POPULARITÄT SCHÜTZT NICHT VOR VERFOLGUNGFERHAT TUNÇKURDISCHE STIMME FÜR KULTURELLE UND ETHNORELIGIÖSE VIELFALT |
Auswahldiskografie: |
„Ich lasse mich nicht |
„Grönemeyer beim Mittagessen verhaftet.“ „Lindenberg morgens um sechs zu Hause festgenommen.“ Klingen recht unglaublich, solche Schlagzeilen. Der kurdische Sänger und Publizist Ferhat Tunç ist in der Türkei nicht weniger bekannt als die beiden deutschen Barden hier, und doch widerfährt ihm immer wieder Derartiges. Seine Popularität schützt ihn nicht vor Drangsalierung. Gleich sechs Verfahren sind derzeit gegen Tunç anhängig. Ein Ende der Repressalien scheint nicht absehbar. „Ich arbeite nun schon über zwei Jahre an meinem neuen Album, doch ob der Gerichtsprozesse, Anklagen, Bedrohungen und Zensur konnte ich es immer noch nicht fertigstellen. Das behindert mich in meiner Arbeit als Künstler – materiell und psychisch“, beschreibt der Musiker seine Situation. Doch Tunç resigniert nicht, er will sich weiterhin stark machen für einen gesellschaftlichen Wandel in der Türkei.
Von Anja Hotopp und Mieste Hotopp-Riecke
* Kemalismus bezeichnet die Gesamtheit der Ideen und Prinzipien Mustafa Kemal Atatürks. Er ist die Gründungsideologie der Türkei und hat unter anderem Nationalismus (im nationalstaatlichen Sinne) und Republikanismus als Bestandteile. „Beton-Kemalismus“ ist eine von den Medien geprägte Formulierung für eine Steigerungsform dessen unter Zuhilfenahme des deutschen Wortes „Beton“. |
Sowohl von islami(isti)scher Administratur als auch von der „betonkemalistischen“* Justiz weht Ferhat Tunç ein harter Wind entgegen. Immer noch stehen seiner Ansicht nach bei großen Teilen der Bevölkerung die drei großen Ks für ein stereotypes Feindbild: Kurde, Kommunist und Kιzιlbas („Rotkopf“), letzteres die Bezeichnung für die große Religionsgruppe der Aleviten in der Türkei, der auch Tunç angehört. Dabei geht es dem Künstler in seinen Liedern, die er auf Türkisch, Armenisch und Kurdisch singt, um Brüderlichkeit der Völker, um Liebe, Verständigung und Frieden. Dass er immer wieder mit den Gummibandparagrafen des türkischen Gesetzbuches kollidiert, liege daran, dass er als Künstler keine belanglose Popmusik produziert, die die Menschen vernebelt, von wirklichen Inhalten und Problemen der Zeit ablenkt, so Tunç. Seine Lieder sind im ganzen Land bekannt, seine Kolumnen in großen Zeitungen gedruckt. Doch die türkischen Machthaber interpretieren die Themen, auf die seine Lieder und Texte aufmerksam machen, als verfassungsfeindlich und separatistisch. Unter Separatismusverdacht gerät man im Land zwischen Orient und Okzident schnell. Schon die Forderung nach Aufarbeitung des Genozids an den Armeniern oder die Absicht, sich dem Militärdienst entziehen zu wollen, kann zur Anklage führen.
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Dies hier ist nur ein Auszug des Original-Artikels der Print-Ausgabe! |
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