FOLKER – Halbmast

HALBMAST

FRANZ JOSEF DEGENHARDT

FRANZ JOSEF DEGENHARDT 1995 * Foto: Ingo Nordhofen

3.12.1931, Schwelm, Deutschland
bis 14.11.2011 in Quickborn, Deutschland

„Väterchen Franz“ ist am 14. November 2011 gestorben – an dem Tag, an dem die Nation entsetzt nach Zwickau blickte. Wer zu mystischen Erklärungen neigt, mag darin einen Zusammenhang sehen. Vielleicht ist er aber gar nicht so irrational. Wogegen Franz Josef Degenhardt ein Leben lang gekämpft hatte – es scheint stärker zu sein als er. „Hier im Innern des Landes leben sie noch.“ Wer weiß, vielleicht hat ihm die Bestätigung dieser Erkenntnis die letzte Kraft zum Leben genommen.

Wir wollten seinen achtzigsten Geburtstag feiern, der knapp drei Wochen später stattfinden sollte. Nun ist ein Totenfest daraus geworden. Degenhardts leise, heisere Stimme wird uns fehlen. Es gibt ja nicht mehr viele seiner Statur. Die Linke hat das Talent, heftiger gegen die eigenen Leute zu kämpfen als gegen den gemeinsamen Feind. Vielleicht werden sich jene, die Degenhardts Ansichten zur untergegangenen Sowjetunion oder zur DDR nicht teilten, jetzt, da er tot ist, ein wenig schämen, wenn sie registrieren müssen, wie sich die Rechte mittlerweile zum Mord rüstete. Degenhardt hat das ja stets geahnt. Die Befürchtung, die Erde könnte, mit den von diesem selbst längst zurückgenommenen Worten seines Gegenspielers Wolf Biermann eher „todrot“ als „lebenrot“ werden, war groß, auch wenn er sie gelegentlich mit optimistischen Perspektiven übertünchte.

Bei all dem darf man eins nicht vergessen: Der Liedermacher und ehemalige Rechtsanwalt, der Romanautor und politische Aktivist war einfach auch ein besonders liebenswerter Mensch. Die Zuneigung, die er von den meisten Kolleginnen und Kollegen erfuhr, galt nicht nur dem Talent, dem Vorbild im künstlerischen Bereich, sondern stets auch einem Mann, der Wärme und Menschenliebe ausstrahlte. Er wird uns fehlen. „Venceremos“? Solche Kraftmeierei wäre verlogen. Das hat Degenhardt nicht verdient. Machen wir es eine Nummer kleiner. „Kommt an den Tisch unter Pflaumenbäumen.“ Freundlichkeit ist schon ein Sieg, wo eine Bande über viele Jahre hinweg Migranten morden kann, ohne entdeckt zu werden.

Thomas Rothschild


GEORG KREISLER

GEORG KREISLER 2002

18.7.1922, Wien, Österreich
bis 22.11.2011, Salzburg, Österreich

„Unser Urlaub ist nun beendet, wir haben uns gut erholt … manches Vorgesehene hat sich in Schall und Rauch aufgelöst. So ist das im Leben“, so lautet die letzte Eintragung auf Georg Kreislers Homepage. Sein bekanntestes Lied „Taubenvergiften im Park“ stand jahrzehntelang stellvertretend für seinen rabenschwarzen Humor, der manchmal in Zynismus und Sarkasmus abzugleiten schien – und es hat ihn berühmt gemacht. Kreisler litt darunter, auf die Rolle des Produzenten makabrer Lieder reduziert zu werden. Er war nicht nur ein einzigartiger Liedermacher und Interpret seiner hintergründigen Werke, sondern ebenso ein vorzüglicher Pianist, Schriftsteller, Bühnenautor, Komponist und Kabarettist. Aufgrund seiner jüdischen Herkunft floh Kreisler 1939 in die USA, wurde US-Bürger und blieb es bis zu seinem Tode. Er war ein rastloser Mensch, lebte zwischenzeitlich in Hollywood, München, Berlin, Basel und zuletzt in Salzburg.

Seine unversöhnliche, pessimistische und schließlich resignierende Grundhaltung den Menschen und den von ihnen geschaffenen Verhältnissen gegenüber, hatte sowohl eine politische, als auch eine persönliche Komponente. Er war radikal und kompromisslos, fühlte sich den Ideen des Anarchismus verbunden: „Es hat keinen Sinn mehr, Lieder zu machen / statt die Verantwortlichen niederzumachen.“ Gleichzeitig war er zutiefst enttäuscht und verbittert darüber, dass ihm nicht die Anerkennung zuteil wurde, die er verdiente. „Nehmt ihn nicht ernst!“, schrieb er, „Er ist doch gut / und er bemüht sich redlich. / Er ist ein Wiener und ein Jud, / zusammen ist das tödlich.“

Kai Engelke


JACKIE LEVEN

JACKIE LEVEN 2010 * Foto: Simon Murphy

18.6.1950, Kirkcaldy, Schottland
bis 14.11.2011, Southampton, England

Dies ist nicht so sehr ein Nachruf als vielmehr ein Abschiedsgruß an einen engen Freund und großartigen Menschen. Jackie Levens faszinierendes Leben mit all seinen Höhen und Tiefen wurde hinreichend dokumentiert seit seinem Tod – die Jahre unterwegs, das Trinken, die Heroinabhängigkeit, seine zu Unrecht ignorierte Band Doll by Doll, seine bemerkenswerte Produktivität, die Lügengeschichten. Darüber kann man anderswo nachlesen, hier geht es um mich und Jack.

Ich traf ihn das erste Mal in Bergen in Norwegen Mitte der Neunziger. Wir spielten beide auf demselben Festival, dort begann unsere Freundschaft. Doch erst als ich meine Solokarriere startete, wurden wir wirklich enge Freunde. Ich spielte viele Male im Vorprogramm seiner Auftritte in Deutschland, zusammen mit Andy White und später Robert Fisher gingen wir auf Tour als Songwritertrio. Wir spielten unzählige Duokonzerte, hatten alles in allem sicher über zweihundert gemeinsame Auftritte in halb Europa in den letzten zwölf Jahren. 2003 produzierte Jackie mein Album A Decent Man und ging als „Bandmitglied“ mit auf Tour. Er schrieb den Begleittext zu meinem Album The Tender Place und spielte auf zwei weiteren meiner Veröffentlichungen, während ich im Gegenzug auf einigen seiner Platten sang.

Nur wenige Menschen haben die Gabe des Geschichtenerzählens so, wie Jackie sie hatte. An vielen Abenden saß ich neben ihm auf der Bühne und kriegte mich genauso wie das Publikum kaum ein vor Lachen. Trotz seiner Größe und seines früheren Rufs als harter Bursche war er einer der sanftesten Menschen, die ich je getroffen habe.

Ende August dieses Jahres hatten wir zwei gemeinsame Auftritte in Brighton und Portsmouth, die Jackies letzte Konzerte sein sollten. Auf der Bühne in Brighton nannte ich ihn den „älteren Bruder, den ich nie hatte“. Und das war er auch.

Für mich war Jackie ein gewaltiger Einfluss, nicht nur musikalisch und textlich, sondern auch durch die Art, auf die er mit dieser verfluchten Musikindustrie umging. Seine bewundernswert positive Einstellung, sein großartiger Humor und Gleichmut, die ihn nie davon abhielten, fabelhafte Werke zu schaffen, auch wenn diese oft nicht die Beachtung erlangten, die sie verdient gehabt hätten.

Jackie, ich werde dich so sehr vermissen, du wirst immer bei mir sein. Wann immer ich eine Bühne betrete, wirst du in meinen Gedanken sein, und ich werde deine Arbeit würdigen, wo immer ich kann. In Liebe und Dankbarkeit dafür, dass du mein Freund warst.

Michael Weston King


LUDWIG HIRSCH

LUDWIG HIRSCH 2010 * Foto: Heidi Nerath

28.2.1946, Weinberg, Österreich
bis 24.11.2011, Wien Österreich

Er sang ohne Scheu über den Tod, den er als „großen schwarzen Vogel“ herbeirief, und er verspottete mit Lust die Autoritätshörigkeit seiner NS-gläubigen „Omama“. Nie hätte Ludwig Hirsch geglaubt, dass man sich außerhalb von Wien für seine Lieder interessieren könnte, denn sie sollten zunächst nur seine persönliche Notwehr gegen die verlogene Wiener Gemütlichkeit sein. Der Arztsohn aus der Steiermark hatte Schauspiel studiert und war 1977 Ensemblemitglied des Theaters an der Josefstadt in Wien, als er die Gäste einer Silvesterfeier mit seinen morbiden und sarkastischen Liedern begeisterte. Daraufhin wagte er eine erste Platte, die ihn weit über Wien hinaus bekanntmachte. Mehr als 20 weitere Alben folgten. Sein Publikum erkannte in ihnen sich und die Welt. Er selbst glaubte seinen „dunkelgrauen“ Fantasien so richtig offenbar erst am Schluss. Während er sein Lied, in dem Gott die Erschaffung des Menschen dem Teufel überlässt, 1999 noch als „ein Spiel um des Effektes willen“ bezeichnete, „bloß nicht allzu ernst zu nehmen“, sah er dasselbe Stück im Februar 2011 anders und sagte, müde am Mikrofon vorbeiblickend: „Vielleicht war es wirklich so. Wenn es ein Fegefeuer geben sollte, dann wäre das heute.“

Jetzt ist er wohl dem großen schwarzen Vogel entgegengeflogen. Man fand Ludwig Hirsch tot unter einem Fenster des Wiener Wilhelminenspitals, in dem er wegen eines Lungenemphysems behandelt wurde.

Stephan Göritz


JEAN JÜLICH

18. April 1929, Köln, Deutschland
bis 19. Oktober 2011, Köln, Detuschland

Edelweißpirate han se sich jenannt.
Wo dat Blömche jeblöht hät, do wor Widerstand.

Edelweißpiraten haben sie sich genannt.
Wo diese Blume blühte, da war Widerstand.

JEAN JÜLICH 2007 * Foto: Elke Wetzig

Unserem Freund
Jean Jülich
Edelweißpirat / Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime
Vorbild an Zivilcourage / Zeitzeuge / unermüdlicher Aufklärer
unbeugsamer Demokrat / Praktiker gelebter Toleranz
als Gerechter der Völker in Yad Vashem geehrt
Träger des Bundesverdienstkreuzes am Band
Gastronom / Karnevalist / begnadeter Entertainer
kölsches Original

Dank und Gruß.
Rolly Brings & Bänd & Freunde

Mer verjesse nit. / Wir vergessen nicht.


***

MANNI HOLLÄNDER

In Aachen erlag der Gitarrist Manni Holländer 58-jährig einem Hirntumor. Holländer erlangte 1972 erste Popularität in der Krautrockband Tortilla Flat. In den Zeiten von Punk und NDW war er Bandmitglied bei Jürgen Zeltinger, den Nervous Germans und seiner langjährigen Lebensgefährtin Ina Deter. Danach war er vornehmlich als Produzent (u.a. Schroeder Roadshow), Toningenieur und Ensemblemitglied der Bonner Pink Punk Pantheon-Stunksitzung aktiv.

Im Alter von 56 Jahren starb der Hanauer Sänger und Songwriter Manny Herrmann an den Folgen mehrerer Schlaganfälle. Herrmann hatte in den frühen 1970ern die Band The Tumbling Dice gegründet. Ihre viel beachtete Debüt-LP Midnight Roses spielte die Band 1979 für Biber Records ein (mit u. a. Anne Haigis als Gastsängerin). In den letzten Jahren verlegte sich der ebenso charismatische wie zuweilen phlegmatische Musiker vornehmlich aufs Songschreiben und trat nur noch sporadisch auf.

LADI GEISLER

Der Grandseigneur der Jazzgitarre Miroslav „Ladi“ Geisler, geboren am 27.11.1925 in Prag, starb am 19.11.2011, kurz vor seinem 84. Geburtstag, in Hamburg. Als Jugendlicher in Kriegshaft tauschte er mit einem Matrosen seine erste Gitarre für Zigaretten. Die Karriere des Autodidakten führte über den NDR zu Stars wie Hildegard Knef, Belina, Esther und Abi Ofarim und James Last. Als einer der ersten deutschen Besitzer eines E-Basses erfand er den „Knackbass“-Sound, der zum unverzichtbaren Merkmal des Bert-Kaempfert-Orchesters wurde.

Update vom
09.02.2023
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