Von Peter Wicke
Peter Wicke, 1951 in Zwickau geboren, Professor für Theorie und Geschichte der populären Musik und Direktor des Forschungszentrums populäre Musik an der Humboldt-Universität in Berlin; Adjunct Research Professor am Department of Music der Carleton University Ottawa; Mitglied des Deutschen Musikrates und der Kulturpolitischen Gesellschaft. Publikationen u. a. zur Ästhetik und Soziologie der Rockmusik, zur Medien- und Musikindustrie, zu Geschichte und Kulturgeschichte der populären Musik; Herausgeber mehrer Schullehrbücher für das Fach Musik. |
Auch wenn sie noch immer „Songs“ genannt werden, die Hightechhits der Gegenwart haben mit den guten alten Liedern von einst ungefähr so viel zu tun wie der Abakus, das schon in der Antike bekannte Rechenbrett, mit der neuesten Computergeneration. Die Popsongs von heute sind das Ergebnis eines komplexen industriellen Fertigungsprozesses und eingebunden in ein vielgliedriges System von Geldströmen. Ihre Produktion erfolgt in einer weiträumig vernetzten und arbeitsteilig organisierten Anordnung aus Medien- und Audiotechnologien – selbst dann, wenn am Ende nur ein Sänger und eine Akustikgitarre zu hören sind. Wird ein Lied als Popsong produziert, dann reduziert sich dieser Vorgang nämlich mitnichten auf die Hervorbringung und Aufzeichnung des klanglichen Materials. Vielmehr sind es kulturelle Events mit einem vielgestaltigen medialen Erscheinungsbild, die die Hitmaschine der Gegenwart gebiert. Die Songs fungieren darin nur als eine Art Anker, die den Events eine temporäre Identität verleihen, und das häufig gleich in multiplen Versionen, die sich hinter einem gemeinsamen Titel verbergen. So gibt es die meisten Hits inzwischen in einem Dutzend von Instanzen, im Klangdesign an die verschiedenen Verbreitungsmedien angepasst, von der Radioversion über die Singleversion bis zur Video- und MP3-Version, zu denen dann noch Mixe und Remixe für diverse Einsatzzwecke kommen (Dance-Mix, Club-Mix etc.). Die immer stärker ausufernderen Events verlangen nach möglichst vielen solcher Anker, und der Betrieb hat sich längst darauf eingestellt.
Zuweilen produziert der Betrieb auch nichts anderes als sich selbst und das liefert dann ganz besonders plastisches Anschauungsmaterial für seine innere Verfassung, gerade weil der Anschein wegfällt, hier ginge es um „Lieder“. Ein typisches und inzwischen mehrfach kopiertes Beispiel dafür ist die von FremantleMedia, dem Content-Production-Arm der RTL-Gruppe entwickelte, von GRUNDY Light Entertainment, dem deutschen Ableger der in London ansässigen FremantleMedia produzierte und von RTL und VOX 2002 erstmals ausgestrahlte Castingshow Deutschland sucht den Superstar (DSDS), die ihrerseits auf der von den Beteiligten entwickelten und weltweit lizenzierten Marke Pop Idol beruht. Unter Namen wie Australian Idol, Nigerian Idol, Philippine Idol etc., Nouvelle Star oder schlicht Superstar hat sie es bis in den letzten Winkel der Erde geschafft. Die Show lebt vom Popevent mit allen seinen Ingredienzen, insbesondere den Mechanismen der Produktion von Berühmtheit. Die Kandidaten reproduzieren musikalische Imitate und damit genau das, was ihnen im wirklichen Musikleben weder Publikum noch Medienaufmerksamkeit verschaffen würde. Sie müssen noch nicht einmal singen können, wie der in der ersten DSDS-Staffel kurz vor Schluss ausgeschiedene Liebling der halben Nation, Daniel Küblböck, seinerzeit so unnachahmlich unter Beweis stellte. Hinter dem Spektakel steht ein Managementbüro auf einem Acker in Gütersloh, der Medienriese Bertelsmann, der als Eigentümer der RTL-Gruppe und Hauptaktionär der VOX Film- und Fernseh-GmbH & Co. KG mit diesem Ausschnitt aus dem Portfolio seiner diversen Tochterfirmen die Verwertungsketten knüpft. Beinahe schon überflüssig zu erwähnen, dass die Platten zur Show bei SONY BMG erscheinen und die Illustrierte zur Sendung von Mohn media publiziert wird.
|
|
|
|
Interesse? Dann brauchst Du die
Zeitschrift! |
Mehr über die Hightech-Hitfabrik
|