FOLKER – Rezensionen

Besondere CDs


DIE BESONDERE – EUROPA

FABRIZIO DE ANDRÉ
In Direzione Ostinata E Contraria

(Ricordi /SonyBMG/Nuvole 82876752322(3))
3 CDs, 54 Tracks 222:02, mit ital. Texten und Infos

Seine Freunde nannten ihn „Faber“, den vor zehn Jahren, im Januar 1999 an Lungenkrebs verstorbenen Cantautore Fabrizio de André. Der aus Genua stammende Musiker gilt als einer der besten italienischen Komponisten und Sänger. Seine Lieder erzählten vornehmlich Geschichten der auf der Schattenseite des Lebens stehenden Menschen. Die Titel der vorliegenden Zusammenstellung–die in Italien bereits 2005 erschien und dort auf Platz eins der Albumcharts landete–sind Andrés Alben zwischen 1967 und 1996 entnommen. Hinzu kommen ein bislang unveröffentlichter Livetitel von 1997 („Cose Che Dimentico“), bei dem er von seinem Sohn Christiano begleitet wird, und ein Lied („Geordie“) von dem 1999 posthum veröffentlichten Album De André In Concerto, bei dem seine Tochter Lusia Vittoria („Luvi“) zu hören ist. Nachdem seine Leidenschaft für Musik durch Freunde und Kollegen wie Luigi Tenco geweckt worden war, galt de Andrés Aufmerksamkeit zunächst französischen Chansonniers wie Georges Brassens. Seine ersten Texte, bei denen er sich auf der Gitarre begleitete, waren jedoch von Bob Dylan und Leonard Cohen geprägt. Seine Themen reichten von christlichen Apokryphen über den Krieg und die Achtundsechzigerbewegung bis zum Terrorismus. Auf dem Album L’Indiano verglich er die Situation der nordamerikanischen Indianer mit den Sarden. Damit verarbeitete der Musiker die Erlebnisse während seiner vier Monate lange dauernden Entführung auf Sardinien 1979. Auf der 1984 veröffentlichten Platte Crêuza De Mä nahm de André Lieder im genuesischen Dialekt seiner von mediterranen Traditionen geprägten Heimatstadt auf. Von Dezember 2008 bis zum vergangenen Juni ehrte Genua „seinen“ Cantautore mit einer Ausstellung im Palazzo Ducale. Leider gibt es bislang keine deutsch- oder englischsprachige Literatur über das Leben und Werk dieses großen Künstlers. Beim Anhören der drei mehr als empfehlenswerten CDs ist jedoch die private Website von Michi und Herbert Killian eine große Hilfe. Finden sich dort doch Übersetzungen von vielen der hier vertretenen Lieder: go! www.muh.info/content/view/500/72 .

Michael Kleff

 

FABRIZIO DE ANDRÉ – In Direzione Ostinata E Contraria


DIE BESONDERE – EUROPA

UXÍA
Eterno navegar

(World Village WV498024/Harmonia Mundi, go! www.harmoniamundi.com )
15 Tracks, 64:40, mit Texten und Infos

Uxía, die Stimme Galiciens, ging schon immer eigene Wege. Einst verband die Sängerin mit der Gruppe Na Lúa portugiesische und galicische Einflüsse mit keltischer Tradition. Auf Eterno Navegar sticht sie von Galicien aus in See. Aufgenommen auf den Azoren und produziert von Paulo Borges, der oft auch als Koautor der Stücke verantwortlich zeichnet, verströmt das Album ein Parfüm ferner Inseln auf dem Atlantik. Ruhig, sanft und doch beschwingt gleitet die Musik dahin, als gäbe es kaum Stürme auf dem Meer. Das Schiff segelt Richtung Afrika, Kapverden, Guinea-Bissau, Angola, Brasilien – mit einer Steuerfrau, deren Stimme jedes Herz erweicht und die ihre Mannschaft fast schwerelos führt. Und was für eine Crew hat sie angeheuert! Die Stars der portugiesischen und lusafrikanischen Szene machen Uxía ihre Aufwartung. Da sind Sarah Tavares und Tito Paris von den Kapverden, Letzterer in einem umwerfenden Duett auf „Morna Sentida“, der Gitarrist und Sänger Manecas Costa aus Guinea-Bissau und – unter vielen anderen Stimmen – diejenigen von Amélia Muge, João Afonso und Rui Veloso. Uxías Kreuzfahrtschiff glänzt als äußerst geschmackvoller, oft nostalgisch ausgestalteter Luxusdampfer. Hier liegt vielleicht auch der einzige Kritikpunkt: Da und dort ein Bläser weniger hätte das Unternehmen noch leichtgängiger gemacht – so fliegend wie im Schlussstück, bei dem Julio Pereiras Saiteninstrumente und der Synthesizer federleicht mit der unvergleichlichen Stimme der Sängerin auf dem Meer tanzen. Ein Album, das mit vermehrtem Hören gewinnt. Zusammen mit dem aufwändigen Beiheft mit Quim Farinhas Fotografien seiner Naturinstallationen schuf Uxía ein poetisches Gesamtkunstwerk. Anspieltipp: das experimentelle „Berenguela“ mit den spannenden Stimmeinsätzen von Jon Luz, Manecas Costa, Eneida Marta und João Afonso. Eterno Navegar, eine immerwährende Schiffsreise – lichten wir die Anker.

Martin Steiner

 

UXÍA – Eterno navegar


DIE BESONDERE – AFRIKA

SEUN KUTI + FELA’S EGYPT 80
Many Things

(Tôt Ou Tard 8345 1058 5/Indigo, go! www.indigo.de )
Promo-CD, 7 Tracks, 53:06

Dass das so verdammt gut und kein bisschen peinlich ist! Kein Julian-Lennon-Effekt in Sicht. Fela Kutis jüngster Spross nimmt zwölf Jahre nach dem Tod des Vaters wie selbstverständlich die Fackel auf und haut zwischen all die schönen Afrobeat-Alben, die seither von anderen produziert wurden, ein so kraftvolles Debüt, dass alle Skepsis des kritischen Hörers einfach weggeblasen wird. Begleitet wird Seun Kuti dabei von Egypt 80, der Band Felas, die allerdings nur zum Teil aus den alten Recken besteht, darunter Lekan Animasahun, einst zentrale Figur am SaxoFon, jetzt an den KeyboArds. Gemeinsam mit Produzent Martin Meisonnier hat Seun geschafft, was man eigentlich für unmöglich gehalten hätte – überall noch einen draufzusetzen: Das Tempo ist noch höher, der Rhythmus noch drängender, die Bläser sind noch schneidender und die Call-and-Response-Gesänge noch eindringlicher als zu Felas Hochzeiten in den Siebzigern. Unglaublich. Faszinierend ist auch, dass dieser Sound so ewig frisch und quicklebendig bleibt. Im Gegensatz zu Aufnahmen von Tony Allen, dem einflussreichen ersten Drummer Felas; oder von Femi Kuti, dem anderen musizierenden Sohn, wurde hier auf jede akustische Modernisierung verzichtet, sondern ganz puristisch an die Sache herangegangen, und siehe da, bei so atemberaubend energiegeladenem Spiel der furiosen Nigerianer kann sich nirgendwo nostalgische Patina bilden. Wenn Seun in den fast durchweg selbstgeschriebenen Songs mit kraftvoll-kehligem Gesang und in bewährt gebrochenem Englisch aktuelle Ungerechtigkeiten und Übel anprangert, klingt das keine Spur nach bloßer kämpferischer Pose, sondern aufrecht und authentisch. „Don’t Give That Shit To Me“ intoniert er im gleichnamigen Song und benennt die Scheiße auch gleich konkret: „Disunity – in Africa –, disadvantage – among Africans –, dishonesty – in my country.“ Wer noch nie mit Afrobeat in Berührung gekommen ist, sollte genau hier und jetzt damit anfangen. Und wen Many Things nicht augenblicklich begeistert, dem ist nicht zu helfen.

Gunnar Geller

 

SEUN KUTI + FELA’S EGYPT 80 – Many Things

Update vom
09.02.2023
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