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Wunderbar verrückt

DIE HOLY MODAL ROUNDERS

Die Urväter des schrägen Folk

Holy Modal Rounders

Auswahldiskografie:

The Holy Modal Rounders
Indian War Whoop Indian War Whoop

(ESP, 1967; Re-Issue:
ESP/Sunnymoon, 2008)






Live in 65 Live in 65
(ESP, 1967;
Re-Issue:
ESP/Sunnymoon, 2008)






I Make A Wish For A Potato
(& Friends,
   u. a. Michael Hurley; Rounder, 2001)

The Fugs
Don’t Stop, Don’t Stop
(4-CD-Box;
   Big Beat Records, 2008)

Jeffrey & Jack Lewis (mit Peter Stampfel)
City & Eastern Songs
(Roughtrade, 2005)

Bound to Lose DVD:
The Holy Modal Rounders
Bound to Lose

(Ein Film von Sam
Wainwright Douglas,
Jesse Fisher, Francis
Hatch und Paul Lovelace;
Badbird Production/
Roundersfilm, 2005)

go! www.myspace.com/peterstampfelmusic
go! www.thefugs.com

Ob Devendra Banhart oder Joanna Newsom, ob Adam Green oder Jeffrey Lewis – die junge Generation des Nu- oder Antifolk wäre ohne die Vorarbeit der Pioniere in den Sechzigerjahren nicht vorstellbar. Eine Formation, die heute kaum mehr bekannt ist, übte dabei einen besonders starken Einfluss aus: die Holy Modal Rounders. Die Band wurde 1964 von Peter Stampfel (Geige, Banjo, Mandoline) und Steve Weber (Gitarre) gegründet. Die beiden gelten als die Erfinder der psychedelischen Folkmusik und genießen deshalb bei jungen Folkies Kultstatus.

Ich wäre am liebsten
auch so ein alter,
sonderbarer
Amerikaner gewesen.

Von Christoph Wagner

Einmal in der Woche treffen sich zwei alte Freunde in Manhattan zur Hausmusik. Dann packen Peter Stampfel und Sam Shepard Fiddle und Banjo aus und fetzen alte Bluegrassnummern herunter – „just for fun“, wie sie sagen. Sam Shepard ist der berühmte Schauspieler, Schriftsteller und Drehbuchautor, der unter anderem das Skript zum Film Paris, Texas verfasste, und Peter Stampfel ist der Gründer der Holy Modal Rounders. Nach dem Musikmachen sitzt man noch ein bisschen zusammen und erzählt von den alten Zeiten, als es – im Gegensatz zu heute – noch erschwinglich war, in Manhattan zu wohnen.

Die Holy Modal Rounders waren damals Teil des New Yorker Underground, der sich im East Village und auf der Lower East Side eingenistet hatte und der vor Kreativität nur so brodelte. Im südöstlichen Teil Manhattans, wo wegen der billigen Mieten vor allem Schwarze, Hispanos und europäische Emigranten wohnten, pulsierte zwischen polnischen und ukrainischen Läden, jüdischen und russischen Restaurants, eine Szene aus Künstlern und Bohemiens, die von einer fiebrigen Suche nach etwas anderem als dem vorbestimmten „American Way of Life“ angetrieben wurden und von der romantischen Wiederkehr des Wilden und Authentischen träumten, das sie irgendwo da draußen in den Häuserschluchten in Lower Manhattan zu finden hofften. Folkmusik spielte in dieser Subkultur eine wichtige Rolle, wobei Harry Smith, der Mann, der die LP-Box Anthology Of American Folk Music zusammenstellte, die als Initialzündung des Folkrevivals gilt, eine der Schlüsselfiguren dieser Szene war.

Holy Modal Rounders

Alles war extrem „low budget“. In winzigen Bars, Cafés und kleinen Kunstgalerien fanden Konzerte, Happenings und experimentelle Filmvorführungen statt. Private Lofts öffneten sich für Dichterlesungen und Performances. Es entstanden alternative Theaterbühnen. Auf Plätzen und in Parks machten Straßentheatergruppen ihre Aktionen. In Buchläden lag das Szeneblatt The East Village Other zum Verkauf aus, das über Politaktivitäten, Auftritte und Veranstaltungen informierte, neben diversen handkopierten literarischen Blättern, gefüllt mit Beiträgen neuester Belletristik, Lyrik und den Ideen der Yippies, der Yout International Party. In diesem Brutkasten der Gegenkultur tummelten sich auch die Holy Modal Rounders.

„Wir spielten normalerweise in Cafés und ließen nach dem Auftritt den Hut rumgehen“, erinnert sich Peter Stampfel an die Anfangszeit. „Zu Beginn war es schwierig, Auftrittsplätze zu finden. Wir nahmen jedes Angebot an. Unser erstes Konzert fand beim Elternabend eines Heims für schwererziehbare Töchter statt. Dann trat ich öfters mit Tiny Tim oder Phil Ochs auf, auch mit Bob Dylan. Eines Tages erzählte mir meine Freundin von einem Typen namens Steve Weber, der tonnenweise Drogen nahm, aber fantastisch Gitarre spielte. Wenig später besuchte er uns. Er hatte alle diese alten Bluesnummern drauf – faszinierend. Ich griff zur Geige, und das Zusammenspiel klappte auf Anhieb. Die Holy Modal Rounders waren geboren.“

Der Stil der Rounders war eine schräge Folkmusik, die zwei Haupteinflüsse vermengte: traditionelle Bluegrassmelodien und psychedelische Klänge – eine Verbindung, die damals völlig außergewöhnlich war. „Ich war stark von Harry Smiths Schallplattenbox Anthology Of American Folk Music beeinflusst. Ich hielt das für die beste Musik überhaupt, der Klang des ‚alten sonderbaren Amerika‘, wie es Greil Marcus später nannte. Ich wäre am liebsten auch so ein alter, sonderbarer Amerikaner gewesen”, erzählt Stampfel. „Direkt gegenüber dem Schallplattenladen, wo ich zum ersten Mal die Anthology gehört hatte, war ein Coffeehouse, wo die Indianerdroge Peyote verkauft wurde, die damals noch legal war. Ich probierte sie aus. Zufällig tauchten also die Old-Time Music und die Halluzinogene zur gleichen Zeit in meinem Leben auf. Es war die natürlichste Sache der Welt, die beiden Einflüsse miteinander zu verbinden.“

Holy Modal Rounders 1965

Schallplattenfirmen wurden aufmerksam. Die Holy Modal Rounders nahmen 1964 ihr Debütalbum für das Prestige Label auf, die nächsten beiden Platten für ESP, das sonst nur radikalen Jazz und skurrile Rockmusik im Katalog hatte. Diese Einspielungen gelten mittlerweile als die Geburtsurkunde des psychedelischen Folk.

Eines Tages kam Stampfel und Weber zu Ohr, dass zwei gute Bekannte, die Poeten Ed Sanders und Tuli Kupferberg, ebenfalls eine Band gründen wollten. „Das wunderte uns, weil die beiden uns bis dahin nicht als Musiker aufgefallen waren“, sagt Stampfel. „Also statteten wir ihnen einen Besuch ab, um uns das anzusehen. Sie hatten ungefähr sechzig Songs geschrieben, ohne viel Ahnung von Musik zu haben. Sie meinten, dass technisches Können und Virtuosität nicht so wichtig seien, entscheidend sei, eine wirklich starke Idee zu haben. Ihre einzigen Instrumente waren ein Schlagzeug und eine Spielzeugorgel, also boten wir uns als Begleitband an. Sie engagierten uns auf der Stelle. So wurden wir Mitglieder der Fugs, die heute als legendäre Politrockkapelle gelten.“

Zufällig tauchten die
Old-Time Music und die
Halluzinogene zur gleichen
Zeit in meinem Leben auf.
Es war die natürlichste
Sache der Welt, die beiden
Einflüsse zu verbinden.

Saiteninstrumente zogen Stampfel in den Bann. Obwohl die Fiddle zu seinem Hauptinstrument wurde, spielte er mit großer Fingerfertigkeit Ukulele, Mandoline und – Banjo. „Ursprünglich hasste ich das Banjo. Es kam mir dämlich vor“, sagt er. „Auf dem College traf ich dann einen Folkbanjospieler, der ungeheure Klänge daraus hervorholen konnte. Er spielte mir ein paar Platten des Bluegrassbanjopickers Earl Scruggs vor. Schlagartig war mir klar: Ich muss dieses Instrument erlernen. Auf Besuch bei meiner Großmutter in Los Angeles 1958 ging ich in eine Musikalienhandlung, und der Eigentümer stellte sich als die Person heraus, die für Spike Jones all die verrückten Instrumente baute. An der Wand hing ein Zettel, der Banjounterricht anbot. Ich meldete mich. Um ein Banjo zu kaufen, schickte mich dann mein Lehrer zu einem älteren Banjospieler namens Herman the Hermit, einem legendärer Old-Time-Musiker. Herman hatte das Spiel von seinem Vater und der wiederum von seinem Großvater gelernt. Es war ein Stil, der bis zur Musik auf den Sklavenplantagen zurückreichte. Herman war absolut fantastisch. Er hatte ein Banjo, an dem viele kleine Extras angebracht waren wie Kuhglocken und Fahrradklingeln, die er für die verrücktesten Trommelsoli nutzte. Er beherrschte noch den alten Vaudeville-Stil mit all den Tricks und akrobatischen Einlagen: hinter dem Rücken spielen, über dem Kopf, nur mit einer Hand. Völlig verrückt und absolut wunderbar!“

Für die Old-Time Music, die den Holy Modal Rounders vorschwebte, waren diese alten Spieltechniken Gold wert. Damit konnte man die frühen Hillbilly-Nummern von Uncle Dave Macon oder Charlie Poole zupackend und lebendig herunterfetzen, wobei Stampfel die Texte umschrieb, um ihnen mehr Aktualität und Relevanz zu verleihen.

Ursprünglich hasste
ich das Banjo.
Es kam mir dämlich vor.

Im Aufnahmestudio ließen die Rounders indes der Fantasie freien Lauf. Sie nutzten die ganze Effektpalette von Hall über Echo bis zu Playback. Manchmal wurden sogar Tonbänder rückwärts abgespielt, um einen speziellen Sound zu erzeugen. Ihr klassischen Album Indian War Whoop von 1967 wurde auf diese Weise zu einem wunderbar verrückten, dadaistisch-psychedelischen Opus, das Folk, Hillbilly und Jugband-Klänge aufs Wildeste miteinander verband.

Peter Stampfel und Steve Weber bei den Fugs

Doch Konflikte mit der Schallplattenindustrie trübten die Stimmung. Ernüchterung machte sich breit. „Von ESP haben wie nie auch nur einen Dollar Tantiemen bekommen“, moniert Stampel. „Als Ersatz sollte jeder von uns pro Platte ein Honorar von 150 Dollar erhalten, was ebenfalls nie eintraf.“ Ein Wechsel schien unumgänglich. 1968 konnten die Holy Modal Rounders bei Elektra unterkommen. Das Album The Moray Eels Eat The Holy Modal Rounders wurde produziert, wobei gleich mit dem Eröffnungsstück „Bird Song“ ein Volltreffer gelang. Der Titel ist ausführlich im Soundtrack des Kultfilms Easy Rider zu hören, sogar an einer prominenten Stelle, wenn Peter Fonda und Dennis Hopper mit Jack Nicholson auf dem Rücksitz mit ihren Motorrädern durch die amerikanische Weite brausen. Neben Jimi Hendrix, Steppenwolf und den Byrds in Easy Rider vertreten zu sein, gab den Rounders mächtig Auftrieb. Doch innerhalb der Gruppe kriselte es. Es kam immer wieder zu Streitereien. Unterschiedliche Vorstellungen prallten auf einander. Stampfel wollte neue Lieder einstudieren und das Repertoire erweitern, wogegen Steve Weber wenig Interesse am Fortbestand der Gruppe zeigte und gewöhnlich „Besseres zu tun hatte“. Auf Dauer konnte das nicht gutgehen.

Stampfel schaute sich nach anderen musikalischen Betätigungsfeldern um. Mitte der Siebzigerjahre kam es zu einer Kooperation mit Songwriter, Sänger und Gitarrist Michael Hurley, den Stampfel schon länger kannte und von dem die Rounders früher schon den einen oder anderen Song übernommen hatten. Das Album Have Moicy! war das Ergebnis der Kollaboration, wobei Hurley auch auf der späteren Langspielplatte der Holy Modal Rounders and Friends, I Make A Wish For A Potato , vertreten ist.

Inzwischen hat Peter Stampfel dem Musikbusiness fast völlig „Ade“ gesagt. Er arbeitet seit Jahren als Lektor für Science-Fiction-Romane in einem Verlag in Manhattan. Zudem waren Comics neben der Musik schon immer seine große Leidenschaft. Nur noch ab und zu tritt er öffentlich auf. So hat er sich in den letzten Jahren gelegentlich mit dem Duo The Du-Tels zurückmeldet, dessen andere Hälfte Gary Lucas bildet, einst Gitarrist der Magic Band von Captain Beefheart. Auch gibt Stampfel gelegentlich Konzerte mit seinem alten Kumpel Sam Shepard oder mit Jeffrey Lewis, einem jungen Sänger der Antifolkrichtung, den er vor ein paar Jahren auf einer Geburtstagsparty von Ed Sanders von den Fugs traf. So schließt sich der Kreis.


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