Exclusiv im Internet Chanson ist KürWalter Hedemann zum AchtzigstenVon einem Sänger, der immer lieber ein Schulmeister war
Die Geschichte ist längst zu Ende. Doch sie beginnt jetzt noch einmal von vorn. Besser: Sie bekommt ein neues Kapitel, noch besser: den lange verdienten Epilog. Das letzte Konzert nämlich hat Walter Hedemann vor gut zehn Jahren gegeben; da wurde er gerade siebzig Jahre alt. Und nicht etwa, weil er Geburtstag hatte, fand dieser bis dato letzte Auftritt statt, sondern eines Schuljubiläums wegen bescheidener konnte einer der ganz besonderen Chansonniers deutscher Sprache das eigene Fest vermutlich kaum feiern. Und ob er jetzt, mit inzwischen achtzig, die Veröffentlichung einer drei CDs umfassenden Sammlung von Liedern aus seiner Feinmechanikerwerkstatt beim Conträr-Label mit einem neuerlichen, nunmehr dem allerletzten Auftritt krönen wird wer weiß. Aber schön wärs schon.
Um zu erklären, wer Walter Hedemann war (und ist), muss ziemlich tief gegraben werden in Erinnerung und Geschichte. Teens der frühen Siebzigerjahre (wie der Autor), grundsätzlich animiert und orientiert vom Boom der Liedermacherei, entdeckten Walter Hedemann quasi nebenbei: bei der Suche nach Neuigkeiten von Reinhard Mey und Hannes Wader, Schobert & Black und Ulrich Roski, Dieter Süverkrüp, Franz Josef Degenhardt und Hanns Dieter Hüsch. Fündig wurden wir (unter anderem) allsamstäglich in der Sendung Unterhaltung am Wochenende, vom WDR in Köln damals auch noch für die Wellen des NDR produziert. Dort moderierten zuweilen die Sängerinnen und Sänger persönlich, aber auch die vier Blödelbarden von Insterburg & Co. Jede Sendung endete mit Hermann Hoffmanns Kleiner Dachkammermusik, die der gleichnamige Radiokomödiant in einem privaten Tonstudio und tatsächlich unterm Dachjuchhe des Hauses in Burgdorf bei Hannover produzierte, im Trio mit den virtuellen Partnern Otto de Vries und Pankrazius Schräuble einer friesischen und einer schwäbischen Stimme, die Hoffmann für sich selber erfand. Und in diesem bunten Sammelsurium komödiantisch-literarisch-musikalischer Talente mit (gelegentlich) politischem Anspruch war auch dieser Walter Hedemann zu Hause, ein bisschen jedenfalls. Seine Gesänge zum Klavier waren rar, atmeten aber den Witz und die Frechheit jener älteren deutschen Chansontradition, deren virtuose Protagonisten von den Nazis so gründlich vernichtet oder vertrieben wurden, nachdem sie zuvor bewährt in Kabarett und Cabaret das ganz junge deutsche Kino entscheidend mitgeprägt hatten. Kurz: Dieser Walter Hedemann, der sich da zwischen den neuen jungen Liedermachern und den angriffslustigen Politsatirikern hören ließ, klang sehr entfernt nach Friedrich Hollaender, Peter Kreuder oder Peter Igelhoff. Wer die noch kannte oder sich für sie interessierte, der fand auch an Walter Hedemann stets viel Vergnügen.
Dies ist bestimmt die sonderbarste, die eigenwilligste Karriere in der Geschichte des deutschsprachigen Chansons. Und Walter Hedemann erzählt sie beim Besuch in Hameln mit aller nur denkbaren Distanz und Gelassenheit. Es ist ja vorbei. Der Dreierpack mit seinen Liedern auf CD erinnert an etwas, womit er abgeschlossen hat. Warum? Weil er merkte, wie schwer es ihm fiel, neue Themen zu bearbeiten. Weil ich vieles einfach nicht mehr komisch genug fand, sagt Hedemann. Und das war stets nötig, um ein Chanson zu kreieren: Distanz und Komik. Erst mit ihnen entstand ein Text, der Hedemanns Anspruch an sich selber genügte. Erst so wurde er sich selber gerecht. Noch ein Grund, um guten Gewissens aufzuhören irgendwann da er ja nie den Gesetzen des Marktes gehorchen musste, also zum Beispiel pro Jahr das Material für ein Album zu erarbeiten hatte, blieb er extrem pingelig sich selber gegenüber. Was nicht wirklich etwas taugte, kam auch keinem öffentlichen Publikum zu Ohren. Vielleicht, sinniert Hedemann heute, war ja auch alles gesagt. Aber noch bis in die jüngere und jüngste Zeit hinein hat es Momente gegeben, wo ein Text, ein Lied geschrieben werden wollte ausprobiert jedoch hat Hedemann die eigenen Qualitäten nur im privaten Kreis, öffentlich nie wieder.
Der Naumburger Abiturient des Jahrgangs 1950 schien zunächst eine Karriere als Pianist vor sich zu haben. Aber nach den Studien in Halle und Berlin sah er sich umzingelt von lauter Talenten, die deutlich besser waren als er selber und selbst die wussten ja oft nicht, wohin mit der eigenen Klasse. Mehr als eine zweit- oder gar drittklassige Karriere war also nicht drin, sagt Hedemann: Und da habe ich halt im Abizeugnis nachgeschaut, wo ich denn außerdem noch eine Zwei hatte. Und er begann in Berlin das Studium für Lehramt in Deutsch und Englisch. Zahnarzt wäre als berufliche Alternative vielleicht auch noch in Frage gekommen, zumal Hedemanns Frau schon Zahnärztin war. Aber dann hätten wir wahrscheinlich auch nachts noch über Wurzelfüllungen diskutiert, sagt er heute. Unterrichten war und blieb ihm dagegen immer ein Vergnügen schon als Referendar und dann auch als fertiger Lehrer in Hameln. Wenn nur nicht die zermürbenden Korrekturarbeiten an Prüfungen und Aufsätzen gewesen wären. Zwei Jahre nach dem Dienstantritt in Hameln gerät das Ehepaar Hedemann beim Wien-Besuch in die legendäre Marietta-Bar. Die erste Begegnung mit dem Chansonnier und Kabarettautor Gerhard Bronner wird zur Offenbarung. Schon Vater Hedemann war ein Fan des Vorkriegskomödianten Peter Igelhoff gewesen jetzt setzt sich der 30-jährige Sohn Walter ans Klavier und versucht sich auch in diesem Fach. Wie nachhaltig dabei das Vorbild Bronner wirkte, ist noch in einigen der Lieder auf der frischen Zusammenstellung zu hören.
Der Jung-Chansonnier geht weiter vor auf diese Weise und erhält positive Rückmeldungen, vor allem von Wolfgang Pade beim WDR in Köln und von Karl-Heinz Schmieding beim Saarländischen Rundfunk. Vor allem aber, so scheint es, hat in diesen frühen Jahren auch der prominentere Kollege Hanns Dieter Hüsch Gefallen an Hedemanns Sound gefunden. In späteren Jahren ist der Chansonnier, der ein Lehrer ist, regelmäßig zu Gast beim Gesellschaftsabend, den Hüsch über viele Jahre lang in Saarbrücken betreibt. Aber so attraktiv diese Horizonterweiterung für den Pädagogen auch sein mag, und wie intensiv ihm schon die Bremer Redakteure den Berufswechsel nahegelegt hatten an die Karriere im professionellen Fach denkt Hedemann nie. Als Schulmeister charakterisiert sich Hedemann immer wieder selber, und das Wort darf durchaus ein wenig altfränkisch klingen für ihn symbolisiert es vor allem das Beharren auf Handwerklichkeit in jeder Hinsicht, in Wort und Ton. Gleichzeitig fühlt er sich auf erstaunliche Weise frei durch die feste Bindung an die Schule er muss nicht singen, um zu überleben; er muss nicht Lied um Lied produzieren, um eine Familie mit zwei kleinen Kindern zu ernähren. Dafür ist die Pflicht da Chanson ist Kür. Der Stundenplan allerdings führt naturgemäß auch dazu, dass Hedemann selten länger als für einen Tag ausbleiben kann vom Dienst, bestenfalls ein Wochenende plus Brückentag sind drin. Eines dieser verlängerten Wochenenden verbringt er 1967 auf den Burg Waldeck im Hunsrück. Und damit ist er nun mittendrin im Kern der zeitgenössischen Liedermacherei, ohne dass er sich je selber als solcher empfunden hätte Hedemanns Künste wurzeln woanders. Und mit den Kampfansagen jener Jahre, etwa der an die Zwischentöne, die doch nur Krampf seien im Klassenkampf, kann er auch nicht allzu viel anfangen. Hedemanns Freund und Förderer Hüsch flüchtet bekanntlich unter anderem aufgrund der aggressiv-zerstörerischen Waldeckdebatten für mehrere Jahre ganz aus Deutschland und in die Schweiz. Zuweilen nimmt er Hedemann sozusagen mit: für gemeinsame Abende etwa am Theater in Bern. Überhaupt die Theater in der Schweiz jener Jahre auch mit Gastspielen dort wäre ein Auskommen eventuell möglich gewesen. Aber nein Hedemann, Hameln und die Schule bleiben unzertrennlich.
Abgesehen von der Handwerkskunst, abgesehen auch vom ewigen Lampenfieber, würde Hedemann heute wohl gar nicht mehr mithalten wollen in Zeiten von Fernsehshows wie Reim gewinnt!, wo schon im Untertitel fälschlich von Versmaß die Rede ist (das natürlich mit dem Reim überhaupt nichts zu tun hat) und Jeder und Jede fröhlich und unbeschwert, wenn auch ohne jeden Sinn und Zweck, die Reimerei betreiben und dafür Ruhm und Jubel ernten können. Ich bin ja sehr für Reim!, sagt Hedemann keiner in der Epoche der Liedersänger hat so virtuos gereimt für die oft so rasant getexteten Lieder, keiner so geschickt die Handwerkskünste zwischen Wort und Musik verzahnt und verdichtet. Von einigen Vorbildern war schon die Rede, ein weiteres liefert Hedemann gegen Ende des Besuches nach: Günter Neumann, den Texter und Komponisten des Berliner Radiokabaretts Die Insulaner. Dessen frontstädtischen Politton hätte er zwar nie recht teilen können aber Neumanns Klasse in Komposition und Arrangement von Text und Ton sei unbestreitbar. Auf der Doppel-CD mit Neumann-Songs, erschienen in der Edition Berliner Musenkinder, war das übrigens unlängst sehr eindrucksvoll nachzuhören unter Motto und Titel Schlag nach bei Neumann. Jetzt können die Freunde avancierterer Chansonvirtuosität auch bei Hedemann nachschlagen die drei Conträr-CDs, versehen übrigens auch mit einem in Text und Bild reichhaltig gestalteten Booklet, rufen nicht nur einen jenseits von Hameln fast ganz vergessenen Meister in Erinnerung, sondern markieren noch einmal den Kern der Kunst, die zwischen Wort und Ton und im Gleichklang mit beiden eine neue erschuf: das Chanson in deutscher Sprache. Hedemanns Klasse wurzelt derart im Vorgestern, dass sie Anschauungsunterricht werden muss für übermorgen. Auch darum übrigens wäre es ganz schön, wenn er sich am Anfang des neuen Jahres hie und da noch einmal ans Klavier setzte um der Erinnerung an sich selbst das würdige Entree zu verschaffen. Wer weiß: vielleicht in Bremen, wo der Weg des deutschen Chansonniers Walter Hedemann vor bald fünf Jahrzehnten begann.
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