Gundermann-Tage
Kulturfabrik, Hoyerswerda, 20./21.6.2008
Es gibt sicher nur wenige Musiker, deren Popularität zehn Jahre nach ihrem Tod
noch so groß ist wie zu Lebzeiten. Trotz des parallelen Tribut-Konzertes für
Gerhard Gundermann in Berlin waren die beiden Abende in der Hoyerswerdaer
Kulturfabrik mit Publikum aus ganz Deutschland restlos ausverkauft. Gut, Hoywoy
war schließlich die Heimat des viel zu früh verstorbenen Songpoeten.
Der Freitagabend stand im Zeichen eines „Spectaculums“ von Gundis Liedtheater
Brigade Feuerstein, welches vor 30 Jahren gegründet wurde und zehn Jahre Erfolge
feierte. Die ehemaligen Mitglieder boten einen Querschnitt der besten Songs wie
etwa den zu DDR-Zeiten provokanten „Demokratietango", der daran erinnerte, wie
aktuell Gundis Texte noch heute sind. Besonders deutlich wurde das in den
Spielszenen aus „Eine Sehfahrt die ist lustig“ oder Zeilen wie „... und
trainieren für die Revolution in Hoywoy“ (1987!). Damit der Abend nicht zu
„ostalgisch“ geriet, gab es Beatles-Titel wie etwa „She's Leaving Home",
gespielt als Streichquartett von in Cork (Irland) lebenden Kindern der Band wie
auch neue Versionen und neu geschriebene Songs vom Keyboarder Alfons Förster.
Gäste wie Heiner Kondschak von der Tübinger Randgruppencombo oder Bernd Rump
waren ebenfalls mit von der Partie. Gundi selbst war durch Film-Einspiele
gewissermaßen „Gast“ dieses bewegenden Abends, der erst nach vielen Zugaben zu
Ende ging.
Am Samstag, dem 10.Todestag Gundis, war der Besucherandrang ungebrochen. Johan
Meijer stellte mit seiner aus holländischen und russischen Musikern bestehenden
Band (zeitgleich zum EM-Spiel Holland – Russland) sein empfehlenswertes
Gundermann-Album
Hondsdraf
vor. Nach dem eher folkig-liedhaften Teil rockten nach der Pause Bernd
Nitzsche-Band mit Cottbuser Musikern. Nitzsche, einst selbst
Feuerstein-Mitglied, kann die Songs seines früheren Freundes äußerst
glaubwürdig und publikumswirksam umsetzen. Auch hier wurde die Nacht zum Tag.
Nicht vergessen sollte man die Feuerstein-Ausstellung und die beiden Dok-Filme
über Gundi, die die Kufa zeigte. Viele besuchten auch Gundis Grab in
Hoyerswerda. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die Gäste, trotz
des wehmütigen Anlasses, zuversichtliche Tage erlebten, mit Musik, die unter
die Haut ging.
Reinhard „Pfeffi“ Ständer
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An einem 21. Juni
Gundermann-Tribute in der Columbiahalle
Columbiahalle, Berlin, 21.6.2008
„Alle oder keiner!“ – unter diesem Motto stand der Abend. Nicht zu Hause
sitzen und melancholisch die alten Platten wieder rauszukramen, sondern die
kürzeste Nacht des Jahres dann auch noch zum Tag zu machen, war offensichtlich
das Bestreben der anwesenden rund 3.000 Zuschauer und Künstler – mit
Erfolg. Schon gleich zu Beginn, als die Polkaholix mit einer Mischung aus Polka
und Ska den Abend eröffneten, wurde mitgesungen und -gewippt, wenn auch noch
etwas zaghaft. Als direkt danach Toni Mahoni mit seiner für sein Alter etwas zu
rauchigen Stimme erklärte, „Meene Eltern hatten och een oder zwei
Gundermann-Kassetten“, war klar, dass nicht nur die üblichen Verdächtigen die
Bühne betreten würden. Auch der musikalische Nachwuchs wagt sich an die „alten“
Liedermacher. Den Beweis dafür lieferte vor allem die Randgruppencombo aus
Tübingen, die mit ihren gut zehn bis fünfzehn teils recht jungen Musikern ganz
geradeaus und ohne Schnörkel, beinahe so wie „Gundi“ selbst, seine Klassiker
interpretierten. Überraschungsgäste waren auch Schauspieler Axel Prahl (
Tatort, Halbe Treppe, Sommer vorm Balkon
) und Regisseur Andreas Dresen (
Halbe Treppe, Sommer vorm Balkon
), die mit den Stücken „Linda“ und „Vater“ das meist feiernde Publikum zum
andächtigen Lauschen brachten.
Die Band Silly, die einige ihrer besten Texte Gundermann zu verdanken hat,
betrat in neuer Formation die Bühne. Lange Haare und Nebelmaschine gepaart mit
der Rockröhre der neuen Frontfrau Anna Loos und den gefühlvollen Gitarren- und
Geigensoli von Uwe Hassbecker brachten kurzzeitig den guten alten Deutschrock
der Achtzigerjahre zurück. Stille kehrte ein, als schließlich Gundermanns
Seilschaft gemeinsam mit Silly eine Instrumentalversion des einstigen Duetts von
Tamara Danz und Gundermann spielten – „Einmal“. Die Seilschaft,
Gundermanns letzte Band, hatte erst letztes Jahr den plötzlichen Tod ihres
Bassisten Thomas Hergert verschmerzen müssen. Also spielten sie „für Thommy, für
Tamara, für Gundi“ und schafften, mit der Unterstützung einiger Gäste wie
Christian Haase, was vielen der anderen trotz aller Bemühungen an diesem Abend
nicht gelungen war: einen Funken Gundi auf die Bühne zu zaubern
Eva Marx
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„Immer wieder wächst das Gras“
Ein Kolloquium. Veranstaltet von der Heinrich-Böll-Stiftung Brandenburg mit
Unterstützung des Vereins deutschsprachige Musik e.V., dem Verein Gundermanns
Seilschaft e. V., dem Buschfunk Verlag und dem Sommergarten Krams
Krams, 21.6.2008
Der Sommergarten Krams, gelegen in einem kleinen Ort in der Prignitz, auf halber
Strecke zwischen Berlin und Hamburg ist kein typischer Gundermann-Ort. Er ist
mehr privat als öffentlich, er ist idyllisch und ruhig und er liegt abseits des
geschäftigen Zeitgeisttreibens und Konzertbetriebs. Als Gundermann am 14. Juni
1998 dort das Konzert gab, das schon eine Woche später als sein letztes
bezeichnet werden musste, steckte er mit seinen Liedern, aber vor allem auch mit
den Zwischentexten poetisch jenen inhaltlichen Rahmen ab, den jetzt ein
eintägiges Kolloquium in Vorträgen und Debatten aufnehmen und mit den
Erkenntnissen des Jahres 2008 versehen, weiter denken wollte.
Unter dem Thema „Vom Eisenland in die digitalen Welten – Umbruch für alle“
standen Analysen über die Transformation der Arbeitsgesellschaft zur Debatte.
Selbstausbeutung und Selbstbestimmung, patchworkartige Arbeitsverhältnisse ein
Leben lang, Verunsicherung in allen Milieus wurden konstatiert, allerdings als
erste Zeichen einer noch folgenden, tiefer greifenden Veränderung der
Arbeitswelt. Dass die Analyse nicht sofort mit Konzepten des Gegensteuerns
einhergehen konnte, offenbarte nichts weniger als die Komplexität dieser
Prozesse in einer globalisierten Welt. Gundermanns Lied von der „Grünen Armee“
thematisiert das „Überleben, wenigstens bis morgen“, bekommt aber angesichts des
Klimawandels eine weit darüber hinaus reichende Bedeutung. Es enthält radikale
Aussagen zur Umweltfrage, die auch heute noch zutreffen, aber immer noch nicht
gern gehört werden. Was bedeutet radikale Umweltpolitik angesichts des
Klimawandels heute und wie sehen gesellschaftliche Utopien angesichts von
Erderwärmung und Wassermangel aus? Drohen uns Klimakriege? Die Diskussion zu
diesen Fragen thematisierte die kleinen alltäglichen Schritte, die der Einzelne
leisten kann und konstatierte ihre gefühlte Ohnmacht vor dem Hintergrund des
geforderten Tempos für ganz und gar radikale Veränderungen weltweit. In einem
dritten Themenbereich trug der Regisseur Richard Engel seine Thesen zum Thema
„Gundermann – Der Plebejer“ vor und stellte sie in den Kontext von
Gundermanns Persönlichkeit, seiner Lebens- und Gedankenwelt. Diesem sehr
persönlichen Zugang zu Gundermann folgte der Versuch einer Textanalyse von
seinen Liedern zum Thema „Tod“ durch den Theologen Richard Scherer.
Ein anregender, text- und debattengeprägter Tag fand seinen sehr stimmigen
künstlerischen Abschluss durch ein Konzert von Strom & Wasser und
präsentierte mit Heinz Ratz einen ähnlich radikal und kompromisslos denkenden
und textenden Musiker wie Gerhard Gundermann.
Danuta Görnandt
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