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Ortstermin „spezial“ zum 10. Todestag von Gerhard Gundermann

Gundermanns Seilschaft

„An diesem Punkt mit der besten Übersicht ist ein Blick zurück manchmal der beste Blick nach vorn“, meinte Gerhard Gundermann 1998 in einer Ansage während seines letzten Konzertes. Diesen Blick zurück wagten im vergangenen Juni Fans und Musiker in seiner Heimatstadt Hoyerswerda, in Berlin und in Krams, um dem am 21. Juni vor zehn Jahren im Alter von nur 43 Jahren verstorbenen Liedermacher, Tagebaukumpel und Familienvater zu gedenken.

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Gundermann-Tage
Kulturfabrik, Hoyerswerda, 20./21.6.2008

Es gibt sicher nur wenige Musiker, deren Popularität zehn Jahre nach ihrem Tod noch so groß ist wie zu Lebzeiten. Trotz des parallelen Tribut-Konzertes für Gerhard Gundermann in Berlin waren die beiden Abende in der Hoyerswerdaer Kulturfabrik mit Publikum aus ganz Deutschland restlos ausverkauft. Gut, Hoywoy war schließlich die Heimat des viel zu früh verstorbenen Songpoeten.

Brigade Feuerstein 2008

Der Freitagabend stand im Zeichen eines „Spectaculums“ von Gundis Liedtheater Brigade Feuerstein, welches vor 30 Jahren gegründet wurde und zehn Jahre Erfolge feierte. Die ehemaligen Mitglieder boten einen Querschnitt der besten Songs wie etwa den zu DDR-Zeiten provokanten „Demokratietango", der daran erinnerte, wie aktuell Gundis Texte noch heute sind. Besonders deutlich wurde das in den Spielszenen aus „Eine Sehfahrt die ist lustig“ oder Zeilen wie „... und trainieren für die Revolution in Hoywoy“ (1987!). Damit der Abend nicht zu „ostalgisch“ geriet, gab es Beatles-Titel wie etwa „She's Leaving Home", gespielt als Streichquartett von in Cork (Irland) lebenden Kindern der Band wie auch neue Versionen und neu geschriebene Songs vom Keyboarder Alfons Förster. Gäste wie Heiner Kondschak von der Tübinger Randgruppencombo oder Bernd Rump waren ebenfalls mit von der Partie. Gundi selbst war durch Film-Einspiele gewissermaßen „Gast“ dieses bewegenden Abends, der erst nach vielen Zugaben zu Ende ging.

Gundermanns Seilschaft

Am Samstag, dem 10.Todestag Gundis, war der Besucherandrang ungebrochen. Johan Meijer stellte mit seiner aus holländischen und russischen Musikern bestehenden Band (zeitgleich zum EM-Spiel Holland – Russland) sein empfehlenswertes Gundermann-Album Hondsdraf vor. Nach dem eher folkig-liedhaften Teil rockten nach der Pause Bernd Nitzsche-Band mit Cottbuser Musikern. Nitzsche, einst selbst Feuerstein-Mitglied, kann die Songs seines früheren Freundes äußerst glaubwürdig und publikumswirksam umsetzen. Auch hier wurde die Nacht zum Tag. Nicht vergessen sollte man die Feuerstein-Ausstellung und die beiden Dok-Filme über Gundi, die die Kufa zeigte. Viele besuchten auch Gundis Grab in Hoyerswerda. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die Gäste, trotz des wehmütigen Anlasses, zuversichtliche Tage erlebten, mit Musik, die unter die Haut ging.

Reinhard „Pfeffi“ Ständer

An einem 21. Juni
Gundermann-Tribute in der Columbiahalle
Columbiahalle, Berlin, 21.6.2008

„Alle oder keiner!“ – unter diesem Motto stand der Abend. Nicht zu Hause sitzen und melancholisch die alten Platten wieder rauszukramen, sondern die kürzeste Nacht des Jahres dann auch noch zum Tag zu machen, war offensichtlich das Bestreben der anwesenden rund 3.000 Zuschauer und Künstler – mit Erfolg. Schon gleich zu Beginn, als die Polkaholix mit einer Mischung aus Polka und Ska den Abend eröffneten, wurde mitgesungen und -gewippt, wenn auch noch etwas zaghaft. Als direkt danach Toni Mahoni mit seiner für sein Alter etwas zu rauchigen Stimme erklärte, „Meene Eltern hatten och een oder zwei Gundermann-Kassetten“, war klar, dass nicht nur die üblichen Verdächtigen die Bühne betreten würden. Auch der musikalische Nachwuchs wagt sich an die „alten“ Liedermacher. Den Beweis dafür lieferte vor allem die Randgruppencombo aus Tübingen, die mit ihren gut zehn bis fünfzehn teils recht jungen Musikern ganz geradeaus und ohne Schnörkel, beinahe so wie „Gundi“ selbst, seine Klassiker interpretierten. Überraschungsgäste waren auch Schauspieler Axel Prahl ( Tatort, Halbe Treppe, Sommer vorm Balkon ) und Regisseur Andreas Dresen ( Halbe Treppe, Sommer vorm Balkon ), die mit den Stücken „Linda“ und „Vater“ das meist feiernde Publikum zum andächtigen Lauschen brachten.

Silly

Die Band Silly, die einige ihrer besten Texte Gundermann zu verdanken hat, betrat in neuer Formation die Bühne. Lange Haare und Nebelmaschine gepaart mit der Rockröhre der neuen Frontfrau Anna Loos und den gefühlvollen Gitarren- und Geigensoli von Uwe Hassbecker brachten kurzzeitig den guten alten Deutschrock der Achtzigerjahre zurück. Stille kehrte ein, als schließlich Gundermanns Seilschaft gemeinsam mit Silly eine Instrumentalversion des einstigen Duetts von Tamara Danz und Gundermann spielten – „Einmal“. Die Seilschaft, Gundermanns letzte Band, hatte erst letztes Jahr den plötzlichen Tod ihres Bassisten Thomas Hergert verschmerzen müssen. Also spielten sie „für Thommy, für Tamara, für Gundi“ und schafften, mit der Unterstützung einiger Gäste wie Christian Haase, was vielen der anderen trotz aller Bemühungen an diesem Abend nicht gelungen war: einen Funken Gundi auf die Bühne zu zaubern

Eva Marx

„Immer wieder wächst das Gras“
Ein Kolloquium. Veranstaltet von der Heinrich-Böll-Stiftung Brandenburg mit Unterstützung des Vereins deutschsprachige Musik e.V., dem Verein Gundermanns Seilschaft e. V., dem Buschfunk Verlag und dem Sommergarten Krams
Krams, 21.6.2008

Der Sommergarten Krams, gelegen in einem kleinen Ort in der Prignitz, auf halber Strecke zwischen Berlin und Hamburg ist kein typischer Gundermann-Ort. Er ist mehr privat als öffentlich, er ist idyllisch und ruhig und er liegt abseits des geschäftigen Zeitgeisttreibens und Konzertbetriebs. Als Gundermann am 14. Juni 1998 dort das Konzert gab, das schon eine Woche später als sein letztes bezeichnet werden musste, steckte er mit seinen Liedern, aber vor allem auch mit den Zwischentexten poetisch jenen inhaltlichen Rahmen ab, den jetzt ein eintägiges Kolloquium in Vorträgen und Debatten aufnehmen und mit den Erkenntnissen des Jahres 2008 versehen, weiter denken wollte.

Gundermann-Kolloquium in Krams am 14.6.2008

Unter dem Thema „Vom Eisenland in die digitalen Welten – Umbruch für alle“ standen Analysen über die Transformation der Arbeitsgesellschaft zur Debatte. Selbstausbeutung und Selbstbestimmung, patchworkartige Arbeitsverhältnisse ein Leben lang, Verunsicherung in allen Milieus wurden konstatiert, allerdings als erste Zeichen einer noch folgenden, tiefer greifenden Veränderung der Arbeitswelt. Dass die Analyse nicht sofort mit Konzepten des Gegensteuerns einhergehen konnte, offenbarte nichts weniger als die Komplexität dieser Prozesse in einer globalisierten Welt. Gundermanns Lied von der „Grünen Armee“ thematisiert das „Überleben, wenigstens bis morgen“, bekommt aber angesichts des Klimawandels eine weit darüber hinaus reichende Bedeutung. Es enthält radikale Aussagen zur Umweltfrage, die auch heute noch zutreffen, aber immer noch nicht gern gehört werden. Was bedeutet radikale Umweltpolitik angesichts des Klimawandels heute und wie sehen gesellschaftliche Utopien angesichts von Erderwärmung und Wassermangel aus? Drohen uns Klimakriege? Die Diskussion zu diesen Fragen thematisierte die kleinen alltäglichen Schritte, die der Einzelne leisten kann und konstatierte ihre gefühlte Ohnmacht vor dem Hintergrund des geforderten Tempos für ganz und gar radikale Veränderungen weltweit. In einem dritten Themenbereich trug der Regisseur Richard Engel seine Thesen zum Thema „Gundermann – Der Plebejer“ vor und stellte sie in den Kontext von Gundermanns Persönlichkeit, seiner Lebens- und Gedankenwelt. Diesem sehr persönlichen Zugang zu Gundermann folgte der Versuch einer Textanalyse von seinen Liedern zum Thema „Tod“ durch den Theologen Richard Scherer.

Silly

Ein anregender, text- und debattengeprägter Tag fand seinen sehr stimmigen künstlerischen Abschluss durch ein Konzert von Strom & Wasser und präsentierte mit Heinz Ratz einen ähnlich radikal und kompromisslos denkenden und textenden Musiker wie Gerhard Gundermann.

Danuta Görnandt


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im Folker! 5/2008