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Ein gutes Lied mit einer Botschaft kann ein Anliegen näher an die Menschen heranbringen als tausend Kundgebungen. So beschrieb Phil Ochs einmal die Bedeutung seiner Musik. Topical Songs, Lieder zu aktuellen Themen in der Tradition von Woody Guthrie und Pete Seeger waren die Welt des in El Paso, Texas, geborenen Künstlers, der zum führenden Folk- und Protestsänger der Sechziger- und frühen Siebzigerjahre wurde. Seine Texte waren bissige Anklagen der sozialen Ungerechtigkeit und der politischen Missstände. Am 19. Dezember wäre er siebzig Jahre alt geworden. Von Michael Kleff Geboren wurde Phil Ochs 1940 als Sohn eines jüdischen Arztes und einer schottischen Mutter. Nach dem Besuch einer Militärschule in Virginia und einem Journalistikstudium an der Ohio State University zog er 1962 nach New York, wo Von Anfang an war Phil Ochs ein genauer, aber auch zynischer Beobachter der politischen Realität der Vereinigten Staaten. So beschrieb er in dem Song Heres To The State Of Mississippi den alltäglichen Rassismus in seinem Land:
Mississippi, Der singende Journalist – wie Ochs sich einmal selbst bezeichnete – attackierte die Verlogenheit in Politik und Gesellschaft, die die Herrschaft Fidel Castros in Kuba verteufelte, die Gräueltaten der Diktatoren Salazar, Franco oder Tschiang Kai-schek jedoch verschwieg. In einem auf der LP Interviews With Phil Ochs veröffentlichten Gespräch sagte er Es ist ein einzigartiger Sumpf aus Korruption, der das Land vergiftet hat. Man braucht nur die Zeitung zu lesen. Und um die Musikindustrie ist es nicht anders bestellt. Diese Erfahrung sowie politische und persönliche Rückschläge – die Medien verbannten ihn als ungeliebten Störenfried aus allen Sendungen – machten aus Phil Ochs einen immer radikaler denkenden Menschen. Besonders hart traf ihn die Ermordung John F. Kennedys, die er in dem Songpoem Crucifixion aufarbeitete. Ob du Kennedys Politik gut fandest oder nicht – er stand Die Wahl des reaktionären Hubert Humphrey zum Kandidaten der Demokraten wurde zu einem Wendepunkt in Ochs Leben. Das und die gewaltsame Zerschlagung einer Studentendemonstration während des Parteitags der Demokraten 1968 in Chicago war für den Musiker wie das Ende Amerikas, das er symbolisch mit seinem eigenen Tod gleichsetzte. Auf dem Cover seiner im darauffolgenden Jahr erschienenen LP Rehearsals For Retirement – Proben für den Abgang – ist ein Grabstein mit folgender Inschrift abgebildet: Phil Ochs (Amerikaner) Doch er gab noch nicht auf: 1968 war er in Deutschland bei den Ostermärschen dabei und trat beim Festival auf Burg Waldeck auf. 1971 sang er zusammen mit Joni Mitchell zur Unterstützung der ersten Greenpeace-Aktion gegen ein Atomversuchsgelände in Amchitka. In Chile trat er gemeinsam mit Victor Jara auf und organisierte 1974 nach dem Sturz von Präsident Allende eine Gedenkfeier im New Yorker Central Park. Ein Jahr später brachte er für das War-Is-Over-Konzert mit Joan Baez, Pete Seeger, Bob Dylan und Tom Paxton Freunde aus den alten Broadside-Tagen wieder zusammen. Aber der dauernde politische Kampf forderte seinen Preis, sagt Paxton zum Engagement seines Freundes: Politik hat für mich immer eine Rolle gespielt, aber eben nur eine. Bei Phils Musik machte sie neunzig Prozent aus. Ich glaube, es hat Phil umgehauen, als nach 1968 klar wurde, dass es in Amerika keine Revolution geben würde. Und als der Vietnamkrieg vorbei war, fühlte er sich ohne Aufgabe einfach alleingelassen. Doch Phil Ochs hatte auch eine sehr poetische Seite. Er schrieb zahlreiche sinnliche Balladen, die oft voller Humor waren. Denen, die meinten, nur protestieren zu müssen, hielt er vor: In einer derart brutalen, hässlichen Welt liegt der wahre Protest in Zärtlichkeit und Schönheit. Der Singer/Songwriter Bill Morrissey meint, dass das Publikum diese Seite des Musikers lange gar nicht wahrgenommen habe. Songs wie Flower Lady haben wahnsinnig schöne Bilder. Er war auch immer humorvoll, ein großer Satiriker. Von ihm habe ich gelernt, wie man auf der Bühne witzig sein kann und trotzdem sein Anliegen rüberbringt.
Ich kann mit ihm nicht mithalten, er wird von Tag zu Tag besser, hat Bob Dylan einmal über Phil Ochs gesagt. Doch Ende der Sechzigerjahre war Ochs nicht mehr in der Lage, seine Lieder so wie früher zu schreiben: schnell, direkt und treffend. Je radikaler er dachte, umso mehr wandten sich Freunde von ihm ab. Für ihn waren sie Opfer des Musikgeschäfts. Besonders enttäuschend war für ihn, dass Dylan ihn nicht mit auf die Amerikatournee seiner Rolling Thunder Revue mitnahm. Mit dem erfolgreicheren und zugleich politisch glatteren Dylan verband Ochs eine Art Hassliebe. Bei einer Fotosession kam es zum offenen Streit zwischen den beiden. Dylan sah damals so gut aus wie er arrogant war, kommentierte Ochs den Vorfall. Er verteilte Noten für alle anderen Songschreiber, gemessen an seinem Können natürlich. Zu mir meinte er: Phil, du bist kein Songwriter, du bist ein Journalist. Lass das Songschreiben. Bei der Fotosession stellte Dylan seine neue Single vor. Er wollte wissen, was ich davon halte. Mir gefällt sie nicht. Was soll das heißen, sie gefällt dir nicht, reagierte er aufgebracht. Sie ist nicht so gut wie deine alten Sachen. Da wurde er ganz wütend. Als wir dann in seine Limousine einsteigen wollten, sagte er zu mir: Raus aus meinem Wagen! Während einer Afrikareise wurde Phil Ochs 1973 von Straßenräubern der Hals aufgeschlitzt. Dabei wurde er so schwer an den Stimmbändern verletzt, dass er die für seinen Gesang typischen hohen Stimmlagen nicht mehr erreichte. Übermäßiger Alkoholgenuss tat ein Übriges, um ihn immer launischer und unberechenbarer werden zu lassen. Er begann, unter Verfolgungswahn zu leiden, bedrohte Freunde und harmlose Menschen – er schlief betrunken in der Gosse und verbrachte so manche Nacht in einer Ausnüchterungszelle. Ende 1975 tauchte Ochs dann bei seiner Schwester Sonny auf und fragte, ob er ein paar Tage unterkommen könne. Er sollte bis zu seinem Tod bei ihr bleiben. Er war die ganze Zeit sehr ruhig, erinnert sich Sonny Ochs. Er wollte immer nur Karten mit meinen Kindern spielen. Er rauchte. Aber wenn keine Zigaretten mehr im Haus waren, konnte er nicht einmal vier Straßenblöcke weit gehen, um sich eine Packung zu holen. Er wartete, bis ich kam. Er trank. Da es bei mir keinen Alkohol im Haus gab, hörte er damit auf, weil er es nicht schaffte, sich welchen im Laden zu besorgen. Er konnte es einfach nicht. Er war in einer schrecklichen Verfassung. Ich habe alles versucht. Ich war nett zu ihm. Ich habe ihn angebrüllt: Phil, steh auf! Beweg dich! Geh an die Luft! Körperliche Bewegung ist gut für den Geist. Doch nichts. Eine Zeitlang sah es so aus, als sollte sich sein Zustand bessern, doch eben nur eine Zeitlang. Der Musiker Tom Pacheco erzählt von einer Begegnung mit Ochs knapp zwei Monate vor dessen Tod: Er machte einen ausgesprochen depressiven Eindruck. Die Stimmung war geradezu unheimlich. Phil schaute sich in meinem Apartment um. Als er sich gesetzt hatte, meinte ich: Deine Musik hat mich mein ganzes Leben lang beeinflusst. Nur flüsternd entgegnete er: Ich war mal ziemlich kreativ. Doch das ist vorbei. Als er meine Gitarre entdeckte, fragte Phil, ob er darauf spielen dürfe. Klar. Auf die Frage, was er für mich singen soll, sagte ich: Pleasures Of The Harbor, diesen Song liebe ich. Und er hat ihn gespielt. Es ist tragisch, dass er noch einen Tag vor seinem Selbstmord bei mir anrief und wissen wollte, ob ich Geld für ihn aus seinen Tantiemen hätte. So beschreibt Harold Leventhal, der vor wenigen Jahren verstorbene Verleger der Songs von Phil Ochs, das letzte, bedrückende Gespräch, das er mit dem Singer/Songwriter hatte. Natürlich nicht. Er war fürchterlich frustriert, dass er den großen Durchbruch nicht geschafft hatte, dass er nicht wie Dylan war. Er stand unter einem schrecklichen Erfolgsdruck. Aber nichts passierte. Seine Platten haben sich nie in nennenswerten Stückzahlen verkauft. Er hat den Stillstand seiner Karriere wohl gespürt und gefühlt, dass er nie die Größe Dylans und schon gar nicht die von Elvis erreichen würde. 1970 gab Phil Ochs in der New Yorker Carnegie Hall ein als Hommage an das große Vorbild Elvis Presley gedachtes Konzert. Ochs war Zeit seines Lebens davon überzeugt, dass eine Revolution in den USA nur eine Chance hat, wenn ein Elvis Presley, der die Arbeiter erreicht, zu einem Che Guevara wird. Daher trat auch Ochs in den letzten Jahren seiner Karriere immer häufiger im Goldlamé-Anzug auf und trug Presley-Songs vor. Am Ende sollte er noch vor dem König des Rock n Roll sterben: Elvis im August 1977, Phil Ochs erhängte sich vor 34 Jahren, am 9. April 1976 in der Wohnung seiner Schwester im New Yorker Stadtteil Queens. Einige Wochen nach seinem Tod fand im Madison Square Garden ein Gedächtniskonzert statt. Mitwirkende waren unter anderem Pete Seeger, Ramblin Jack Elliott, Tim Hardin, Melanie, Tom Rush und Jerry Rubin. Selbst Abbie Hoffman, der damals vom FBI gesucht wurde, hatte sich unter das Publikum gemischt. Phils Schwester Sonny würdigte ihren Bruder. Ich stand noch immer unter Schock. Aber es war faszinierend, all diese Künstler auf der Bühne zu sehen. Das Konzert war in gewisser Weise eine Beerdigung – mit Musik und Menschen, die ihn gekannt und mit ihm gearbeitet hatten. Viertausend Menschen nahmen so Abschied von Phil. Es war schon ein wahnsinniger Abend. Nicht dabei waren Bob Dylan und Joan Baez. Sie gibt eine ausweichende Antwort auf die Frage, ob die alten Freunde Ochs in seiner Einsamkeit vielleicht im Stich gelassen hätten. Ich glaube viele von uns, die politisch geblieben sind, waren ebenfalls allein. Er hatte vielleicht nicht die innere Kraft, damit umzugehen. Freund und Kollege Tom Paxton ist davon überzeugt, dass die Stimme des Protests – wie ihn die Zeitschrift Melody Maker nannte – bis heute in seinen Liedern weiterlebt: Es gibt immer wieder Leute, die Topical Songs für eine Art Wegwerfprodukt halten. Warum schreibe man die eigentlich, fragen sie, wo sie jeder doch nach wenigen Wochen schon vergessen würde, wenn sie alt und überholt seien. Phil ist das Paradebeispiel dafür, dass das nicht stimmt. Seine besten Songs sind heute noch zeitgemäß und hochaktuell. Wenn ich I Aint Marching Anymore oder There But For Fortune höre – das sind immer noch wunderbare Lieder. Eine Liste der exklusiv auf der Folker-Webseite erschienenen Artikel findet ihr im Archiv . ... mehr im Heft |
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