HALBMASTHARALD GOLDHAHN16.7.1955, Schöneck/Vogtland, bis 13.12.2009, Marktleuthen Mit fünfzehn wusste er, was er wollte, zeichnen und Gitarre spielen, begann aber zunächst eine Beamtenlaufbahn bei der Post. Zehn Jahre später wagte er den Schritt in die andere Richtung, holte das Abitur nach und studierte an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach. Mit dem Designerdiplom wurde er 1990 als Freischaffender tätig und kehrte ins Fichtelgebirge zurück, von woher er stammte, lebte vom Zeichnen, Malen und von der Musik. Er verschrieb sich dem Blues und war fast pausenlos on the road. An die siebzigtausend Kilometer legte sein Acoustic Blues Duo alljährlich zurück. „Es ist Blues, und es ist nicht elektrisch verstärkt.“ Klischees von Blues und Bier, zwölf Takten und hoher Lautstärke trafen auf seine Musik nicht zu. Seine CDs fielen durch eine Gestaltung jenseits industrieller Serienproduktion auf. Die Booklets waren fast immer mit Linolschnitten illustriert und boten Informationen zu den Songs. Denn: „Wer diese Musik spielt, muss sich auch um die Hintergründe kümmern. Man stößt da auf spannende Geschichten.“ Erfolgreich war Harald Goldhahn auch als Cartoonist. Er konnte Veröffentlichungen in renommierten Tageszeitungen und Magazinen vorweisen. Nebenbei absolvierte er zahlreiche Ausstellungen mit „freier Kunst“. Sorgfältig ging er mit Strukturen, Kontrasten und Farbfeldern um, ließ sich auf den „Zwiespalt“ ein und hielt Freiräume offen. Sein früher Tod hat viele Freunde tief erschüttert. Mit nur 55 Jahren verstarb er an einem Herzinfarkt. Noch kurz vor seinem Tod erschien seine neue CD It’s A Long Way To Go. Annie Sziegoleit, Kai Engelke TIM HART
9.1.1949, Lincoln, England, bis 24.12.2009, La Gomera, Spanien Das Duo Tim Hart & Maddy Prior, Englands Folkantwort auf Sonny & Cher, war Ende der Sechzigerjahre der Nukleus der einflussreichen Folkrocker Steeleye Span. Hart war übrigens derjenige, der den Namen vorschlug. Es begann mit der eher akustischen Version mit Ashley Hutchings, ging über in die innovative Formation mit Peter Knight und Martin Carthy und setzte sich fort in die kommerziell erfolgreichste Periode der Band, als Bob Johnson und Rick Kemp für einen poppigeren und rockigeren Sound bei Steeleye Span sorgten. 1983 verließ Hart die Gruppe und bald darauf ging auch die Beziehung zu Prior in die Brüche. Erstaunlicherweise gab es für einen offensichtlichen Vollblutmusiker (Gitarre, Banjo, Dulcimer) wie Hart keine neue musikalische Karriere. Nach einigen Versuchen in Sachen Musikmanagement zog er aus gesundheitlichen Gründen auf die Kanaren und etablierte sich dort als Fotograf. Die Resultate sind noch heute im Internet zu begutachten (www.timhartphotos.com). Als Steeleye Span 1995 ihr Reunionkonzert (als The Journey auf CD erhältlich) zelebrierte, war auch Hart mit von der Partie. Ende 2008 diagnostizierte man bei ihm Lungenkrebs, den er in England zu bekämpfen versuchte. Kurz vor seinem Tod kehrte er nach La Gomera zurück. Mike Kamp VIC CHESNUTT
12.11.1964, Jacksonville, Florida, USA, bis 25.12.2009, Athens, Georgia, USA Weihnachten ist nicht nur das Fest der Liebe, sondern für einige auch das Fest von Einsamkeit und Tragödien. Letzteres auch für den amerikanischen Folkrockmusiker James Victor Chesnutt, der sich ausgerechnet am ersten Weihnachtstag das Leben mit einer Überdosis? Muskelrelaxanzien nahm. Doch schon davor war sein Leben eine Tragödie, denn seit einem Verkehrsunfall 1983 war Chesnutts untere Körperhälfte gelähmt und er an den Rollstuhl gefesselt. Schuld daran war der Musiker, der einst von R.E.M.-Sänger Michael Stipe ermuntert worden war, ein Album aufzunehmen, selbst – Chesnutt hatte sich betrunken ans Steuer seines Wagens gesetzt. Da war der Musiker gerade achtzehn Jahre alt. Schon mit fünf hatte der spätere Singer/Songwriter Lieder geschrieben, doch erst 1990 erschien mit Little auf Texas Hotel sein Debüt, kurze Zeit darauf schon das Folgealbum Drunk, wesentlich entstanden unter Alkoholeinfluss und Drogen, die Chesnutt zur Selbstmedikation einsetzte und die ihm halfen, über die Schulden, die die Behandlungen mit sich brachten, hinwegzusehen. Viele seiner Songs waren autobiografisch, depressiv, verschroben, gar surreal. „Die meiste Zeit bin ich eigentlich depressiv, aber ich denke, das ist einfach meine Natur“, heißt es im Song „Flying“. Mit nur 45 Jahren und 15 Alben verabschiedete sich der Sänger aus dem Leben. Claudia Frenzel LHASA DE SELA
27.9.1972, Big Indian, USA, bis 1.1.2010, Montréal, Kanada „Bald wird dieser Raum für mich zu klein, und dann werde ich hinausgehen“, sang die zierliche, sympathische Frau einmal. Ihre Lieder hatten – wie deren Interpretin – meist etwas Melancholisches, extrem Gefühlsintensives. Kokettierten – ernst oder ironisch – mit dem Ende, mit Schmerz und Tod. Und waren doch stets von einer unsäglichen Lebenslust getrieben. Das Album, das zweite von dreien, das jenen Song enthält, heißt The Living Road. Eine treffende Metapher für das zeitlebens nomadische Dasein der Tochter eines Mexikaners und einer US-Amerikanerin, die schon als Kind im Familien-Hippie-Bus, hin und her zwischen Mutter- und Vaterland, die Bewegungs- und Gedankenfreiheit lieben lernte. „Es ist für mich unmöglich, keine Bewegung mehr im Leben zu haben. Wenn ich spüre, die Reise ist vorbei – ob mit einer Person oder an einem Ort – muss ich meine eigene fortsetzen“, stellte die Künstlerin lächelnd in unserem ersten Interview klar. Die Natürlichkeit wie der lebensphilosophische Tiefgang jener Begegnung blieben mir als etwas Besonderes in Erinnerung. Damals, 1999, waren wir alle verhext von La Llorona, dem schwergewichtigen Debüt der Mittzwanzigerin. Doch die verschwand trotz oder womöglich gerade wegen des großen Erfolgs alsbald wieder von der Bildfläche, zog mit ihren beim Zirkus arbeitenden Schwestern umher und war irgendwann mit neuem Album zurück. In der letzten Stunde der Neujahrsnacht ging Lhasa de Selas Lebensreise sowie ein zweijähriger Kampf gegen den Brustkrebs in der langjährigen Wahlheimat Montréal zu Ende. Katrin Wilke KATE MCGARRIGLE
6.2.1946, Saint-Sauveur-des-Monts, Kanada, bis 18.1.2010, Montreal, Kanada „Die Leute wollten einfach nicht das hören, was wir gerne machen wollten. Und wir waren mit unseren Kindern beschäftigt.“ So antwortete Kate McGarrigle als ich sie Ende 1990 fragte, warum ihre Anhänger acht Jahre lang auf ein neues Album warten mussten. Damals war gerade Heartbeats Accelerating erschienen. Doch Kates Antwort erklärt zugleich, warum den McGarrigles nie eine so erfolgreiche Karriere beschieden war wie anderen kanadischen Künstlern ihrer Generation. Und auch an sonstigen Gepflogenheiten der Musikindustrie, wie Promoaktivitäten, zeigten Kate und Anna McGarrigle wenig Interesse. Ende der Sechzigerjahre gründeten sie mit ihren beiden Freunden das Quartett Mountain City Four, das schnell zu einer der bekanntesten Folkgruppen Montréals wurde. 1970 zog Kate nach New York. Dort heiratete sie 1971 Loudon Wainwright III, mit dem sie ihre Kinder Martha und Rufus bekam. Erst 1976 erschien dann das erste Album der beiden Schwestern: Kate And Anna McGarrigle – produziert von Joe Boyd. Mit ihrem Harmoniegesang gewannen sie Fans und Freunde in aller Welt. Kommerziell erfolgreich waren sie jedoch mit keinem ihrer zehn Alben beziehungsweise nur dann, wenn andere Künstler ihre Lieder coverten, wie Annas „Heart Like A Wheel“ von Linda Ronstadt oder Kates „Work Song“ von Maria Muldaur. Am 9. Dezember 2009 gaben Kate und Anna McGarrigle ihr letztes gemeinsames Konzert in der Londoner Royal Albert Hall. Auf Youtube kann man sich anschauen, wie Kate dabei einen Song spielte, den sie erst zwei Wochen vorher geschrieben hatte und der ihr letzter werden sollte: „Proserpina“. Am 18. Januar erlag Kate McGarrigle im Alter von 63 Jahren im Kreise ihrer Schwestern und Kinder, den Musikern Martha und Rufus Wainwright in Montréal einem Krebsleiden, an dem sie seit Sommer 2006 gelitten hatte. Michael Kleff ALISTAIR HULETT
vermutlich 1951, Glasgow, Großbritannien, bis 28.1.2010, Glasgow, Großbritannien Sein Engagement für die kommunistische und sozialistische Sache, seine Unterstützung der Ideen Rosa Luxemburgs, Karl Liebknechts, des Marxisten John Maclean aus Glasgow und die Aufarbeitung der sogenannten „Red Clydeside“ von 1910 bis in die frühen Dreißigerjahre des letzen Jahrhunderts gefielen nicht allen. Der Sänger und Gitarrist der australischen Folkpunkband Roaring Jack prangerte Missstände an und schrieb Songs wie „He Fades Away“, der den Tod eines Kohleminenarbeiters an einer Minenlunge – aus der Sicht von dessen Sohn – besingt. Huletts Familie wanderte Anfang Ende der Sechzigerjahre nach Neuseeland und anschließend Australien aus, wo er in den Achtzigern seine Karriere begann. Er tourte mit Billy Bragg, den Pogues und The Men They Couldn’t Hang, war aber auch auf Konzerten von Gewerkschaftern, der Anti-AKW-Bewegung und der Linkspartei aktiv. Hulett wurde am 5. Januar mit Verdacht einer Lebensmittelvergiftung ins Krankenhaus eingeliefert, wobei aber ein Leberversagen diagnostiziert und ein aggressiver Krebs festgestellt wurde, der über den Magen bereits die Lunge angegriffen hatte, und zwar bereits so schwerwiegend, dass Hulett nur wenige Tage später verstarb. „Er hinterlässt ein schweres Erbe“, schreiben Folkfreunde im Nachruf auf ihn. „Wer sonst kann uns erzählen von den Wirren und Ränkespielen der Mächtigen des Ersten und Zweiten Weltkriegs, wer sonst hat sich mit den Problemen der Arbeiter in Europa von den Sechzigern bis heute beschäftigt und beständig dafür gekämpft? Alistair hinterlässt einen Hohlraum – politisch, musikalisch – und in unseren Herzen.“ Claudia Frenzel |
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