FOLKER –
Luke Kelly mit den Dubliners in München, 1978
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Das Vermächtnis

Luke Kelly zum 25. Todestag

(17.11.1940 bis 30.1.1984)

Viele der Leserinnen des Folker waren noch nicht auf der Welt, als die Dubliners 1962 ihre Weltkarriere in einem – damals mehr als heute – Nischensegment der populären Musik starteten. Als bei weitem bekannteste und bedeutendste irische Folkband sind die Dubliners das Synonym für die traditionelle irische Musik, deren Aufschwung sie initiiert und deren weltweite Popularität sie stetig ausgebaut haben. Der Beginn und die ersten Jahre dieser Erfolgsstory sind untrennbar mit einem Namen verbunden: Luke Kelly.

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DVD-/CD-TIPP:
Luke Kelly, The Performer (Celtic Airs, 2005)


* Gerhard Braas ist Archivar der Dubliners

Text: Gerhard Braas*

Die Inflation der Biografien über Luke Kelly wird an dieser Stelle nicht weiter angeheizt. Die Geschichten und Anekdoten über den schon äußerlich unverwechselbaren roten Lockenschopf sind hinlänglich bekannt und dokumentiert: die Anfänge im O’Donoghue’s-Pub, die englischen Lehrjahre bei Ewan MacColl, der Aufstieg zu Weltruhm in der „Original-Five“-Besetzung (zusammen mit Ronnie Drew, Barney McKenna, Ciarán Bourke und John Sheahan) und schließlich das von Krankheit gezeichnete traurige Ende.

Dieser frühe Tod trug sicher auch dazu bei, ihn schnell zu einer legendären Person werden zu lassen, deren Popularität posthum noch zunahm. Und Irland vergisst seine Helden nicht. Viele Gedichte und Songs entstanden über den „besten Folksänger aller Zeiten“, wie es Karsten Jahnke – Tourmanager der Dubliners in Deutschland von Anfang an – unlängst in einem Zeitungsinterview formulierte. Die bekanntesten Lieder sind „Luke, A Tribute“ von Mícheál Ó Caoimh, das Christy Moore zum 25-jährigen Dubliners-Jubiläum sang, sowie „The Dublin Minstrel“, geschrieben von Paddy Reilly – Mitglied der Dubliners von 1995 bis 2005 – und bei jedem Liveauftritt der Gruppe von Patsy Watchorn zelebriert. Auch seine Heimatstadt ehrt „Dublins Lieblingssohn“: eine Luke-Kelly-Brücke gibt es schon, eine Statue ist seit ein paar Jahren vom Stadtrat angekündigt. Verdienstvolle Arbeit leistet der Luke Kelly Memorial Fund bei der Erforschung von Hirntumoren. Zumindest umstritten ist unter Fans die Sinnhaftigkeit der Wandershow „The Legend of Luke Kelly“, mit der Chris Kavanagh durch die Lande tourt. Im November 2006 wurde von der irischen Post eine Briefmarkenedition herausgegeben, die Luke Kelly mit den Dubliners auf der 48-Cent-Marke zeigt und die Band für ihr musikalisches Lebenswerk ehrt.

Viele Songs sind unverwechselbar mit Luke Kelly verwachsen. Unzählige Coverversionen seiner Originale zielten zwar auf ein größeres Publikum, erreichten aber nur selten die Frische und Intensität seiner ursprünglichen Interpretation. Wer hat „Whiskey In The Jar“, diesen bekannten Uralt-Hit, noch nicht gespielt? Die irische Rockband Thin Lizzy hatte 1973 mit einer Rockfassung internationalen Erfolg, ebenso Metallica 1999 mit einer Metal-Ausgabe. „Dirty Old Town“ wurde weltbekannt, so gibt es Versionen von den Pogues, Rod Stewart, U2 und zuletzt von den Simple Minds. Die deutsche Fassung von Esther Ofarim geriet in Vergessenheit. „The Wild Rover“ ist das erste Lied von der allerersten Dubliners-LP von 1964. Es wurde von Luke Kelly aus England mitgebracht und erst dann zum Inbegriff des irischen Trinkliedes. Das wohl populärste Stück des Irish Folk wurde in Deutschland vor allem durch Klaus & Klaus bekannt, die daraus den Karnevalsschlager und Bierzelthit „An der Nordseeküste“ machten. In der virtuellen Internetabstimmung liegt die Originalfassung allerdings mit satter Zweidrittelmehrheit vor dem deutschen Plagiat – ein Glück.

Am Grab Luke Kellys 2009
Glasnevin-Friedhof, Dublin, 1.2.2009: Jährlich treffen sich Familienangehörige, alte Mitstreiter und Freunde zu einer kleinen musikalisch untermalten Gedenkfeier am Grab Luke Kellys. Auf dem Bild zu sehen Barney McKenna (vorne) und John Sheahan.
Foto: Mícheál Ó Caoimh

Wer nicht auf Originalschallplatten zurückgreift, kann Luke Kelly natürlich auf zahllosen Best-of-CDs oder „Collections“ erleben. In diesen immer neuen Zusammenstellungen reiht sich Lied an Lied, die Ursprünglichkeit fällt Schneidetisch und Klangoptimierung zum Opfer. So ist es an der Zeit, bislang unbekannte Seiten aufzuschlagen und Überraschendes zutage zu fördern. Auf Initiative der Dubliners wurde in den letzten Jahren ein eigenes Archiv aufgebaut, für das weltweit Fernseh- und Rundfunkaufnahmen sowie mit tatkräftiger Hilfe zahlreicher Fans auch unveröffentlichtes Material aus Privatbesitz gesammelt wird. Eine erste Kostprobe mit 19 bislang unveröffentlichten Songs aus TV-Aufnahmen erschien 2005 mit der DVD Luke Kelly – The Performer. Die Auswahl aus einem enormen Archivfundus war dabei die größte Herausforderung, das lässt auf weitere Leckerbissen hoffen.

Verborgene Schätze bislang überhaupt nicht mit Luke Kelly in Verbindung gebrachter Songs warten noch auf ihr Publikum, unter anderem „Blackwaterside“, „The Deserter“ und „Black Is The Colour Of My True Love’s Hair“. In Deutschland war Luke Kelly mit den Dubliners ab 1972 jedes Jahr auf Tournee. Davon gibt es viele komplette Livemitschnitte, die den „Performer“ ungeschminkt und im direkten Kontakt mit seinem Publikum zeigen. So sind es vor allem die authentischen und ungeschnittenen Ansagen sowie die spontanen Zwischentöne, die eine einzigartige und unverwechselbare Liveatmosphäre vermitteln. „Ladies and Gentleman, ...“ – so beginnt jede seiner Einführungen – „... you ain’t seen nothing yet“. Damit wird der „Octopus Jig“ angekündigt, zu dem sich alle Dubliners ineinander verkeilen und teilweise zwei Instrumente gleichzeitig spielen oder ein Bier dabei trinken. Immer ist Lokalkolorit mit im Spiel: München wird zur „biggest drinking town of the world“, der Gassenhauer „The Monto“ mutiert in Hamburg zum „Reeperbahn-Song“. Es werden liebevolle Seitenhiebe verteilt: „‚The Leaving Of Liverpool‘ – Kevin Keegan, we’ll never forget“ (der beliebte englische Fußballer wechselte 1977 zum HSV in die deutsche Bundesliga). Und Barney McKenna wird als „second best banjo player in the Dubliners“ tituliert.

Die Dubliners-Konzerte der Sechziger- und Siebzigerjahre waren dem Zeitgeist entsprechend deutlich politischer geprägt. Es existieren ausdrucksvolle und ergreifende Liveaufnahmen von „Joe Hill“ und „The Town I Loved So Well“. Da wird schon mal ein Song den IRA-Gefangenen im Gefängnis Long Kesh gewidmet – frenetisch beklatscht vom deutschen Publikum. Ein Highlight bleibt sicher der Song „Peat Bog Soldiers“ – die „Moorsoldaten“ gelangten von Ernst Busch über Pete Seeger an Luke Kelly, 1973 in der Hamburger Musikhalle so zu erleben: Kelly, auf der Stelle marschierend, mit seinem wie einen Torfstecherspaten geschulterten Banjo.

So bleibt auch 25 Jahre nach Luke Kellys Tod, wie sein Mitstreiter John Sheahan es in einem Gedicht formulierte, „ein Vermächtnis von Liedern zu würdigen“. Sie sind es allemal wert. Im letzten Sommer starb Ronnie Drew, Gründungsmitglied der Dubliners. Am Folgetag erschien in einer irischen Zeitung eine Karikatur, in der er vor seinen Schöpfer tritt. Als der Herrgott Ronnie eine Harfe anträgt, lehnt dieser dankend ab: „Ich bleibe bei meiner Gitarre.“ Auf der Wolke daneben warten mit ihren Instrumenten schon die verstorbenen Dubliners Luke Kelly und Ciarán Bourke. Die Party kann also oben weitergehen. Das ist deutlich anders als das Frohlocken des griesgrämigen und grantelnden Aloisius.


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Update vom
09.02.2023
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