HEIMSPIEL
50 v. Chr. flüchtete der gewöhnliche Dorfbewohner noch, wenn einer wie Troubadix anhob zu singen. Leute, nehmt eure Wäsche weg, schließt die Gartentür zu: Musikanten sind in der Stadt!, sang Rheinard Mey zu Beginn seiner Karriere. Wir befinden uns im Jahr 2015. Vieles ist vom Mainstream besetzt. Aber alles? Nein! Einige unbeugsame Kulturschaffende hören nicht auf, ihm Widerstand zu leisten. Statt die Barden mit ihren kritischen Tönen auf die Bäume zu verbannen, lädt die Stadt Nürnberg sie zum vierzigsten Mal mitten auf den Hauptmarkt in ihre mittelalterlichen Mauern. Und die Bewohner machen sich nicht aus dem Staub, sondern eilen Jahr für Jahr in Scharen herbei weit und breit kein Automatix, der den Barden das Handwerk legt. Text: Stefan Sell
Wenn in Bayern Ende Juli die Sommerferien beginnen, feiern am Wochenende darauf zweihunderttausend Menschen bei meist sommerlichen Temperaturen und freiem Eintritt das außergewöhnliche Musikfestival. Moderator der ersten Stunde war der heute herbstblonde Thomas Gottschalk. Klaus Lage und Heinz Rudolf Kunze gaben hier ihren Einstand, Wader, Wecker, Mey und Co. traten hier auf, Wolf Biermann war, so sagte er damals, auf ein regelrechtes Konzert gar nicht vorbereitet. Er hatte sich durch den Namen Bardentreffen täuschen lassen und erwartet, als Dozent bei einem Songschreiberworkshop zu fungieren. So war er einigermaßen überrascht, vor einem großen Publikum zu singen.
Die Musik abseits des Massengeschmacks trifft genau den Nerv der Besucher, was der landläufigen Meinung widerspricht, man müsse den Leuten Mainstream bieten, sonst käme keiner. Das Wagnis, etwas zu präsentieren, was einem wirklich am Herzen liegt, verbunden mit dem Vertrauen auf einen langen Atem als beste Garantie für gutes Gelingen, reizt die Veranstalter seit Jahrzehnten. Kaum dass Jim Jarmusch in seinem für ihn finanziell erfolglosen Film Only Lovers Left Alive die wunderbare Yasmine Hamdan featurte, gab Nürnberg ihr im vergangenen Jahr eine Open-Air-Bühne die Leute waren begeistert. Und das Dubiosa Kolektiv durfte den Tanzwütigen einheizen, als anderswo Bürgerruh herrschte.
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Weihnachts- und Adventsmärkte scheinen ein ideales Umfeld für kulturelle Neugründungen zu sein. Die Idee zum renommierten Folk Frühling Venne im Osnabrücker Land beispielsweise wurde auf einem Weihnachtsmarkt geboren, und auch die gleichermaßen hoch angesehene Landkultur Freepsum verdankt ihre Existenz nicht zuletzt den heimeligen Kräuter-, Krapfen- und Glühweindüften (und Genüssen) eines Adventsmarktes. Text: Kai Engelke Der Gulfhof in Krummhörn-Freepsum ist ein denkmalgeschütztes ostfriesisches Bauernhaus aus dem Jahr 1856. Hier fanden schon Veranstaltungen statt, bevor im Mai 2007 der Verein Landkultur Freepsum e. V. gegründet wurde. Wir bevorzugen keine bestimmte Stilrichtung, sagt der Vereinsvorsitzende Holger Rodiek. Wir organisieren Folklorekonzerte, aber auch Veranstaltungen mit Klassik- oder Rockmusik, A-cappella-Gruppen waren bereits mehrfach vertreten, und die Künstler mit den akustischen Gitarren kommen gerne zu uns. Ihren exzellenten Ruf hat sich die Landkultur Freepsum unter anderem auch mit dem alljährlich stattfindenden, hochkarätig besetzten Gitarrenfestival erworben. Am ersten Septemberwochenende findet in diesem Jahr bereits das fünfte Internationale Freepsumer Gitarrenfestival statt, erzählt Rodiek. Das Besondere daran: Alle Künstler haben internationale Bühnenerfahrung und sind trotzdem unter dreißig Jahre alt, die meisten sogar unter fünfundzwanzig. Die Idee ging vor fünf Jahren vom damals erst neunzehnjährigen Sönke Meinen aus, der noch immer die künstlerische Leitung hat. Neben diversen Musikveranstaltungen werden in Freepsum auch Lesungen, Vortragsveranstaltungen zu unterschiedlichen Themen und Workshops angeboten. Vor zwei Jahren fand unter Anleitung von Theaterpädagogen ein mehrtägiges Jugendtheatertreffen mit über siebzig Teilnehmern statt. Internationale Künstler in Ostfriesland Die Liste der bisher aufgetretenen Künstlerinnen und Künstler kann sich sehen lassen: Adjiri Odametey, Liederjan, das Dragseth Duo, der Australier Joe Robinson, Richard Smith aus den USA,
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Wer eine weltmusikalische Kurzreise zum Nulltarif und ohne Jetlag machen möchte, den erwartet vom 14. bis 19. Juli 2015 in Stuttgart ein attraktives Angebot, denn renommierte Musiker aus Bulgarien, Chile, Deutschland, England, Frankreich, Griechenland, Italien, Jamaika, Kuba, Mali, Marokko, Mexiko, der Mongolei, Peru, Polen, Spanien, der Türkei und Ungarn gastieren in der Metropole am Neckar. Das Besondere an diesem Festival ist die für Besucher kostenlose Begegnung von Menschen unterschiedlichster musikalischer Interessen und Weltbilder in einer turbokapitalistischen Stadt, die sich im öffentlichen Bewusstsein als Zentrum der Nobelkarossen und Häuslebauer sowie der bürgerfernen Verkehrspolitik einen Namen gemacht hat. Dass Stuttgarter auch anders können und wollen, beweist seit 2002 unter anderem das Sommerfestival der Kulturen. Text: Kay Reinhardt
Die kulturelle Vielfalt, die wir hier in Stuttgart haben, wird beim Festival auf einzigartige Weise sichtbar und das schätzen immer mehr Menschen. Unsere Philosophie ist: Hohe kulturelle Qualität sollte für alle erlebbar sein, unabhängig vom Geldbeutel, sagt Anja Krutinat, Koordinatorin des Festivals und Teamleiterin des Bereichs Kommunikation des Veranstalters, des Forums der Kulturen e. V., über das reiche Weltkulturangebot. Achtzigtausend Besucher im Vorjahr und jährlich steigende Gästezahlen, große Akzeptanz der Stuttgarter und ein sehr positives, immer stärker nachhallendes Medienecho beweisen, dass die Konzeption passt, und vermitteln den Eindruck, dass das jährliche Sommerfestival der Kulturen dauerhaft im Kulturleben der Stadt und Region etabliert und daraus nicht mehr wegzudenken ist. Rund dreihundert Ehrenamtler, die an allen sechs Veranstaltungstagen engagiert an den Getränkeständen stehen, beim Auf- und Abbau mit anpacken und Tombolalose verkaufen, machen es überhaupt erst möglich. Sponsoring und ein Teil des städtischen Zuschusses für das Forum der Kulturen decken die verbleibenden Kosten für die Gagen und Unterbringung der Künstler und die Festivallogistik (Bühne, Strom, Wasser, Auf-/Abbau etcetera). Auf dem Marktplatz gibt es einen Künstlerbereich mit einem Cateringzelt und Gutscheine für die Essensstände auf dem Festival. Ein kleines Team betreut die Musikerinnen und Musiker, die Rolf Graser, der Geschäftsführer des Forums der Kulturen, seit der ersten Ausgabe des Festivals kompetent auswählt.
Alle Akteure treten auf derselben Bühne auf und sind bewusst bunt gemischt, weil sich das Festival an die Allgemeinheit und nicht an ein Special-Interest-Publikum richten möchte. Auch hier wollen wir bewusst zu neuen Begegnungen anregen musikalisch wie persönlich, sagt Anja Krutinat. Manchmal münden Konzerte in genreübergreifende Sessions. Aber auch die Besucher können mitmischen: So stehen am Sonntag, dem 19. Juli, Tänze aus aller Welt auf dem Programm, vorwiegend als Hingucker, doch manchmal springt der Funke auf das Publikum über und vereinzelt werden auch Mitmachtänze angeleitet. Für ein Kinderprogramm fehlt uns bislang leider der Platz, bedauert die Koordinatorin. Auch Workshops werden derzeit nicht angeboten. ... mehr im Heft
Das Festival-Mediaval im nordbayerischen Selb hat sich zu einer festen Größe im Veranstaltungskalender gemausert. Über zehntausend Besucher kommen inzwischen Anfang September in die Stadt an der tschechischen Grenze, um drei Tage lang zu feiern, Freunde zu treffen und Musik zu hören. In diesem Jahr werden im Rahmen eines Celtic Special Szenegrößen wie Carlos Núñez, Moya Brennan, Kíla, Ashley Davis, Cormac de Barra sowie viele weitere Künstler erwartet. Veranstalter Karl-Heinz Schwarz, genannt Bläcky, verrät weitere Highlights im Programm und gibt auch schon einen kleinen Ausblick auf das kommende Jahr. Text: Daniela Mühlbauer
Das Festival-Mediaval hat sich während der vergangenen sieben Jahre vom Geheimtipp zu einem Großevent entwickelt. 11.800 Besucher kamen 2014 auf das Gelände am Selber Goldberg. Da ist noch viel Luft nach oben, im letzten Jahr hat das Wetter ja nicht so mitgespielt, bemerkt Schwarz und nennt ein paar beeindruckende Zahlen. So werden in diesem Jahr 324 Künstler in 32 Bands und 18 Kleinkunstgruppen auftreten und auf dem Markt etwa hundert Aussteller ihre Waren feilbieten. Um ein Festival dieser Größenordnung zu stemmen, schart der Veranstalter 28 Frauen und Männer im Orgateam um sich, weitere achtzig bis hundert freiwillige Helfer sorgen am Festivalwochenende für einen reibungslosen Ablauf. Als Highlights im Musikprogramm sind Corvus Corax feat. Wadokyo, Poeta Magica und die quasi zum Inventar zählende Gruppe Omnia aus den Niederlanden zu nennen. Tatsächlich halten Omnia dem Festival-Mediaval seit der ersten Veranstaltung die Treue, Frontmann Steve Evans-van der Harten hat extra für dieses Event Deutsch gelernt und präsentiert Jahr um Jahr seine sprachlichen Fortschritte.
Während des gesamten Festivals gibt es nicht nur genug auf die Ohren, auch fürs Auge, den Gaumen, den Geldbeutel und sogar das Hirn wird es an Anregendem nicht fehlen. Der große mittelalterliche Markt erstreckt sich über einige Ebenen, die sich terrassenförmig an den Hang des Goldbergs schmiegen. Zur geistigen Erbauung werden zahlreiche Workshops angeboten, bei denen Fachleute historische oder kulturelle Themen vermitteln. Wer also Lust auf historische Tänze hat oder schon immer mal Hümmelchen, Nyckelharpa oder Didgeridoo spielen wollte, kann es in Selb ausprobieren. Die musikalischen Workshops werden meist von teilnehmenden Künstlern wie Holger Funke von Poeta Magica (Nyckelharpa) oder Daphyd Crow von Omnia (Didgeridoo) angeboten. Man kann aber auch Schneidern, Nadelbinden oder Fechten lernen. Anmelden kann man sich über die Website. ... mehr im Heft |
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