FOLKER – Halbmast

HALBMAST

FRED WEDLOCK

Fred Wedlock

23.5.1942, Bristol, England, bis 4.3.2010, Bath, England

Er hatte noch so einiges vor und freute sich auf seiner Website über einen vollen Terminkalender. Dann kam der Herzinfarkt und im Krankenhaus zog er sich zusätzlich eine Erkältung zu. Das war zu viel. Anfänglich arbeitete Wedlock hauptsächlich in seiner südenglischen Heimat. Comic Songs, Parodien und Witze, das war es, was er in den Folkklubs präsentierte. Dort war er beliebt, und in diesem Metier war er gut. Aber einmal war er auch ganz oben, nämlich 1981, als seine Single „The Oldest Swinger in Town“ in den UK-Charts auf Platz sechs kletterte. Im gleichen Jahr legte er mit „Chartbusters“ noch einmal nach, und es folgten Einladungen zu Auftritten und Festivals weltweit. Im Fernsehen und im Theater war er ebenfalls regelmäßiger Gast. Was Fred Wedlock jedoch für diese Zeitschrift schlicht einzigartig macht, ist der Titel seiner Debüt-LP aus dem Jahr 1971: Die hieß nämlich kurz und treffend The Folker!

Mike Kamp

JEAN FERRAT

Jean Ferrat

26.12.1930, Vaucresson, Frankreich, bis 13.3.2010, Aubenas, Frankreich

Der französische Sänger, der bürgerlich Jean Tenenbaum hieß, hatte Mitte der Sechzigerjahre mit dem Lied „Potemkine“ die Studentenproteste des Jahres 1968 vorhergesagt, vertonte Gedichte von Louis Aragon und gehörte in Frankreich viele Jahre lang zu den beliebtesten Sängern. Jean Ferrat war das jüngste von vier Kindern einer jüdischen Familie. Sein Vater starb im Konzentrationslager Auschwitz. Ferrat musste die Schule schon früh verlassen, um seine Familie zu unterstützen, fühlte sich jedoch sehr von der Musik und dem Theater angezogen. Zunächst schrieb er Liebeslieder, später politisierte er sich, unterstützte die Kommunistische Partei und engagierte sich als Kommunalpolitiker in Südfrankreich. Entdeckt wurde er Mitte der Fünfzigerjahre im Pariser Cabaret La Colombe. Doch seine Lieder galten vielen als zu gewagt und zu kritisch. Sie wurden vom französischen Rundfunk nicht gesendet. Trotzdem war er, vor allem mit weniger politischen Chansons erfolgreich – wie mit „La Montagne“, von dem fünf Millionen Exemplare verkauft wurden. In seinen letzten Lebensjahren trat er nicht mehr auf, zog sich aufs Land zurück. Dort starb er am 13. März dieses Jahres im Alter von 79 Jahren.

Claudia Frenzel

FRANK WULFF

Frank Wulff

28.6.1952, Hamburg, bis 19.3.2010, Hamburg

„Habe ich mein Leben nur geträumt oder ist es wirklich wahr gewesen, von dem ich glaubte, dass es wäre, war das überhaupt? Hab ich am Ende nur geschlafen und weiß es nicht?“ Diese Worte aus der Feder von Walther von der Vogelweide mögen ein würdiges Epitaph sein für Frank Wulff-Raven, der in den frühen Siebzigerjahren den Text „Ouwe“ vertonte und mit der noch jungen Mittelalterrockband Ougenweide 1973 auf deren ersten, von Achim Reichel produzierten Album veröffentlichte. Wulff-Raven kam über seine Arbeit als Roadie zum Musizieren, spielte anfangs Gitarre, Quer- und Blockflöte und erweiterte sein Instrumentarium im Laufe der Jahre auf eine nahezu unüberschaubare Anzahl. Seine musikalische Arbeit mit der Gruppe war richtungweisend und machte Ougenweide zur ersten namhafte Folkrockband Deutschlands mit dem damals einzigartigen Ansatz, auf mittelalterliche Instrumente und Lieder zurückzugreifen – heute ein Rollenmodell für Bands wie Subway to Sally und viele andere, die sich explizit auf Ougenweide berufen. Ougenweide genoss auch international hohes Ansehen, so wurde die Band 1978 zum renommierten Cambridge Folk Festival eingeladen. Es folgten Auftritte mit Fairport Convention, Steeleye Span und anderen. Bis zu 180 Konzerte im Jahr spielten sie, galten als ausgesprochene Liveband. Nachdem sie sich 1984 trennten und erst 1996 in neuer Besetzung reformierten, arbeitete Wulff-Raven gemeinsam mit ehemaligen Ougenweide-Musikern an diversen Film- und Theatermusikprojekten. Zudem war er als Musiker aktiv in der Begleitband Etta Scollos sowie in der Achim Reichel Band. Am 19. März 2010 starb Frank Wulff-Raven viel zu jung in Hamburg, im Jahr des vierzigsten Ougenweide-Bandjubiläums, kurz vor Veröffentlichung einer Hommage-CD, plötzlich und für alle völlig unerwartet. Iemer mêre – ouwê!

Ulrich Joosten

HORST TRAUT

Horst Traut

20.1.1935, Weimar, bis 8.1.2010, Cursdorf, Thüringen

Horst Traut war Zeit seines Lebens ein engagierter Lokalmatador und einer, der sich die Pflege des thüringischen Volksliedes zur Aufgabe gemacht hatte. So wie ihn Freunde beschreiben, war die Volksmusik seine große Leidenschaft. Bekannter als der Musik- und Deutschlehrer aus Neuhaus am Rennsteig war sicher der Musiker Horst Traut. Mit seiner Gruppe Kantholz trat er noch bis zuletzt regelmäßig in Thüringen auf. Volkslieder aus Südthüringen, altdeutsche und gesellige Lieder sind Schwerpunkte in deren Repertoire. Viele der Songs hat Traut zusammengesucht und zahlreiche mündliche Überlieferungen aufgeschrieben. Nach vielen Jahren als Lehrer arbeitete er von Anfang der Achtzigerjahre bis 1994 am Weimarer Institut für Volksmusikforschung. Doch da dieses abgewickelt werden sollte, drängte man Traut, so erinnert sich sein ehemaliger Kollege Jörg Fauser, in den Vorruhestand. Doch auch der hielt den emsigen Volksliedforscher keineswegs von seiner Pionierarbeit ab. Zahlreiche Sammlungen wären ohne ihn nicht entstanden, darunter das Thüringer Volksliederbuch und das Wanderliedbuch. Traut gab nach der Wende ein Songbook der Folkszene (Liederbuch der Deutschfolk-Szene in der DDR) heraus, das recht vollständig das in den Siebzigern und Achtzigern verwendete Liedgut enthält. Eine der letzten Veröffentlichungen war Der Hallodri – Liedersammlung aus mündlicher und schriftlicher Überlieferung Ende des 20. Jahrhunderts im Thüringer Wald, das 2006 erschien. Zu Jahresbeginn hat Thüringen sein lebendes Liedgedächtnis verloren. Glücklicherweise hinterlässt er der Welt einen reichhaltigen Nachlass an Volksliedern, die sonst verlorengegangen wären.

Claudia Frenzel

CHARLIE GILLETT

Charlie Gillett

20.2.1942, Morecambe, England, bis 17.3.2010, London, England

Er hat die Dire Straits entdeckt, Lene Lovich, Ian Dury und Elvis Costello. 1987 gehörte er zu den Erfindern der „World-Music“-Kampagne und spielte den Briten Youssou N’Dour, Jali Musa Jawara und Marisa Monte vor. Dabei begann der Gentleman unter den britischen Musikjournalisten seine Karriere aus Verärgerung. Er wollte sich nicht damit abfinden, dass seine jahrelange Beschäftigung mit Musik als Freizeitgestaltung folgenlos bleiben sollte. Daraufhin schrieb er Anfang der Siebzigerjahre Sound of the City, eine Geschichte der Rockmusik. Erst als Uni-Abschlussarbeit und dann als Buch. Damit hatte Charlie Gillett den Grundstein gelegt – für seine BBC-Radiosendungen im London der Siebziger, seinen Musikverlag und sein Independentlabel (gegründet zusammen mit seinem Zahnarzt), Sendungen im Privatfunk bei Capital Radio (erst als gefeierter Star, dann gefeuert, nach Hörerprotesten als Rückkehrer, dann schmerzvoll geduldet bis 1990). Schließlich die einflussreichen Sendungen im Worldservice der BBC und eine öffentlich geschätzte Rolle bei BBC London. „Saturday Night“ war seit 2003 im WDR Funkhaus Europa bzw. zuvor bei RBB Radio Multikulti zu hören. Er war immer auf der Seite der Guten, Redlichen. Die Jury der World Music Charts Europe nutzte er für Anregungen (seit 1995) und interessierte sich überhaupt sehr für die Musik, die andere mochten. Seine jährlichen CD-Kompilationen zeigten vor allem dies. Ein Sympathieträger: jungenhaft lächelnd, sportlich, gut aussehend, unkompliziert. Zwar ging es ihm schon seit ein paar Jahren nicht gut, aber der Herztod riss ihn dann doch mitten aus dem aktiven Leben. Billy Bragg schrieb: „Good music lost a true friend.“ Recht hat er. Der britische Rundfunkjournalist Charlie Gillett verstarb am 17. März im Alter von 68 Jahren.

Johannes Theurer (Musikjournalist, Rundfunk Berlin-Brandenburg erinnert an einen Kollegen)

Update vom
09.02.2023
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