FOLKER – Halbmast

HALBMAST

JACKSON KAUJEUA

Jackson Kaujeua

3.7.1953 in Huns, Keetmanshoop, Namibia,
bis 27.5.2010 in Windhuk, Namibia

Nicht wegzudenken war Jackson Kaujeua aus dem namibischen Unabhängigkeitskampf, der den Großteil seines Lebens bestimmte. Den ersten hohen Preis für sein Engagement in Sachen politische Freiheit für seine Heimat zahlte er bereits als Zwanzigjähriger: Nach nur sechs Monaten musste Kaujeua seine musikalische Ausbildung am Johannesburger Dorkay House, einer Kunst- und Musikhochschule für begabte Nicht-Weiße, abbrechen, weil er an verbotenen Anti-Apartheids-Versammlungen teilgenommen hatte und mit Steve Biko gesehen wurde. Nach einem Gefängnisaufenthalt in Windhuk floh er ins Exil nach England und wurde später europaweit vor allem mit seinen Auftritten bei Konferenzen und Anti-Apartheids-Veranstaltungen bekannt. Seine musikalische Karriere bedeutete für ihn auch immer eine Karriere als politischer Aktivist. Als sich nach jahrzehntelangem Kampf Namibias Unabhängigkeit immer deutlicher abzeichnete, kehrte der Sänger, Gitarrist und Komponist nach Hause zurück. Dort landete er zwar den einen oder anderen Hit, konnte sich aber nie aus seiner Mittellosigkeit befreien: Keine seiner Platten wurde international vertrieben, und eine lokale Musikindustrie existierte in Namibia zunächst nicht; später dann waren neue Stile wie Kwaito kommerziell interessanter als der Liedermacher Jackson Kaujeua. Verwunderlich ist, dass ihn niemand seiner alten Weggefährten nachhaltig unterstützte oder ihm einen festen Job verschaffte – auch nicht, nachdem 1994 seine Autobiografie Tears Over The Desert erschienen war. Trotzdem gilt Kaujeua in seiner Heimat als einflussreicher Künstler, ist Nationalheld und Symbolfigur der Freiheitsbewegung. Obwohl er, der noch bis 2008 mit seinem Sohn Jackson Kaujeua Jr. auftrat, Kontakte nach Deutschland hatte und hier mehrmals für Auftritte und Lesungen unterwegs war, erreichte ein Teil seines Netzwerks die Nachricht von seinem Tod erst Monate später. Er starb kurz nach dem zwanzigsten Jubiläum des namibischen Unabhängigkeitstages in einem Krankenhaus in Windhuk an Nierenversagen.

Sabine Froese


WALTER SCHERF (TEJO)

Walter Scherf (Tejo)

11.6.1920 in Mainz, Deutschland,
bis 25.10.2010 in München, Deutschland

„Er wagte nicht nur interessante Rhythmuswechsel, sondern auch kühne Modulationen und harte Harmoniebrüche, wie sie … im einfachen volkstümlichen Singen … noch nie zu hören gewesen waren“, schreibt Helmut König – Thorofon-Labelchef und legendärer Burg-Waldeck-Tonmeister – als Herausgeber des kürzlich im Verlag der Jugendbewegung erschienenen Liederbuches Tejos Lieder. Walter Scherf, genannt Tejo, sei „so zu einem der ersten Liedermacher und zum Vorbild für viele, die von ihm lernten“ geworden. Schon während des Hitler-Faschismus hatte Scherf, der in Göttingen Physik, Mineralogie und Musikwissenschaft studierte, Kontakt zu Gruppen der Bündischen Jugend. 1949 wurde er Bundesführer der Deutschen Jungenschaft. Seit dieser Zeit komponierte er mehrere hundert (Fahrten-)Lieder, die zum Teil noch heute in den bündischen Gruppen gesungen werden. Einige bekannte Beispiele: „Hier wächst kein Ahorn“, „Geflochtene Schuhe zum Traben“, „Abends am Feuer singen wir leise“, „Ich bin auch in Ravenna gewesen“, „Der Nebel dämpft das Morgenlicht“. Walter Scherf, der viele Jahre als Direktor die Internationale Jugendbibliothek (IJB) in München leitete, war auch als Übersetzer tätig. Seine wohl bekannteste Übersetzung ist des Kleinen Hobbit von J. R. R. Tolkien. Nach seiner Pensionierung studierte er Volkskunde, Pädagogik und Psychologie in München und schloss sein Studium im Alter von sechsundsechzig Jahren mit einer Dissertation zum Thema Die Herausforderung des Dämons: Form und Funktion grausiger Märchen ab. Seit dieser Zeit widmete er sich verstärkt der Märchenforschung. 1995 gab er das zweibändige Märchenlexikon heraus. Walter Scherf hat das Erscheinen des Liederbuches Tejos Lieder zu seinem neunzigsten Geburtstag, das zum ersten Mal fast alle seine bisher nur verstreut veröffentlichten Lieder enthält, noch erlebt, ehe er am 25. Oktober starb.

Kai Engelke


MARIO PACHECO

Mario Pacheco

6.11.1950, Madrid, Spanien
bis 26.11.2010, Madrid, Spanien

Die Modernisierung des Flamencos in den vergangenen dreißig Jahren ist eng mit seinem Namen verbunden. Der Labelbetreiber, Fotograf und Produzent brachte den Nuevo Flamenco an die größere, letztlich weltweite Öffentlichkeit. Seine 1982 gegründete Platten- und Vertriebsfirma Nuevos Medios, mit einem von Joan Miró gezeichneten Logo, veröffentlichte unter anderem die Flamenco-Blueser Pata Negra sowie Ketama. Die Allianz der populären Flamenco-Latinband mit dem Koraspieler Toumani Diabaté und dem Kontrabassisten Danny Thompson ging in die Musikgeschichte ein. Das 1988 erschienene Album Songhai produzierte der Madrilene mit seinem Freund Joe Boyd. Aktivitäten wie diese beschrieb der rebellische, politisch wache Pacheco kurz vor seinem Krebstod in einem Interview der spanischen Tageszeitung El País schmunzelnd als „Motown des Flamenco“. Ansonsten war der oft etwas ironisch dreinblickende, zierliche Impresario eher bescheiden, wies die Lorbeeren für seine Pionierarbeit im Nuevo Flamenco bis zuletzt gern zurück. Aus einer Familie von Fotografen und Filmemachern stammend, verdingte er sich anfangs, zum Beispiel bei einem längeren London-Aufenthalt, als Musikfotograf. Fotos für Plattencover wie das für Camaróns La Leyenda Del Tiempo brachten ihn zum Flamenco. Doch nicht nur den, auch viel außerspanische Musik von The Smiths über Keith Jarrett, Steve Reich bis zu Chabuca Granda brachte der Begründer der UFI (Unabhängige fonografische Union) seinen Landsleuten erstmals zu Gehör. Im November starb er in seiner Geburtstadt Madrid im Alter von erst sechzig Jahren.

Katrin Wilke

Update vom
09.02.2023
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