FOLKER – Halbmast

HALBMAST

CHRISTIANE WEBER

CHRISTIANE WEBER

17.8.1975, Essen
bis 8.6.2012, Essen

In einem ihrer schönsten Lieder sucht eine Frau einen Psychiater auf, weil sie an der Rationalität der Welt verzweifelt und sogar ihre Freunde Jura und BWL studieren. Als sie erwähnt, dass die Thomas und Annika heißen, ist klar: Es handelt sich um die erwachsen gewordene Pippi Langstrumpf. Kaum vorstellbar, dass Christiane Weber selbst einmal vor deren Problemen gestanden hätte. Dafür hatte sie sich ein zu gutes poetisches Ventil geschaffen mit ihren Liedern, die in jedem Schmerz ein Lächeln und in jedem Lachen eine leise Trauer ahnen ließen. Das bekennende Sonntagskind machte seinen Abschluss in Theaterwissenschaften, um sich nach einem Umweg über Jazzballaden und Joni-Mitchell-Songs dem Theater des Chanson-Kabaretts zu widmen. Von 1997 bis 2009 begeisterte sie zusammen mit dem Pianisten Timm Beckmann als das Duo Weber-Beckmann mit witzig-melancholischen Liedern, die Maßstäbe setzten und schließlich mit dem Deutschen Kleinkunstpreis gewürdigt wurden. Beide trennten sich, als künstlerischer Stillstand drohte, noch ehe das viele Zuschauer bemerken konnten. Jetzt ging sie Solowege mit ihrem Programm „Das Honolulu-Prinzip“, das plädiert, das Leben mit Südseeleichtigkeit anzugehen, und mit ihrem Kinderliederprojekt Krümelmucke. Ihre Krebserkrankung hatte sie seit Ende 2010 von der Bühne ferngehalten, doch die Aufnahmen für eine weitere CD konnte sie noch fast fertigstellen. Möge sie als letzte Botschaft erscheinen!

Stephan Göritz


CHAVELA VARGAS (ISABEL VARGAS LIZANO)

CHAVELA VARGAS

17.4.1919 San Joaquín de Flores (Costa Rica)
bis 8.8.2012 Cuernavaca (Mexiko)

Schon zu Lebzeiten eine Legende und von unzähligen, teils abenteuerlichen Mythen umrankt war diese mexikanischste Wahl-Mexikanerin. Die „Dame im roten Poncho“ – wie sie einer ihrer unzähligen Künstlerfreunde, der spanische Liedermacher Joaquín Sabina nannte – verbrachte fast 80 ihrer 93 Lebensjahre in diesem Land.“Ich gehe mit Mexiko im Herzen“, soll die Sterbende im Krankenhausbett, am Ende ihrer langen, turbulenten Lebensreise gesagt haben. In so intensiver wie eigenwilliger Weise machte die Gitarre spielende Sängerin sich die mexikanische Liedkultur, insbesondere die Ranchera, zu eigen. Die rauchende und Hosen tragende, dem Tequila und den Frauen zugetane „Llorona“ mischte ein musikalisches Genre auf und dessen von Männern dominiertes Milieu. Der renommierteste Ranchera-Sänger und -Komponist José Alfedo Jiménez brachte den Karrierestein der jungen Costaricanerin ins Rollen. Seine tequila-schweren Klagelieder schienen wie gemacht für Chavela Vargas‘ gefühlsintensive, gebrochene Stimme. Ende der Siebziger verschwand die Künstlerin für mehr als zehn Jahre völlig von der Bildfläche, um vor allem ihren Alkoholismus zu besiegen. Ihre Wiedergeburt passierte quasi in Europa, wo sie 1990 in Werner Herzogs Film „Schrei aus Stein“ mitspielte und kurz darauf, angeregt vom spanischen Regisseur Pedro Almodóvar, ihren musikalischen Weg wiederaufnahm. Auf dem blieb sie zuletzt: Noch im Juli präsentierte sie in Madrid ihre neueste, Federico García Lorca gewidmete CD. Eine Hommage an sie selber, an der 40 Künstler beteiligt sind, deren Lieder Chavela Vargas z.T. noch hörte, wird nun letzlich posthum erscheinen.

Katrin Wilke

Update vom
09.02.2023
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