FOLKER – Carminho

Portugiesische Schwermut und brasilianische Leichtigkeit

Carminho

Fadostimme als Gabe

Carminho * Foto: Leo Aversa

Ihr Gesang schwingt sich leicht in alle Höhen und verliert nie die Bodenhaftung. Der Fado Carminhos hört sich frisch und beschwingt an. Trotz allem umhüllt er ihr Publikum mit einem warmen Mantel von Melancholie. „Meine Stimme ist eine Gabe“, meint die zierliche Sängerin dazu. Mehr nicht. Eine Bestimmung gewissermaßen. Genau wie das Wort Fado vom lateinischen fatum, auf Deutsch „Schicksal“, abstammt, war der Weg für Carminho früh vorgezeichnet. Schon als Zweijährige nahm ihre Mutter, ebenfalls eine Fadista, sie mit zu ihren Auftritten.

Text: Martin Steiner

Der Fado entstand Anfang neunzehnten Jahrhunderts in den Spelunken der Altstadt von Lissabon. Wo er ursprünglich herkommt, kann nicht mehr rekapituliert werden. Ist er die Summe der Klänge, die portugiesische Seefahrer aus ihren Kolonien mit nach Hause brachten oder stammt er von den brasilianischen Liedformen Lundum und Modinha ab? Seit 2011 gehört der Fado zum UNESCO-Weltkulturerbe, nachdem ihn die Jugend Portugals neu für sich entdeckt hatte. Wie bei kaum einem anderen Musikstil singen sich Jahr für Jahr Sängerinnen mit außergewöhnlichen Stimmen in den Fado-Olymp. Die junge Fadista Carminho hat das Zeug, für lange Zeit ganz oben auf der Treppe zu stehen und ein paar Himmelstürchen zu neuen Fadohorizonten zu öffnen. Ganz Portugal und die Stars der MPB, der Música Popular Brasileira, liegen Carminho zu Füßen. Neben anderen haben Carlinhos Brown, Marisa Monte, Jaques Morelenbaum und Caetano Veloso Anteil am Erfolg von Canto, dem aktuellen Album der Portugiesin.
» Ich nehme mir die Freiheit, künstlerische Sprünge zu machen. «

go! Carminho

DISKOGRAFIE:
Canto (Parlophone/Warner, 2014; VÖ in D: 2015)
Alma (Capitol/EMI, 2012)
Fado (EMI, 2009)

Cover Canto

Ist das noch Fado, wenn eine Fadista Lieder von Caetano Veloso oder Marisa Monte singt? „Ich nehme mir die Freiheit, künstlerische Sprünge zu machen“, meint Carminho dazu. „Ich höre alle möglichen Arten von Musik, darunter auch viele brasilianische Sachen. Die Brasilianer sprechen meine Sprache, fast alle haben portugiesische Vorfahren in ihrer Verwandtschaft.“ Als Erstes lernte Carminho in Brasilien das dortige Freiheits- und Lebensgefühl, die Offenheit der Bevölkerung und die vitale Kraft der Künstlerszene zu schätzen. In Brasilien schaffte sie es, den Liedern, die sie zuvor in Portugal geschriebenen hatte, mehr Eigenständigkeit zu verleihen und sie aus ihrem kompositorischen Korsett zu befreien. Zwei der in Brasilien verfeinerten Fados finden sich auf ihrem aktuellen Album. Carminho fühlt sich wohl dort. „Das sind meine Leute. Sie haben dieselbe identidade“, die gleichen Wesenszüge.
Carminho, mit bürgerlichem Namen Maria do Carmo de Carvalho Rebelo de Andrade, wiederholt das Wort identidade während des Gesprächs immer wieder. Und wenn sie zusammen mit Marisa Monte deren mit dem Musiker und Schriftsteller Arnaldo Antunes geschriebene Komposition „Chuva No Mar“ singt, spürt man die Gemeinsamkeiten. Das Lied verströmt Fadoflair und tönt trotzdem anders als traditioneller Fado. Das erstaunt nicht, wenn man im Booklet nachschlägt, wer die Sängerinnen begleitete. Da sind die Portugiesen Bernardo Couto an der portugiesischen Gitarre und der Multiinstrumentalist Diogo Clemente, Carminhos Ehemann, der hier Bass und Rhythmusgitarre spielt. Daneben setzen Marisa Montes frühere Bandkollegen der Tribalistas, der Percussionist Carlinhos Brown und der Rockgitarrist Dadi Carvalho brasilianische Akzente. Marisa Monte hat das Lied für Carminho ausgesucht. Eine Übersetzung aus dem Originaltext zeigt, wie gut es zu der jungen Sängerin passt, die sich ihrer Wurzeln bewusst und offen für alles Neue ist: „Den ganzen Horizont entlang dringt alles unaufhörlich in dich ein – all das, was deine Augen registrieren, sogar Dinge, die niemand hören kann. Und ohne dass du es merkst, veränderst du dich. Sätze, Stimmen, Farben, Wellen, Frequenzen, Signale; die Welt ist riesengroß, die Dinge verändern sich in mir. Für uns alle ist das so und wird für immer so bleiben.“
Neben drei Liedern aus Brasilien hat Carminho zwei Eigenkompositionen, Lieder von Diogo Clemente und befreundeter Liedermacher wie auch traditionelle Fados aufgenommen. Der Fluss und das Meer, Sonne und Regen, Tag und Nacht stehen als Metaphern für die Vergänglichkeit.

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Update vom
09.02.2023
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Dieser Text ist nur ein Auszug des Original-Artikels der Print-Ausgabe!

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