FOLKER – TTIP
Olaf Zimmermann

Gefahr für die kulturelle Vielfalt

TTIP

Was dahinter steht und wie sich dagegen engagiert wird



Seit Monaten sind sie vor allem medial und bei Nichtregierungsorganisationen in aller Munde, die aktuell zwischen der Europäischen Kommission und den USA beziehungsweise Kanada verhandelten Freihandelsabkommen TTIP und CETA. Wobei insbesondere TTIP mehr als ein reines Handelsabkommen ist, es kann aufgrund einer neuen Gesetzestechnik und geplanter zusätzlicher Mechanismen zur Fortentwicklung des Abkommens gravierende Auswirkungen auf die Demokratie haben. Warum Freihandelsabkommen nichts Neues sind, welche Konsequenzen TTIP für den Kultur- und Medienbereich haben könnten und warum über das Kulturkapitel hinaus die zu treffenden Vereinbarungen bei TTIP genau unter die Lupe genommen werden müssen, sind wichtige Fragen, die jeden betreffen.

Text: Olaf Zimmermann

Freihandel und Freihandelsabkommen sind nichts Neues. Wirtschaftshistoriker erinnern gerne daran, dass bereits Mitte des neunzehnten Jahrhunderts eine lebhafte Diskussion zu Freihandelsabkommen stattfand und der freie Handel von Waren und Dienstleistungen sowohl zur Wirtschaftsentwicklung als auch zum Wohlstand einen wichtigen Beitrag leistet. Auch die Europäische Union, speziell der Europäische Binnenmarkt, beruht auf dem freien Handel von Waren und Dienstleistungen. Wenn es um Abkommen mit Drittstaaten wie den USA, hier in Bezug auf das Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP), oder Kanada, hier in Bezug auf das Comprehensive Economic and Trade Agreement (CETA), geht, haben nicht mehr die EU-Mitgliedstaaten bei den Verhandlungen das Heft in der Hand, sondern die EU-Kommission. Beim noch nicht ratifizierten CETA- und beim derzeit in Verhandlung befindlichen TTIP-Abkommen schwenkte die EU-Kommission erstmals in der Verhandlungsarchitektur um. Wurde bislang in Form von sogenannten Positivlisten verhandelt, in denen verzeichnet ist, welche Wirtschaftssektoren in das Abkommen einbezogen werden sollen, wird seit dem CETA-Abkommen mit sogenannten Negativlisten gearbeitet, in denen vermerkt werden muss, welche Wirtschaftssektoren nicht erfasst werden. Das heißt über alles, was nicht dezidiert und rechtssicher ausgenommen ist, wird automatisch verhandelt. Die EU-Kommission versucht zu beruhigen und vertritt die Meinung, dass es sich hierbei lediglich um Gesetzestechnik handelt und im Ergebnis mit Negativlisten das gleiche Schutzniveau erreicht werden kann wie mit Positivlisten. Selbst wenn das stimmen sollte und es sich tatsächlich nur um eine unterschiedliche Herangehensweise handelt, stellt sich die Frage, warum dann die EU-Kommission nicht mehr mit dem Jahrzehnte üblichen Instrument der Positivlisten arbeitet.
» Über alles, was nicht dezidiert und rechtssicher ausgenommen ist, wird automatisch verhandelt. «
Das Umschwenken zu Negativlisten ist zudem mehr als Gesetzestechnik. Es setzt eine veränderte Sichtweise in Gang. Negativlisten bedeuten im Kern, dass zunächst alles in das Abkommen einbezogen wird. Das heißt, alle Sektoren, ganz unabhängig davon, ob sie erwerbswirtschaftliche Ziele verfolgen, ob sie gemeinwohlorientiert sind oder ob sie eine Mischform bilden, sind zunächst einmal Gegenstand der Liberalisierung des Handels mit Gütern und Dienstleistungen. Das Feld wird für alles geöffnet. In einem zweiten Schritt müssen bei Negativlisten Grenzen gezogen, sprich es muss begründet werden, warum dieser oder jener Sektor nicht einbezogen werden soll. Dabei ist nicht nur eine stichhaltige Begründung erforderlich, warum Bereiche ausgeklammert werden, sie müssen darüber hinaus auch noch möglichst exakt beschrieben werden, damit sie präzise in den Anhängen des Abkommens abgebildet werden können. Das ist schon äußerst schwierig für die Bereiche, die heute bereits existieren, unmöglich ist es, zukünftige Entwicklungen, die wir derzeit noch gar nicht kennen können, von dem Abkommen auszunehmen.
Autoreninfo:

* Autoreninfo: Olaf Zimmermann ist ehemaliger Kunsthändler, Publizist, Mitherausgeber von Politik & Kultur und seit 1997 Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates.

Der Kulturbereich – und so auch der Musiksektor – ist in verschiedener Hinsicht vom Negativlistenverfahren bei TTIP betroffen. Das erste Problem ist, dass er durch dieses Verfahren zunächst einmal generell in den Fokus der Verhandlungen gerät. Dies gilt sowohl für die erwerbswirtschaftlich orientierte Kulturwirtschaft als auch für den der Daseinsvorsorge zuzurechnenden öffentlichen beziehungsweise öffentlich geförderten Kulturbereich, einschließlich der audiovisuellen Medien, zu denen etwa der öffentlich-rechtliche Rundfunk zählt. Hieraus folgt das zweite Problem: Wie soll Kultur bei Verhandlungen nach dem Negativlistenprinzip im umfassenden Sinn von TTIP ausgenommen werden? Der Kulturbereich ist kein monolithischer Block, sondern in viele verschiedene Wirtschaftssektoren einzuordnen wie beispielsweise das Verlagswesen, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, die Filmwirtschaft oder auch die öffentlich geförderte Musikschule. Gerade der Musikbereich zeichnet sich durch zahlreiche Wechselwirkungen zwischen dem öffentlich geförderten Sektor und der Erwerbwirtschaft aus. Ebenso sind im Musikbereich die Übergänge zwischen der semiprofessionellen und der professionellen Arbeit zu beachten. Bei vielen Akteuren des Musiklebens ist es ein langsamer Übergang vom semiprofessionellen Beginn hin zur professionellen Berufsausübung. Weiter sind die unterschiedlichen Musikstile mit ihren jeweiligen Besonderheiten in den Marktbedingungen und der Vermittlung zu beachten. Für alle bestehenden Institutionen oder Wirtschaftszweige gilt es nach dem Negativlistenprinzip, genaue Ausnahmen zu formulieren.

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Update vom
09.02.2023
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