FOLKER – Halbmast

HALBMAST

PHIL CHEVRON

PHIL CHEVRON * FOTO: MARNIE JOYCE, WIKIMEDIA

17.6.1957, Dublin, Irland
8.10.2013, Dublin, Irland

Dem älteren Herrn im eleganten Anzug mit Hut mochte man zwei Dinge nicht ansehen: erstens, dass er ein Punkmusiker war, und zweitens, dass er noch keine sechzig Jahre alt war. Mit sechsundfünfzig Jahren starb der irische Sänger, Liederschreiber, Gitarrist, Punkrock- und dann eben auch Folkpunkmusiker Phil Chevron, bürgerlich Philip Ryan, an Krebs. Punkfans mag er als Mitbegründer der Band The Radiators from Space (zwischen 1976 und 1981 und erneut seit 2003) in Erinnerung sein, für Folkies jedoch ist er in erster Linie als Mitglied der Pogues bekannt. An der Seite Shane MacGowans half er diese 1982 gegründete Irish-Folk-Punk-Band ab 1984 zu ihrer späteren Berühmtheit zu führen (beginnend mit dem Album Rum, Sodomy & The Lash) und war auch nach deren Reunion und MacGowans Rückkehr in die Band 2001 bei den Tourneen dabei. Als Songwriter zeichnete er unter anderem verantwortlich für den Pogues-Klassiker „Thousands Are Sailing“ sowie für „Lorelei“. Zur Band war er ursprünglich als vorübergehender Ersatz für Banjospieler Jem Finer gestoßen und musste sich das Spielen dieses Instruments erst kurzfristig beibringen. Auch wenn er es zu anerkanntem Können darauf brachte, blieb er doch vor allem der Gitarre treu. Was auch der Grund für seine vollständige Aufnahme in die Band war, denn MacGowan wollte sich ganz aufs Singen konzentrieren. Trotz zwischenzeitlichen Ausstiegs 1994 blieben die Pogues, die selbst zwischen 1996 und 2001 pausierten, Chevrons Hauptband und er sozusagen deren inoffizielles Sprachrohr, auch wenn er neben den wiederbelebten Radiators außerdem als Songwriter und Komponist für andere Musiker sowie fürs Theater erfolgreich war. Doch vor der Krankheit schützte ihn die Musik nicht. Seit 2007 litt er an Speiseröhrenkrebs, der schon überwunden zu sein schien, dann aber im Mai 2013 erneut diagnostiziert wurde und nun inoperabel war.

Michael A. Schmiedel

WALTER LIEDERSCHMITT "WOLTÄHR"

WALTER LIEDERSCHMITT "WOLTÄHR"

24.4.1949, Trier, als Walter Schmitt,
23.10.2013, Trier

Im letzten Heft schrieb er noch über den Tod Willie Dunns (siehe „Halbmast“ Folker 6/2013), nun hat sich der Liedermacher, Barde, Autor, singende Stadtführer und vieles mehr Walter Liederschmitt „Woltähr“ selbst vorzeitig von der Lebensbühne verabschiedet. Das Urgestein der Trierer Folk- und Liedermacherszene war über drei Jahrzehnte lang deren umtriebigster Motor. Sei es mit eigenen Alben und Produktionen, sei es als unbequemer Mahner, der sich nicht scheute, musikalisch wie „real“ die Finger in offene Wunden zu legen, oder als Initiator der seit 1998 jährlich stattfindenden Liedermachertreffen in der örtlichen Tuchfabrik, deren sechzehnte Ausgabe 2014 (siehe Meldungen „Szene“) er noch in die Wege leiten konnte, bevor ihn die Folgen einer verschleppten Virusinfektion einholten. Keine Frage, er hatte seinen eigenen Stil, verband jedoch wie kaum ein anderer Authentizität mit Unvoreingenommenheit, Heimatverbundenheit mit Weltoffenheit. Bereits seine Examensarbeit hatte der Gymnasiallehrer für Französisch und Englisch über Bob Dylan, das eine seiner beiden großen musikalischen Idole geschrieben. Das andere war Georges Brassens (zu beiden finden sich Beiträge von ihm im Folker, zu Dylan in Heft 3/2011, zu Brassens in der Onlineausgabe von Heft 3/2007). Wie ihn überhaupt Frankreich und das dort beheimatete Chanson inspirierten – sein „zweiter“ Künstlername „Woltähr“ etwa war der französischen Aussprache seines Vornamens geschuldet und erinnerte nicht zufällig an einen berühmten französischen Philosophen. Sprachen hatten es ihm angetan, so sang er auf Deutsch, Moselfränkisch, Französisch, Englisch, in eigenen Texten, Übersetzungen von Chansons und Folksongs oder in Volksliedern, holte dabei immer gerne Kollegen ins Boot, das Miteinander war ihm wichtig. Seine besondere Liebe galt darüber hinaus neben der Sprache und Geschichte seiner Heimatregion keltischen Traditionen, denen er in der Bretagne oder auf den Britischen Inseln genauso nachspürte wie zu Hause. Zuletzt war er auch bei Profolk aktiv, sowohl in der AG Lied als auch als Regionalkontakt des Verbandes. Nicht mehr realisieren konnte er ein mit Musikerfreunden bereits einstudiertes Programm mit revolutionärem Liedgut der deutschen Romantik und des Vormärz zum Abschluss einer Sonderausstellung zu einem weiteren seiner Idole, Karl Marx. Er hinterlässt keine kleine Lücke – oh rewoahr Woltähr!

Stefan Backes

Update vom
09.02.2023
Links
go! Home
go! Voriger Artikel
go! Nächster Artikel
FOLKER auf Papier
Dieser Artikel ist ein Beispiel aus der Print-Ausgabe!
Bestelle sie Dir! Einfach das
go! Schnupper-Abo! bestellen und drei Ausgaben preiswert testen. Ohne weitere Verpflichtung!
Oder gleich das
go! Abo ?