FOLKER – Halbmast

HALBMAST

MIKE WATERSON

Mike Waterson - Foto: Mike Harding

16.1.1941 in Hull, England
bis 22.6.2011 in North Yorkshire, England

Die Watersons gelten als Englands legendärste A-cappella-Gruppe: Lal, Norma und Mike, dazu bis 1968 John Harrison und ab 1972 Martin Carthy. Traditionelle und später auch eigene Songs, unnachahmlich und mitreißend interpretiert – und Mike war die männliche Leadstimme der Familie. Eine Stimme, die nicht unbedingt als schön bezeichnet werden konnte, die aber eine eigenartige Faszination ausstrahlte, ganz gleich ob auf einer großen Festivalbühne oder in einem intimen Folkklub. Neben den Waterson-CDs gibt es auch jeweils ein Album mit Schwester Lal und ein Soloalbum aus dem Jahr 1977. Weitere Angebote für Solo-CDs lehnte Mike ab. So bodenständig, wie er sich gab, war er tatsächlich: Er arbeitete zeitlebens als Malermeister, wenngleich es wahrscheinlich auf der Insel nicht viele Maler mit seinem Intellekt gab, die Lieder von intensivem sozialem Realismus schreiben konnten. Die Watersons als Gruppe waren bereits nach dem frühen Tod von Lal Waterson 1998 endgültig Geschichte. Im Alter von siebzig Jahren verlor nun Mike Waterson seinen Kampf gegen den Krebs.

Mike Kamp


MANUEL GALBÁN

Manuel Galbán

14.1.1931 in Gibara, Provinz Holguín, Kuba
bis 7.7.2011 in Havanna, Kuba

Wieder ist der Buena Vista Social Club um einen Musiker ärmer. Dass der Gitarrist und Tres-Spieler Manual Galbán Torralbas, der den zuletzt verstorbenen Kollegen Orlando „Cachaíto“ López und Ibrahim Ferrer folgt, auch schon achtzig war, überrascht. Wirkte er doch neben den anderen im gefeierten Altherrenverein mit seinem zurückgekämmten, pomadisierten Haar bis zuletzt wie ein cooler Rock ’n’ Roller. Als einen für Kubaner eher scheuen Mann erlebte ich ihn einmal fernab der Bühne, bei einem Fest im Hause seines Freundes Ferrer. Auf dessen letztem zu Lebzeiten erschienenen Album Buenos Hermanos spielt Galbán neben akustischer und E-Gitarre auch Piano und Orgel. Er hatte sich als vielseitiger Musiker und Komponist längst einen Namen gemacht, als Ry Cooder ihn 1996 in den Buena Vista Social Club holte und ihm so zu weltweiter Beachtung verhalf. Galbán war in diversen Lokalbands in seiner Heimatstadt aktiv, begann dort mit dem Orquesta Villa Blanca auch seine professionelle Karriere. 1963, sieben Jahre nach seinem Umzug nach Havanna, trat er dem legendären Vokalquartett Los Zafiros bei und wurde dessen musikalischer Direktor. Es heißt, nach seinem Ausstieg 1972 hätten zwei Gitarristen den versierten Kollegen ersetzen müssen. Der gründete 1974 die Band Batey, mit der er als Gitarrist, Sänger und Pianist in 23 Jahren durch 60 Länder tourte. 1994 bis 1996 war er Mitglied der Vieja Trova Santiaguera, die noch vor dem Buena Vista Social Club das musikalische Kuba-Revival eröffnete. Neben diversen Einzelaufnahmen der Social-Club-Musiker glänzt Galbán vor allem auf dem mit Cooder eingespielten, Grammy-prämierten Album Mambo Sinuendo. Es hebt sich stark ab von der Buena-Vista-Romantik und entfaltet etwas vom alten Zafiros-Esprit. Manuel Galbán starb in Folge eines Herzinfarkts.

Katrin Wilke


JEAN PACALET

Jean Pacalet

10.3.1951 in Chambéry, Frankreich
bis 7.7.2011 in Berlin

Die Berliner Musikszene ist um einen ihrer musikalischen Schätze ärmer. Anfang Juli verstarb nach langer Krankheit der französische Akkordeonist und Komponist Jean Pacalet. Seit Mitte der 1990er-Jahre lebte er in Berlin und arbeitete dort mit vielen Musikern, vor allem mit Lebensgefährtin Barbara Thalheim. Sein Lebensweg mit Stationen im Kongo, wo er aufwuchs, oder Moskau, wo er in den Achtzigerjahren studierte, ist eher ungewöhnlich für einen Künstler, der westlich des eisernen Vorhangs geboren wurde. 1987 erschien sein erstes eigenes Album Oeuvres De Jean Pacalet (als CD wiederveröffentlich beim Berliner Label Nebelhorn), darüber hinaus schrieb er Stücke für Sinfonieorchester, Streichquartett, Soloakkordeon, Bläserquintett, Theater- und Filmmusiken. Zu seinen letzten Arbeiten zählten eine Auftragskomposition für tausend Musiker in seiner Heimatstadt Chambéry in Frankreich sowie ein Programm zum neunzigsten Geburtstag des Dichters Erich Fried, das er gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin und künstlerischen Partnerin Barbara Thalheim im Mai diesen Jahres in Berlin uraufführte. Eine Trauerfeier für Jean Pacalet, zu der zahlreiche Wegbegleiter erwartet werden, findet am Sonntag, dem 4. September 2011, um 15.00 Uhr in der Berliner St.-Bartholomäus-Kirche statt.

Claudia Frenzel


KENNY BAKER

Kenny Baker

26.6.1926 in Jenkins, USA
bis 8.7.2011 in Gallatin, USA

Es gehört zu den Merkwürdigkeiten dieser Welt, dass ein Mann, den vor allem Jazz interessierte, für viele zum besten Bluegrassfiddler aller Zeiten wurde: Kenny Baker. Bill Monroe, der „Father of Bluegrass“, hielt große Stücke auf ihn und holte Baker 1957 zum ersten Mal in seine Band, die Blue Grass Boys. Das Engagement dauerte nur ein Jahr, wie auch das zweite 1962/63. Baker hatte eine Familie zu ernähren und konnte als Bergmann in Kentucky mehr Geld verdienen als mit dem Geigespielen. 1968 lagen die Dinge anders, die Kinder waren groß, und der 1926 in Jenkins, Kentucky, geborene Baker begann seine Laufbahn als professioneller Musiker. Ab da gehörte er nicht nur als festes Mitglied zu Monroes Band, sondern veröffentlichte auch Soloalben, die seinen legendären Ruf begründeten. Im Frühling 1969 erschien das Debüt auf County Records: Portrait Of A Bluegrass Fiddler. Das Album mit Instrumentals verkaufte sich hervorragend, wie auch die folgenden LPs maßgeblich zu Bakers Einkommen und Ansehen beitrugen. Mit Bill Monroe hielt er es so lange aus wie kein Musiker sonst: Bis 1984 zählte er zu den Blue Grass Boys. Die Zuhörer verehrten ihn für seinen süßen, vollen Ton, während er rhythmisch und melodisch seiner wahren Liebe, dem Jazz, treu blieb. Bluegrass bezeichnete er einmal als die „Hinterwäldlerversion von Jazz“. Kurz nach seinem 85. Geburtstag erlitt Kenny Baker einen Schlaganfall, von dem er sich nicht mehr erholte.

Volker Dick


FACUNDO CABRAL

Facundo Cabral

22.5.1937 in La Plata, Argentinien
bis 9.7.2011 in Guatemala-Stadt, Guatemala

Mit Rodolfo Enrique Facundo Cabral ist einer der großen argentinischer Liedermacher, Songwriter und Schriftsteller plötzlich aus dem Leben gerissen worden. 1970 gelang ihm mit dem Song „No Soy De Aqui, No Soy De Alla“ (span. „Ich bin nicht von hier, ich bin nicht von dort“) der Durchbruch, wurde er durch dieses Lied weltbekannt. Über siebenhundertmal wurde das Stück bis heute aufgenommen, von Julio Iglesias bis Neil Diamond gesungen und in mehr als 27 Sprachen übersetzt. In den schaffensreichen Jahren des Folksängers entstanden 24 Alben und 22 Bücher. Das ist umso bemerkenswerter, wenn man weiß, dass Facundo Cabral als eines von acht Kindern in ärmsten Verhältnissen aufwuchs und Lesen und Schreiben erst bei einem seiner vielen Gefängnisaufenthalte als Teenager lernte. Die Kindheit des Musikers war widrig, und oft entzog er sich dem Elternhaus, büxte immer wieder aus. So landete er mit neun Jahren in Buenos Aires und drang, das ist verbürgt, bis zur Präsidentengattin Evita Perón vor, um sie um eine Arbeit für seine Mutter zu bitten. Ende der 1950er-Jahre ging er nach Mar del Plata, um sich als Barsänger in Hotels zu verdingen, machte zunehmend die Musik zu seinem Lebensmittelpunkt. Nach dem Putsch in Argentinien verließ der Sänger, der als einer der führenden Intellektuellen seines Landes galt, die Heimat und lebte bis1984 in Mexiko. Der bedeutende Folksänger fiel Anfang Juli nach zwei Konzerten in Quetzaltenango, rund zweihundert Kilometer von Guatemala-Stadt entfernt, einem Anschlag zum Opfer. Der Wagen des Künstlers wurde auf dem Weg zum Flughafen plötzlich beschossen, der Liedermacher starb im Kugelhagel. Sein Manager und der Konzertpromoter wurden schwer verletzt, und man nimmt an, dass das Attentat dem Unternehmer Henry Fariña galt, der ebenfalls im Wagen saß, aber überlebte.

Claudia Frenzel


BILL MORRISSEY

Bill Morrissey

25.11.1951 in Hartford, Connecticut, USA
bis 23.7.2011 in Dalton, Georgia, USA

Den Bluesmann Mississippi John Hurt habe er, so erzählte Bill Morrissey, leider erst nach dessen Tod wertschätzen gelernt. Zu befürchten ist, dass auch Morrissey erst nach seinem Tod die gebührende Achtung entgegengebracht werden wird. Schon jetzt dürfte die Anzahl der Nachrufe, die den Verlust des Singer/Songwriters beklagen, größer sein als die der Porträts und Artikel, die zu seinen Lebzeiten über ihn in den Musikjournalen zu lesen waren. Lob hatte der Mann mit dem traurig-interessierten Blick, der sanften Stimme und dem swingend-bluesigen Gitarrenspiel dabei allemal bekommen, für sein knapp ein Dutzend Alben und seinen lakonisch-journalistischen Stil, mit dem er über das harte Leben in New Hampshire berichtete. „Mit seinen Liedern gab er New Hampshire eine Heimat“, heiß es in einem der Nachrufe. Richard Ford und Raymond Carver werden als literarische Ahnherren seines Stils bezeichnet, als musikalische Vorbilder nannte er, neben Hurt, Robert Johnson, Lester Young, Count Basie und Hank Williams. Zwar konnte er auch ohne Musik überzeugen, sein 1996 erschienener Roman Edson (Alfred A. Knop, 1996) war ein kleiner Bestseller, doch man wird ihn zweifellos als einen amerikanischen Musiker in Erinnerung behalten, der, so die New York Times, bereits seit zehn Jahren in die gleiche Klasse wie Woody Guthrie, Bob Dylan, John Prine, Bruce Springsteen und Tom Waits gehöre. Sein Tod durch Herzversagen auf einer Tour durch die amerikanischen Südstaaten kam für Freunde des schweren Alkoholikers nicht überraschend. „Ich habe einige Auftritte hinter mir, auf die ich nicht stolz bin“, sagte er. Diese Kritik kann sich höchstens auf einzelne Konzerte beziehen, nicht auf seinen Gesamtauftritt auf Erden.

Harald Justin


JOE ARROYO

Joe Arroyo

1.11.1955 in Cartagena, Kolumbien
bis 26.7.2011 in Barranquilla, Kolumbien

Bereits Anfang der Achtzigerjahre war er totgesagt, nun starb der Superstar der „Salsa tropical“ Joe Arroyo wirklich, gerade einmal 55 Jahre alt. Dabei sah alles danach aus, als würde der Sänger bald sein Comeback feiern. Zum Verhängnis wurde ihm wohl, dass die Musiklegende auf Privatpartys von Multimillionären ein Vermögen verdiente und dieses vor allem in Drogenexzesse investierte. Dieses Leben zollte seinen Tribut, sodass Arroyo schon seit den Achtzigern an einer Schilddrüsenkrankheit litt. Ohne musikalische Ausbildung (man sagte ihm ein absolutes Gehör nach) revolutionierte er bereits als Siebzehnjähriger die Salsa. Zuerst mit Fruko y sus Tesos und dann mit seiner eigenen Band La Verdad, mit der er zwischen 1985 und 1990 jedes Jahr ein Album produzierte und die verschiedene Stile wie Salsa, Compás, Merengue, Reggae und Soca mischten. Einer seiner größten Hits war 1986 „Rebelión“, sein Song „La Noche“ wurde durch den kolumbianischen Sänger Juanes über Südamerika hinaus bekannt. Ende Juni erlitt Arroyo einen Herzinfarkt und erholte sich nicht mehr davon.

Claudia Frenzel


EAMONN O’DOHERTY

Eamonn OŽDoherty - Foto: Denis OŽDonovan

18.6.1939 in Derry, Co. Derry, Nordirland
4.8.2011 in Gorey, Co. Wexford, Irland

Eamonn O’Doherty, als meisterlicher Querflötenspieler aus der Dubliner Sessionszene nicht wegzudenken, dürfte vielen deutschen Musikfans eher als Maler und Bildhauer bekannt sein. Seine Skulpturen haben alle Irland-Besuchenden schon gesehen – von ihm stammen beispielsweise die rostroten Segel auf dem Eyre Square in Galway oder der Brunnen Anna Livia auf Dublins O’Connell Street. Zu seinem reichen Werk als Maler gehören die Illustrationen zu Andy Irvines Buch Aiming for the Heart, worin Irvine seinerseits in Erinnerungen an die frühen Tage von Sweeney’s Men und Touren mit Eamonn O’Doherty am Steuer schwelgt. Dass O’Doherty auch als Musiksammler brillierte, muss ebenfalls erwähnt werden: Zusammen mit Allen Feldman gab er 1979 das Buch The Northern Fiddlerheraus, noch immer das Standardwerk über die traditionelle Musik Donegals. Eine Ausstellung der Fotos, die bei der Arbeit an diesem Buch entstanden sind, war 2010 im Rahmen der Irischen Woche im Münchner Forum 2 zu sehen. In einem der ersten Nachrufe erinnerte Paul Brady an O’Dohertys immer gastliches Haus, das allen – Musikern, Kunstfans, Volkskundeforscherinnen und wen auch immer es sonst nach Dublin verschlagen hatte – jederzeit offen stand. Eine letzte Ausstellung mit Skulpturen und Bildern war bei seinem Tod bereits in Vorbereitung. Eamonn O’Doherty wurde am Derry geboren und erlag am 4. August in Gorey, Co. Wexford, seinem schweren Krebsleiden.

Gabriele Haefs

Update vom
09.02.2023
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