem mit seinem künstlerischen Werk als Interpret und Live-Musiker.

Paul Williams, geboren 1948, ist einer der bekanntesten amerikanischen Rockjournalisten. Er gilt als der »Pionier des modernen Rockjournalismus«. Bereits 1966 gründete er »Crawdaddy«, das erste amerikanische Rockmagazin. Bislang sind von ihm 20 Bücher erschienen. Paul Williams lebt in Kalifornien. Seine Bücher über Bob Dylan sind in Deutschland beim Palmyra-Verlag erschienen.

Der Folker!-Herausgeber hat mich gebeten, etwas über »Bob Dylans private Konzerte für große Konzerne« zu schreiben. Ich weiß nicht, ob der Auftritt für den »Papst von Europa« auch unter diese Kategorie fällt. Ich meine, ja. Wie auch immer, in der Tat hat Bob Dylan, wie viele andere »Rock«-Musiker, darunter auch sein Sohn Jakob, in den letzten Jahren mehrmals für große Geldbeträge »private Konzerte« gegeben. Unter anderem für die Nomura Asset Capital Corporation in einem Hotel in Arizona und für die Angestellten der Applied Materials Corporation in einer Sportstätte in San Jose, Kalifornien. Und eins für den katholischen Eucharistischen Kongreß in Bologna.

»So what?« – Was soll's? Ich gehe davon aus, daß das Verhältnis zwischen der Öffentlichkeit (dazu zählen Du und ich) und unseren singenden Helden eine ziemlich sonderbare Sache ist. Was auch immer diese »überlebensgroßen« Figuren machen, es nimmt in unseren Augen geradezu symbolische Gestalt an. Ich habe einen Wall Street Journal-Artikel bekommen mit der Überschrift »Times Are a-Changin'; Rockers Do Industry Gigs«, zusammen mit einer Internet-Meldung, in der ein Fan Dylan als »ziemlich egoistisch« bezeichnet, weil er für einen »Haufen Geld« in San Jose zwei »ursprünglich geplante« Shows im mittleren Westen platzen ließ. Zusätzlich bekam ich die Kopie eines der großartigen Prosa-Gedichte Dylans von 1963, in dem die folgenden Zeilen markiert sind: »...all the things that are sold to make one feel better, ain't none of it worth while« (All die Dinge, die verkauft werden, um dir ein besseres Gefühl zu verschaffen, sind nicht von dauerhaftem Wert). Wahrscheinlich steckt dahinter die Frage, warum sich der jugendliche Antimaterialist jetzt auf einmal wie »jewels an' diamonds an' lollipops« (Juwelen, Diamanten und 'Kies') von Nomura Asset Capital und Applied Materials kaufen läßt. Ironischerweise bekennt sich Dylan in dem Stück zu der Sünde, für die ihn der Fan anklagt: »I'd rather listen to Pete sing »Guantanamera« than to own everything there is town .... (that's my own private selfishness shinin' thru there).« (Ich höre lieber Pete (Seeger) »Guantanamera« singen, als daß ich alles mögliche besitzen möchte ... (das ist mein eigener Egoismus, der hier durchkommt).

Da ich einige durchaus anerkannte Bücher über die Musik von Bob Dylan geschrieben habe, bin ich es schon gewohnt, daß man mich mit der Frage bedrängt: »Was hältst Du davon, daß Bob Dylan für den Papst spielt?«, »Was hältst Du davon, daß Bob Dylan in der Militärakademie West Point auftritt?«, »Was hältst Du davon, daß Bob Dylan vor einer Versammlung von Investment-Bankern spielt?«. Dahinter steckt immer die Vorstellung, daß diese Ereignisse eine geradezu unheilvolle Bedeutung haben. Offensichtlich ist Bob Dylan ein solches Denkmal, gezeichnet von religiösen Zügen oder derart krassem Individualismus, dem wir uns in irgendeiner Weise hingegeben haben. Nur so ist nachvollziehbar, daß, wenn dieses Denkmal Geld von Bankern akzeptiert und seine heiligen Lieder vor ihnen singt, es so erscheint, als ob die Jungfrau Maria oder Buddha höchstpersönlich erwischt würden, wie sie in der Toilette einer Busstation Seeleuten gegen Geld einen blasen.

Was ich davon halte? Ich denke, Bob Dylan hat in den vergangenen 35 Jahren deutlich gemacht, daß er jede symbolische Überhöhung ablehnt, die Fans oder wer auch immer auf ihn übertragen, und daß er die Falle zu vermeiden sucht, wo er sich fragen müßte, »Was werden sie denken, wenn ich das tue?«. Darüber hinaus bewundere ich diesen Mann nicht wegen einiger seiner Anti-Establishment-»Botschaften«, für die er steht, sondern vor allem als unermüdlichen, engagierten und kreativen Künstler. Diese Form von Kunst beinhaltet Auftritte, das Singen und Spielen von Songs (in der Regel mit anderen Musikern) in Plattenstudios, aber vor allem live auf der Bühne vor Publikum. Von Anfang an, schon in den Tagen von Dinkytown und Greenwich Village, lief es so ab: Jemand kassiert an der Coffeehouse- oder Theatertür Eintritt von den Besuchern, die auf diese Weise ihren Respekt vor dem Auftritt zum Ausdruck bringen. Ein Veranstalter bekommt das Geld, um die Miete zu bezahlen und den Künstler, der davon wiederum seinen Lebensunterhalt bestreitet, und so möglichst viele Abende auftreten kann, ohne von einem normalen Acht-Stunden-Tag-Job abhängig zu sein.

Ich bewundere Dylan auch, weil er seine Live-Auftritte als ein Stück Kunst für sich betrachtet – weniger als Möglichkeit, seine Platten zu verkaufen, indem er sie möglichst genau kopiert –, und weil er durch seinen Lebenswandel deutlich macht, daß er lieber irgendwo auf der Welt vor einem Publikum auf der Bühne steht, als irgendetwas anderes zu machen. Der Mann ist Millionär, und doch ist er zehn Monate im Jahr von Stadt zu Stadt unterwegs. Er hat in den vergangenen elf Jahren 100 oder gar mehr Auftritte jährlich absolviert, mehr als jeder andere lebende »Rock«-Künstler, und mit Sicherheit mehr als jeder andere 57 Jahre alte Künstler, ausgenommen als einziger vielleicht sein Vorbild B.B. King.

Bob Dylan macht im Jahr mit Song-Tantiemen zehn Mal mehr Geld als mit dem Nettoeinkommen seiner Auftritte. Es macht also wenig Sinn, ihm vorzuwerfen, er arbeite so hart, weil er scharf auf das Geld sei. Er muß ein anderes Motiv haben. Pablo Picasso war bis ins hohe Alter jeden Tag in seinem Atelier um zu malen. Das war sein Ziel und sein Lebensglück. Aus diesem Grund tritt Bob Dylan auf. (Ich sah ihn jüngst zwei Mal in einem Monat und muß sagen, daß er nichts von seiner feurigen Kreativität, seiner Unberechenbarkeit, seiner Originalität und seiner Freude auf der Bühne verloren hat.)


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