Rezensionen DEUTSCHLAND
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ANNAMATEUR UND AUSSENSAITER
Walgesänge
(Roof Records RD2933373/Indigo, www.indigo.de
)
15 Tracks, 57:54
Der Albumtitel Walgesänge
trifft zu hundert Prozent, was Annamateur und ihre drei Kollegen auf der Bühne
von sich geben. Anna-Maria Scholz ist eine Naturgewalt. Die Dresdnerin kann
nicht nur tatsächlich Töne wie ein Wal ausstoßen – sie begeistert auch
als Jazz-, Rock- und Schlagersängerin und wunderbar im Belcanto. Wer so
säuselt, seufzt, schluchzt, kreischt, tiriliert und vibriert, muss so groß,
mächtig und gleichzeitig feinfühlig wie ein Wal sein. Annamateur schreckt
gesanglich und textlich vor nichts zurück. „Er war gerade dreizehn Jahr“, singt
sie mit herrlich frankophonem Akzent. Bei Dalida war er immerhin noch achtzehn.
Andere Titel tragen Namen wie „Smells Like Teen Spirit“ oder „Bad“. Wer nichts
von Songschreibern wie Kurt Cobain oder Michael Jackson hält, der wird hier
eines Besseren belehrt. Dieses Album ist „really bad“, sprich „saugut“, da
stimmt einfach alles: die richtige Portion Tiefgang, die richtigen Dosen Ironie
und Sarkasmus. Übrigens, auch der Cellist Stephan Braun kann sein Cello wie ein
Wal kreischen lassen. Die Gitarristen Reentko Dirks und Daniel Wirtz überzeugen
mit feinem bis wuchtigem, akustisch-jazzigem Spiel. Annamateur erhält dieses
Jahr den Salzburger Stier. Recht so.
Martin Steiner
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WOLFGANG BUCK
Asu werd des nix
(CAB-Records CAB-516, www.cab-records.de
)
CD: 13 Tracks, 50:08, mit Texten; Bonus-DVD: 13 Tracks, 66:45
Wolfgang Buck ist Franke und singt in fränkischer Mundart. Versteht man das auf
Anhieb? Wer versteht Bob Dylan beim ersten Hinhören? Soll man etwa keinen Dylan
mehr hören? Doch hier geht es um Wolfgang Buck. Dem könnte man ebenfalls
zuhören, ohne ein Wort zu verstehen. Seine Songs – Lieder oder Chansons
wäre falsch gewählt, ihre Form verweist auf amerikanisches Songwriting –
glänzen auch, ohne dass sie verstanden werden. Buck singt mit einer
Dringlichkeit, die aufhorchen lässt. Die etwas karge, dafür umso effektvollere
Begleitung auf der akustischen Gitarre verleiht den Liedern den nötigen Atem.
Trotzdem lohnt es sich, auch die Texte genau zu verstehen. Der Mann hat
Tiefgang, Humor und spricht auch heikle Themen an – ganz ohne erhobenen
Zeigefinger. Die beiliegende DVD ist weit mehr als ein Bonus. Sie erhält einen
rund sechzigminütigen Livemitschnitt des 2008er-Programms „Wis Wedder werd“.
Wolfgang Buck beweist auf der Bühne seine Entertainerqualitäten. Die Ansagen
sind witzig, hintergründig, doch liebevoll, und die dreizehn Songs – nicht
die gleichen wie auf der CD – sind allesamt ein Genuss. Hören Sie gerne
gute Songwriter? Das nächste Mal darf es auch ein Franke sein!
Martin Steiner
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HELMUT DEBUS
Sacht bi Nacht
(Thein De 1-2009, www.helmutdebus.de
)
12 Tracks, 58:55, mit plattdeutschen Texten
Nach 30 Jahren und 16 Alben gönnt der plattdeutsche Songpoet seinen Fans und
sich selbst zum 60. Geburtstag eine Kompilation. Der Titelsong, bisher
unveröffentlicht, und zwei weitere ältere Lieder wurden neu eingespielt, der
Rest stammt von früheren Platten. In der Liedauswahl folgt Debus dem einen
großen, universellen Thema: „Leefde“, findet Debus, ist „dat Geföhl, um dat sik
allns dreiht“, die einzig erlösende Kraft für uns Menschen. Ausschließlich darum
geht es hier: um ersehnte, erfüllte, enttäuschte oder verlorene Liebe. Dass
dabei fast zwangsläufig ein wunderbares Album herauskommt, liegt nahe: Debus hat
schon immer Liebeslieder geschrieben, die zu Tränen rühren können. Und er hat
sie schon immer voller Eindringlichkeit vorgetragen, mit fast schon
schmerzhafter Präsenz. Schön auch das Wiederhören musikalischer Weggefährten wie
Debus’ langjährigen Partner Paddy Maindok (Tast), Abi Wallenstein, Jens Kommnick
und Allan Taylor an der Gitarre oder Jörg Heinemann am Violoncello. Sie alle
setzen den Liedern musikalische Glanzlichter auf, mit Arrangements, die
Tonmeister Friedrich Thein schon seit vielen Jahren mit einem über jeglichen
Zweifel erhabenen Klangbild präsentiert.
Ulrich Joosten
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MATHILDA
Chansonpop
(Westpark Music 87176/Indigo, www.indigo.de
)
14 Tracks, 56:00, mit deutschen Texten und Infos
Was oft unerlässlich für den Beginn und die Fortführung einer guten Sache ist:
ein unermüdliches Antriebsaggregat. Im vorliegenden Fall trägt diese treibende
Kraft den Namen Florian Bald und ist Gründer, Produzent, Gitarrist, Texter und
Komponist der außergewöhnlichen Band Mathilda.
Nach einer kreativen Pause und einigen personellen Umbesetzungen legen die
Berliner nun ihr drittes Album vor. Der Titel ist gleichzeitig eine durchaus
zutreffende Genrebezeichnung:
Chansonpop.
Die teilweise skurrilen Texte stehen stellenweise in seltsamem Gegensatz zum
charmant-unaufdringlich-freundlichen Gesangsstil der Sängerin Loretta Stern.
Nicht selten enden die gesungenen Kurzgeschichten mit einer unerwarteten Pointe,
etwa im Lied über die bedauernswerte „Helene“, deren Leben so ganz anders als
gedacht verlief, oder in „Augen zu, genießen!“,
wenn es am Schluss die arme Katze erwischt. Die Musik erinnert zuweilen an guten
alten Garagenrock, wirkt jedenfalls solide, handgemacht und ehrlich, auch schon
mal mit Reggae-Feeling. Eine augenzwinkernde Produktion, die durchaus für
Überraschungen gut ist und aufgrund ihrer textlichen und musikalischen Qualität
viele begeisterte Zuhörer finden sollte.
Kai Engelke
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DIE MELANKOMIKER
... bitten zur Damenwahl
(High Live Records hlr-0002, www.high-live-records.de
)
22 Tracks, 71:20
Nein, Sie haben sich nicht verhört oder verlesen: Die ergötzlichen Ergüsse der
beiden inzwischen älteren Herren Waldemar Rösler und Jürgen Denkewitz aus
Delitzsch/Leipzig – oder vielleicht kommen sie doch black aus Insterburg?
– sind wirklich komplett unsinnig und sinnlos, aber nicht geistlos, und
sie reimen sich und machen Spaß. Das ist doch mal etwas. Einen köstlichen Unsinn
verzapfen die Beiden, Nonsens in nettester Art mit Musik. Sie singen überwiegend
freundliche Lieder, mal miteinander, mal gegeneinander, reimen auf Teufel komm
raus, spielen mit Worten, kaum der Rede wert worüber, und warten am Ende auch
noch mit kleinen Überraschungen auf. Natürlich geht es um Mädels, um ihre
scheinbaren Rivalitäten – Denkewitz ist wohl der Produktivere -, um höchst
seltsamste Phobien, aber letztlich sind das eben alles nur Sprachspielereien.
Wenn schon Blödsinn, dann gekonnt und mit Niveau, dergleichen hört man doch
gerne. Die Melankomiker sind ein eher seltenes Exemplar der Gattung
intelligenter Unterhaltung, die klug und blöd zugleich sein kann.
Rainer Katlewski
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MARTIN MÜLLER
In Touch With Brazil
(Wonderland Records 9064/Rough Trade, www.roughtrade.de
)
18 Tracks, 59:00, mit dt. und engl. Infos
Martin Müller wandelt als Musiker bereits seit den Siebzigerjahren auf
brasilianischen Pfaden. Ihm geschah genau das, was so vielen Gitarristen in
jener Zeit wiederfuhr: Er hörte Baden Powell. Wie kaum ein anderer hat er sich
dann über gut 35 Jahre ausschließlich dem Studium dieser geliebten Musik
gewidmet, Konzerte gegeben sowie zahlreiche Platten und Lehrwerke
veröffentlicht. Vor allen Dingen in den Solowerken des vorliegenden Albums ist
deutlich hörbar wie nah Müller die Musik Brasiliens ist. Es finden sich
Widmungen an die Großen der Szene wie Egberto Gismonti, Baden Powell oder
Radames Gnatalli. Und er lässt die Samba- und Bossa-Nova-Fraktion weit hinter
sich. Sein Kompositionsstil ist moderner, offener und raffinierter als die
gängigen, leicht konsumierbaren Tunes der meisten Latin-Fusionbands. Hin und
wieder wird Müllers äußerst virtuoses Spiel auf der Nylonstringgitarre von
Schlagzeug, Bass und Vibrafon, Flöte oder Saxofon unterstützt. Aber so richtig
spannend ist es eigentlich immer erst wieder, wenn der Mann mit seiner Gitarre
alleine ist. Dann leuchtet die
alma brasileira, die brasilianische Seele, aus jedem einzelnen Ton.
Rolf Beydemüller
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REEL BACH CONSORT
Quod Libet
(Eigenverlag, www.reel-bach-consort.de
)
18 Tracks, 58:47, mit engl. Infos
An nicht wenigen Stellen könnte man meinen, ein Album der Chieftains zu hören.
Aber nein, es handelt sich um ein Konsortium von neun deutschen Musikern und
Musikerinnen aus der Bonner Region, die auch keineswegs die großen Kollegen
imitieren, sondern traditionelle irische mit barocker Musik von Johann Sebastian
Bach verbinden. Das liegt so weit nicht auseinander, denn die höfische Musik des
Barock speist sich aus vielen volksmusikalischen Wurzeln, und in Irland haben
Barockkomponisten wie Turlough O'Carolan die traditionelle Musik nachhaltig
beeinflusst. Musiklehrer Tom Kannmacher und Kirchenmusiker und Kantor Hubert
Arnold erkannten das Potenzial einer neuen Verbindung dieser beiden
Musiktraditionen. Sie sammelten eine Schar junger Musici aus der Bonner
Irish-Session-Szene – Anna Kölsch, Anna Lück, die gelegentliche
Folker-Mitarbeiterin Sabrina Palm, Stephan Hennes, Alexander May, Andreas
Schneider – und Matthias Höhn von "Morris Open" um sich, kreierten mit Cembalo,
Uilleann Pipes, Harfe, Fiddle, Whistles, Querflöten, Bouzouki, Mandoline,
Akkordeon, Bodhrán und anderen Instrumenten sowie etwas Gesang ein seit
Jahrhunderten ungehörtes Klangbild, arrangierten Sets aus Stücken beider Quellen
und brachten nun schon das zweite Album heraus. Sehr hörenswert!
Michael A. Schmiedel
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ROBIN TOM RINK
The Dilettante
(Viva Hate Records VHR4514/Cargo Records, www.cargo-records.de
)
12 Tracks, 36:56, mit zum Teil unvollständigen oder nicht zu den Liedern gehörigen Texten
Robin Tom Rink aus Münster hat trotz seiner noch nicht ganz dreißig Jahre schon
ein bewegtes Leben gehabt. Seine Presseleute weisen ausführlich auf
Drogenerlebnisse, Abstürze, Krankheit und wechselnde Jobs in wechselnden Städten
hin. In deutsch gefärbtem Englisch hat Rink in diesen Krisenzeiten Texte
geschrieben und die Musik dazu auch. Man könnte sie als Indiepop beschreiben,
die eingängigen Stücke. In manchen Stücken wird es fast punkig. Sie alle wurden
eingespielt in der klassischen Besetzung Gitarre, Schlagzeug, Bass und einige
auch mit Klavier. Rinks Stimme ist genau richtig unperfekt, um nicht
aufzufallen, für die rockigen Stücke fehlt etwas Volumen. Das ist alles in allem
kurzweilig und keineswegs störend. Es fehlt jedoch an Neuem oder Einprägsamem
– etwas, an dem man sich festhalten kann. An dem man Rink wiedererkennt.
Es mag vor allem um die Texte gehen, die erkennbar persönlich und emotional
sind, die Verpackung ist jedoch leider blass. Es bleibt der Eindruck von etwas
Holzschnittartigem.
Sarah Habegger
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JOCHEN ROSS & JENS-UWE KOPP
The Ten Islands
(Eigenverlag, www.the-ten-islands.com
)
10 Tracks, 46:12, mit engl. Texten und Infos
Oh, der Zauber schottischer Landschaften. Wen hat er nicht schon alles in seinen
Bann gezogen! Mancher Musiker verlor darüber den Verstand und erging sich fortan
in kitschigem Schönklang. Nicht so die beiden klassisch geschulten
Schottlandfreunde Jochen Roß und Jens-Uwe Popp – auf
The Ten Islands
bewegen sich der Mandolinist und der Gitarrist abseits der Klischees, bieten
Aufnahmen mit Ecken und Kanten, mit überraschenden Wendungen. Das Material
besteht aus Traditionals und Stücken des schottischen Komponisten und
Mandolinenlehrers Nigel Gatherer, von Ross und Popp in eine körperhafte
Produktion gegossen. Natürlich zieht sich die Schönheit der Lieder durch das
Album, und gleich zur Eröffnung singt die Kanadierin Lisa Winn ein zauberhaftes
„The Banks O’ Doon“. Aber die erstklassige Besetzung mit Guido Jäger am
Kontrabass (Giora Feidmann), dem marokkanischen Perkussionisten Rhani Krija
(Sting), Fabian Hink an der E-Gitarre und Ulrich Schubert am Didgeridoo setzt
ganz eigene Akzente. Die Musiker geben den Tönen Raum, wo nötig, gehen in die
Vollen, wenn angebracht, nehmen Anleihen bei Jazz und Klassik, falls stimmig.
Ein Konstrukt, gewiss, aber ein organisches und faszinierendes.
Volker Dick
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FOLKER auf Papier
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