FOLKER – Tom Paley

Der Wiedergänger

TOM PALEY

Später Ruhm

  TOM PALEY 2012  
 


Für die Jüngeren war er ein Leitstern. „Als ich ein Teenager war, brachte mir Tom Paley das Banjospielen bei, was sehr nett von ihm war. Meine offene Gitarrenstimmung hat dort ihren Ursprung“, erinnert sich Ry Cooder an die „guten alten Tage“ im Folkclub Ash Grove in Los Angeles. Bob Dylan ist nicht weniger voll des Lobs. Für ihn zählt Paley – wie er in seinen Chronicles schreibt – zum Kreis der „unverwechselbar authentischen Folk- und Bluesmusiker“. Paleys Band, The New Lost City Ramblers, diente dem jungen Dylan als Quelle der Inspiration: „Was sie machten, faszinierte mich: ihr Stil, ihr Gesang, ihr Gruppenklang – alles! Ich konnte nicht genug davon bekommen.“ Nach Jahren der Abwesenheit von der Szene, wo er höchstens ab und zu in seinem lokalen Pub im Londoner Norden auf dem Banjo spielte, hat Tom Paley jetzt mit Vierundachtzig ein neues Album mit dem Titel Roll On, Roll On vorgelegt. Es ist ein bisschen wie die Heimkehr eines verlorenen Sohns.


TEXT: CHRISTOPH WAGNER

 

Tom Paley gilt als Urgestein des Folk. Von 1958 bis 1962 war der Gitarrist und Banjospieler Mitglied der New Lost City Ramblers, einer der Bands, die das Folkrevival mit auf den Weg brachten. Die drei Musiker spielten alte Hillbilly-Songs, Bluegrasstitel und Bluesnummern in so unverfälschter Manier, als wären sie in den südlichen Appalachen oder irgendwo im Mississippi-Delta aufgewachsen. Ihre Schallplatten erschienen bei Folkways, dem heute legendären Label von Moses Asch, wo auch Pete Seeger seine Platten herausgab und Bob Dylan gerne untergekommen wäre.

Dass Paley Profimusiker wurde, war mehr schicksalhafte Fügung als eine bewusste Entscheidung. Zuerst lief es nämlich anders. Dem frisch verheirateten Mathematiker, der an einem College unterrichtete und über einer Doktorarbeit brütete, schien es zu riskant, alles auf die künstlerische Karte zu setzen. Als seine Bandkollegen ins Profilager drängten, also ihren Lebensunterhalt allein vom Musikmachen bestreiten wollten, zog er nicht mit. Paley nahm eine Auszeit, verließ die Ramblers und ging mit seiner Frau 1963 nach Schweden. Von dort siedelten die beiden 1965 nach England über, wo er bis heute lebt. In die USA kehrte er nicht mehr zurück. London wurde seine zweite Heimat. Dort wohnt er in einem schmucklosen Apartmentblock in einer Wohnung, die vollgestopft ist mit Büchern, Musikinstrumenten und Memorabilien aus vergangenen glorreichen Zeiten.

Tom Paley 2012
Wenn man Paley in seiner Wohnung im Stadtteil Islington besucht, wo Dutzende Geigen an den Wänden hängen, gibt es Musikgeschichte aus erster Hand und viele legendäre Namen machen die Runde: „Ich bin in New York aufgewachsen und fing als Teenager an, mich für Folk zu interessieren, lernte Gitarre und Banjo. Im Washington Square Park in Manhattan traf man sich sonntags zum Musikmachen. Wir hörten Pete Seeger und Woody Guthrie sowie den schwarzen Bluessänger Leadbelly. Ich fand Woody Guthries Adresse heraus. Mit einem Freund, der ebenfalls Musik machte, besuchten wir Guthrie daheim. Wir klopften einfach an die Tür und erzählten ihm, dass wir seine Songs mochten. Er bat uns herein und wir spielten ein paar Stücke zusammen, hörten uns ein paar Schallplatten an. Ich besuchte ihn noch öfters zum gemeinsamen Musizieren und er fragte mich, ob ich ein paar Konzerte mit ihm bestreiten würde. Ich war begeistert, denn Guthrie war mein Idol.“

»ICH WAR
BEGEISTERT,
GUTHRIE WAR
MEIN IDOL.«

Neben Guthries Wohnung wurde auch Leadbellys Apartment in Manhattan zum Treffpunkt der jungen Folkies. Es gab Zusammenkünfte, wo herzhaft gesungen und Lieder ausgetauscht wurden, wobei Leadbelly immer „makellos gekleidet war mit gebügeltem Hemd und steifem Kragen, Anzug und Krawatte“, wie sich Paley noch heute erinnert. Einer der gemeinsamen Auftritte mit Guthrie war dann beim Memorial Concert für Leadbelly, der im Dezember 1949 verstorben war. Paley war damals einundzwanzig Jahre alt.

Mehr und mehr wurde Paley Teil der aufkeimenden Folkszene, die in kleinen Cafés und Bars in Greenwich Village in Downtown Manhattan ihr Domizil hatte. „Ich hörte diesen Gitarristen, der auf einem niedlich-kleinen Instrument spielte: Melodie und Begleitung perfekt zusammen“, schrieb der Folksänger Dave van Ronk, Bob Dylans Mentor, in seinen Memoiren. „Das war Tom Paley. Ich eilte heim und fing sofort zu üben an. Paley hatte gezeigt, wie es geht. Doch bis ich diese Spieltechnik draufhatte, dauerte es Jahre.“

Aktuelle CD:
Tom Paley’s Old-Time Moonshine Revue – Roll On, Roll On (Hornbeam, 2012)

Old-Time Moonshine Revue

Bei den spontanen Sessions hatte Paley Mike Seeger und John Cohen, den er noch vom College kannte, getroffen und gemeinsam einen Auftritt bei einem Lokalradio absolviert. Das lief so gut, dass man beschloss zusammenzubleiben. Die New Lost City Ramblers waren geboren, die zu einer der einflussreichsten Gruppen des Folkrevivals werden sollten. „Unser erster Auftritt als die Ramblers war in der New Yorker Carnegie Hall, nicht im großen Saal, sondern in einem der kleineren im oberen Stock“, erinnert sich Paley. „Wir hatten mit Moses Asch gesprochen und er zeigte Interesse, ein Album für Folkways mit uns zu machen. Unser erstes und zweites Album nahmen wir in seinem Büro auf. Es war dort ein bisschen chaotisch – überall Stühle, Schreibtische, Papier, Regale und Schränke. Nach Asch wurde Bártok unser Toningenieur, nicht der Komponist Béla Bártok, sondern sein Sohn, Peter Bártok.“

Tom Paley 2012
Tom Paley stammte aus einem musikalischen Haushalt. Sein Großvater spielte mehrere Instrumente, seine Mutter gab Klavierunterricht und sein Vater war ein respektabler Sänger. Kein Wunder, dass das abfärbte. Jeden Sommer zog die Familie von der Großstadt raus aufs Land in eine linksgerichtete Gemeinschaft in Upstate New York, wo Lieder aus dem spanischen Bürgerkrieg gesungen wurden und der schwarze politische Sänger Paul Robeson in Konzerten auftrat. Paley horchte auf. Hier begegnete er Liedern, „die wirklich ein Anliegen hatten, die von der Wirklichkeit handelten, nicht von einer Traumwelt.“ Als Mitglied der American Youth For Democracy, der Jugendorganisation der kommunistischen Partei der USA, wurde der Teenager immer vertrauter mit derartigen Songs. Allein in New York City hatte die AYD Ende der Dreißigerjahre mehr als zwölftausend Mitglieder.

»ICH BEGEGNETE
LIEDERN, DIE
VON DER
WIRKLICHKEIT
HANDELTEN,
NICHT VON EINER
TRAUMWELT.«

Nachdem sich Paley Mitte der Vierziger das Gitarre- und Banjospiel beigebracht hatte, begann er, Songs von Woody Guthrie, aber auch von Bill Monroe und der Carter Family, zu singen. „Es war ein Hobby, aber ich spielte viel“, erzählt er. „Mit einer Musikgruppe von Teenagern trat ich sogar in einem kommerziellen Radioprogramm auf.“ Das Studium der Mathematik, die anschließende Lehrtätigkeit und Doktorarbeit ließ die Musik streckenweise in den Hintergrund treten. Doch immer wieder kehrte er zu seiner Leidenschaft zurück.

Nach seinem Umzug nach Europa, wo Paley in London heimisch wurde, trat der Banjopicker häufig in den Folkklubs der britischen Inseln auf, die in den Sechzigerjahren überall wie Pilze aus dem Boden schossen. Das Interesse an authentischer amerikanischer Old-Time Music war in Großbritannien enorm. Und nicht nur dort: 1968 wurde er zum Waldeck-Festival nach Westdeutschland eingeladen. Mit Peggy Seeger, der Halbschwester von Pete Seeger, die mit dem Folksänger Ewan MacColl verheiratet war und sich ebenfalls in England niedergelassen hatte, nahm er das Album Who‘s Going To Shoe Your Pretty Little Foot? auf. Danach machte er etliche Einspielungen mit seiner New Deal String Band, die wie einst die Ramblers auf Bluegrass, Hillbilly und Folk spezialisiert war. Doch mit der Zeit wurde es stiller um den alternden Folkmusikanten.

Tom Paley 2012
Jetzt haben jüngere Musiker, darunter Paleys Sohn Ben, der ein hervorragender Fiddlespieler ist, die Folklegende aus dem Ruhestand geholt und in ein Tonstudio bugsiert. Dort wurden im Stil einer locker-ausgelassenen Pubsession mit viel Drive die Banjos gezupft, die Gitarren geschlagen, gefiddelt, gesungen und Harmonika gespielt.

Tom Paley stieg tief in die Klangwelt des „alten unheimlichen Amerikas“ (Greil Marcus) hinab, stimmte Songs von Uncle Dave Macon und dem schwarzen Bluessänger Blind Boy Fuller an, die von Tod, Verrat und Verlassenheit handeln. Dazu kamen etliche Traditionals, die einst von Einwanderern aus England und Schottland in die Neue Welt gebracht worden waren.

»ES WAR
EIN HOBBY,
ABER ICH  
SPIELTE VIEL.«

Diese Melodien werden von Tom Paley’s Old-Time Moonshine Revue derart frisch, ungestüm und mitreißend interpretiert, dass die Kritik sich vor Lob fast überschlug. Tom Jones buchte den Veteranen umgehend für seine Fernsehshow. Eine Tournee brachte weiteren Zuspruch.

Man ist an John Lee Hooker erinnert, dem Carlos Santana und Bonnie Raitt im Pensionsalter noch einmal zu einem fulminanten Comeback verhalfen, oder an Pete Seeger, der durch Bruce Springsteen als Rentner ein Revival erlebte. Mit so viel spätem Ruhm hätte Tom Paley als Letzter gerechnet.


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Update vom
09.02.2023
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