Sechs neue kanadische Singer/Songwriter-Alben gingen gerade rechtzeitig ein, um
ins Herkunftsland reimportiert zu werden und dort den
Highway-Praxistauglichkeitstest zu bestehen – oder nicht. Da wäre zunächst die
vielgehypte MELANIE DEKKER. Revealed (Zabit Records, www.sonoma-mnt-ent.com,
11 Tracks, 37:22) stammt bereits aus dem Jahr 2005 und wurde erst
jüngst auf den europäischen Markt lanciert. „Rootsy-Pop“ sagt sie selbst – damit
ist eigentlich alles gesagt. „I Said I“ war für 13 Wochen in den kanadischen
Mainstream AC Top 40 – und da gehört sie auch hin. Ohrenbonbons säuselt auch
JENN GRANT, deren Hochglanzpop auf
Echoes (Six Shooter Records SIX 048/In-akustik, www.in-akustik.com
, 13 Tracks, 40:52)
wohltuend in die Gehörgänge schmeichelt, aber kaum bis in den Hippocampus
vorzudringen und sich erst recht nicht im Langzeitgedächtnis zu verankern
vermag. Auch JULIE DOIRON
schreibt wie die beiden vorgenannten Damen ihre Songs selbst, war in den
Neunzigerjahren Mitglied der Indie-Band Eric’s Trip,
und geht die Sache auf
I Can Wonder What You Did With Your Day (Jagjaguwar JAG131/Cargo Records,
www.cargo-records.de
, 12 Tracks, 31:14)
gemeinsam mit Ex-Bandmate Rick White deutlich hemdsärmeliger, zorniger und
ruppiger an. Verzerrte Gitarren, polterndes Schlagzeug und wummernder Bass, aber
gelegentlich auch songdienlich und sparsam nur auf der akustischen Gitarre
geschrammelt, sprechen ihre ehrlichen Texte direkt Herz und Bauch an – ohne
Umweg übers Hirn. Die folkige Alternative dazu sind Brenley MacEachern und Lisa
MacIsaac aus Toronto, die als
MADISON VIOLET
den Freund von Old-Time- und Countrymusik ansprechen dürften. Oberflächlich
erinnern sie an die Dixie Chicks, allerdings klingen sie wesentlich folkiger.
Auf ihrem dritten Werk
No Fool For Trying (Big Lake Music/India Media/Rough Trade,
www.roughtrade.de
, 12 Tracks, 43:41)
fallen zunächst die traumhaften Vokalharmonien auf, die Arrangements mit Banjo,
Mandoline, Lapsteel, Kontrabass und Violine passen sich perfekt und luftig den
beiden Protagonistinnen an. Mit
Slice O Life – Live Solo (True North Records TND520/Al!ve,
www.alive-ag.de
, Do-CD, 25 Tracks, 122:59)
geht Altmeister BRUCE COCKBURN
neue Wege. Anders als bei seinen drei vorherigen Livealben mit Band stand er
erstmals ganz allein auf der Bühne, mit vier Gitarren, einem Mikro und ein paar
Effektgeräten. Splitternackt sozusagen zeigt der grüblerische Poet mit der
rauchzarten Stimme, dass er nicht nur ein begnadeter Gitarrist ist, sondern
auch ein hypnotisch eindringlicher Sänger, der aufrüttelnde Texte von
eindringlicher Schönheit zu schreiben und singen vermag. Das schönste Album zum
Schluss: STEPHEN FEARING,
Frontman von Blackie and the Rodeo Kings, ist seit zwanzig Jahren im Geschäft
und hätte diese Kompilation seiner Songs nicht mit einem besseren Titel als
The Man Who Married Music (True North Records TND527/Al!ve,
www.alive-ag.de
, 15 Tracks, 77:18)
überschreiben können. Tolle, sonore Stimme, und seine Bandbreite als Gitarrist
reicht vom Ragtime-Fingerstyle über Slide Licks bis zu rockigen Riffs. Dazu
Texte zum Steinerweichen in Arrangements von Rock und Beat bis Westcoast-Sound.
Wer hat da „Americana“ gesagt? Canadiana – und zwar vom Feinsten.
Ulrich Joosten
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