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Liam Clancy, Tonder 2007

Last Man Standing

LIAM CLANCY

„Those were the days, my friend“ –
eine lebende Legende erinnert sich

Von Ulrich Joosten

Feldforschung in Irland

Liam Clancy wurde 1935 in einem Dorf im Süden Irlands geboren, in einer Zeit der größten Veränderungen in der modernen Welt. „Das Leben in Carrick-on-Suir, im County Tipperary“, erinnert sich Clancy im Folker!-Interview, „ähnelte sehr dem städtischen Leben im Mittelalter. Ich arbeitete für einen ortsansässigen Bauern, trieb das Vieh zusammen und brachte den Arbeitern auf den Feldern Tee und Guinness. Es gab nur eine Handvoll Autos im Dorf. Der Priester hatte eines, der Rechtsanwalt, der Bankdirektor. Es war ein sehr religiös geprägter Hintergrund. Ich war niemals außerhalb dieser Umgebung gewesen, als eine Volksmusiksammlerin, eine Frau namens Diane Hamilton, geborene Guggenheim, uns besuchte.“ Zwei seiner Brüder lebten zu dieser Zeit Mitte der Fünfziger bereits in New York und hatten der Guggenheim-Erbin von ihrer Mutter Ann-Joan Clancy erzählt, die viele irische Volkslieder kannte. Hamilton wollte, ähnlich wie Alan Lomax in den USA, Feldaufnahmen irischer Volkslieder machen. Sie hatte die Clancy-Brüder im New Yorker Künstlerviertel Greenwich Village kennen gelernt, und so kreuzte sie 1955 bei der Familie in Irland auf.

go! www.liamclancy.com

Auswahldiskografie:

Soloalben
Liam Clancy
(Vanguard, 1965; Rerelease mit
  Bonustracks als Irish Troubadour,
  Vanguard, 1999)
Farewell To Tarwaithie
(Plainsong, 1974;
  Rerelease als The Dutchman,
  Shanachie, 1983)
Yes ... Those Were The Days – The Essential
  Liam Clancy
(Do-CD; Dolphin, 2006)

The Clancy Brothers & Tommy Makem
The Rising Of The Moon – Irish Songs Of
  Rebellion
(Tradition Records, 1959)
A Spontaneous Performance Recording

  (mit Pete Seeger; Columbia Records, 1961)
Hearty and Hellish! A Live Nightclub Performance

  (Columbia Records, 1962)
In Person At Carnegie Hall

  (Columbia Records, 1964)
Freedom’s Sons
(Columbia Records, 1967)
The Clancy Brothers Christmas

  (Columbia Records, 1969)
Welcome To Our House
(Columbia Records, 1970)
In Person At Carnegie Hall
/In Concert/
  Luck Of The Irish (3-CD; SONY, 1997)

Makem & Clancy
Tommy Makem & Liam Clancy
(CBS/Blackbird,
  1976; Rerelease Shanachie, 1992)
The Makem & Clancy Concert
(Do-LP;
  Blackbird, 1977; Rerelease Shanachie, 1992)
We’ve Come A Long Way
(Shanachie, 1986)

Videos/DVDs
The Story Of The Clancy Brothers And
  Tommy Makem
(Shanachie, 1984)
Reunion Concert – At The Ulster Hall Belfast

  (Shanachie, 1984)
Liam Clancy in Close Up – Vol. 1+ 2

  (Clanbaron Productions, 1992;
  Rerelease 2007 als Yes ... Those Were
  The Days – Live at the
  Olympia Theatre, Dublin, 1992
, DVD, 2007)

„Es gab damals“, so erzählt Clancy mit seiner charismatischen, dunklen Stimme, die den Zuhörer sofort in ihren Bann zieht, „noch nicht so niedliche kleine Aufnahmegeräte wie heute, sondern riesige Kisten. Ich fuhr mit Diane Hamilton in Irland herum und half ihr, das schwere Equipment zu schleppen. Wir reisten durch England und Schottland bis hoch zu den Hebriden und nahmen die alten Songs und Tunes auf.“ Sie gelangten auch nach Keady im County Armagh, wo sie Sarah Makem und deren Sohn Tommy trafen. Sie blieben eine ganze Woche, um Sarah, ihre Familie und die Nachbarn aufzunehmen. Viele der Bänder finden sich heute im Irish Traditional Music Archive in Dublin, das immer noch eine wertvolle Quelle für alle Folksänger und Forscher ist.

Von der grünen Insel ins gelobte Land

1956 emigrierten Liam Clancy und Tommy Makem nach Amerika, um dort Karriere als Schauspieler zu machen. „Als ich nach New York kam“, erzählt Clancy, „war das ein außergewöhnlicher Kulturschock, denn die meisten jungen Emigranten aus Irland gingen in die irischen Gettos und Tanzlokale, um ein Mädchen aus ihrer Heimatstadt zu finden. Ich hingegen wurde von einer Millionärin in Empfang genommen, die mich zum Museum ihres Onkels brachte, mit in die Oper und zum Schloss ihres Vaters nahm. Es war eine sehr andere Art von Einführung in Amerika.“

Liam Clancy wollte dort auch nicht Sänger, sondern Schauspieler werden – Erfahrung hatte der damals knapp 22-Jährige bereits genug: „Ich hatte zu Hause mit 18 mein eigenes kleines Theater aufgemacht. Ich gab mir selbst die Hauptrolle, führte Regie und besetzte die andere Hauptrolle mit meiner Schwester. Und ich malte das Bühnenbild. Das Theater existiert heute noch, in einer alten Mühle. Heute heißt es Brewery Lane Theatre.“ Clancys weitere Erfahrungen am Gaiety Theatre in Dublin, wo er eine Rolle in einem Schauspiel des irischen Dramatikers John Millington Synge gespielt hatte, halfen ihm in New York: „Jeder Schauspieler in New York wollte in einem Off-Broadway-Stück mitspielen, und der Traum war es, in einem On-Broadway-Stück eine Rolle zu ergattern. Ich wurde schließlich für ein Broadway-Stück besetzt. Es hieß Little Moon of Alban mit Julie Harris in der Hauptrolle, Robert Redford und ich spielten junge IRA-Männer. Es war sehr aufregend.“

Brothers & Tommy Makem

Nebenher machten die Clancy-Brüder und Tommy Makem Musik. Mit dem Geld der Guggenheims hatten Diane Hamilton und Liams Bruder Paddy Clancy ein Plattenlabel gegründet, Tradition Records. Das Problem war, es fehlte das Repertoire. „Also beschlossen wir, selbst zu singen und eine Schallplatte aufzunehmen. Wir spielten zwölf rebel songs ein für das Album Rising Of The Moon. Die Leute fanden sie gut. Roh, aber voller Energie. Wir nahmen noch eine Platte auf, übten und wurden besser. Aber im Grunde waren wir Schauspieler und betrachteten das Aufnehmen von Schallplatten lediglich als eine lustige Abwechslung. Doch plötzlich nahm die Musik überhand – und obendrein verdienten wir viel mehr Geld damit.“

Greenwich Village erlebte zu dieser Zeit eine Explosion künstlerischer Freiheit in jeglicher Art von Kunst. Folkmusik war, so Clancy, „nur eine Sparte. Aber es war damals ein großartiger Ort, voller Leute wie ich, die unterdrückenden Familienverhältnissen entflohen waren. In Greenwich konnten wir unsere Seelen nach unseren eigenen Vorstellungen wiederherstellen. Dave Van Ronk war einer davon, er wurde ein guter Freund von uns, genauso wie Peter LaFarge. Sein Name ist heute nicht mehr allzu bekannt, aber er war damals einer der einflussreichsten Folkies. Tom Paxton war dort, Bob Dylan und natürlich Pete Seeger.

Seeger war es, der den Clancy Brothers & Tommy Makem ihren ersten Auftritt verschaffte, auf einem Benefizkonzert für Woody Guthrie, der damals aufgrund seiner Huntington-Krankheit bereits überwiegend im Krankenhaus lebte und kaum Geld für die Kosten aufbringen konnte. „Woody war dort in jener Nacht“, erinnert sich Clancy, „und ich durfte diesem großen Mann die Hand schütteln!“

Rising Of The Moon
A Spontaneous Recording
Hearty and Hellish
Liam Clancy
Freedom's Sons
The Clancy Brothers Christmas
Welcome To Our House
Farewell To Tarwaithie
In Person At Carnegie Hall
Tommy Makem & Liam Clancy

Irish Song in America

Damals waren viele Leute an der Wiederentdeckung und Erhaltung der alten amerikanischen Folkmusik beteiligt, berichtet der Künstler, „ehe sie mit Aufkommen von Radio und Fernsehen wegstarb und die Popmusik mit ihren geschriebenen, neuen Songs überhand nahm. Leute wie John und Alan Lomax, Pete Seeger und Woody Guthrie taten in Amerika eigentlich genau dasselbe wie wir in Irland: Sie sammelten Lieder und zeichneten sie auf. Und sie entdeckten Leute wie Jean Ritchie, die großartige Dulcimerspielerin, mit der wir ein Instrumentalalbum mit Appalachian music aufnahmen. Oder wir fanden großartige Gitarristen, eine Hausfrau namens Etta Baker, die eine fantastische Double-Thumbing-Version von Elizabeth Cottons ‚Freight Train‘ spielte. Wir brachten diese Aufnahmen heraus, und plötzlich wollte jeder so spielen und imitierte Ettas Stil. Leute wie das Kingston Trio. Sie probierten quasi jeden amerikanischen Song aus, und dann suchten sie neues Repertoire. Gegen Ende ihrer Aufnahmekarriere nahmen sie fast nur noch unsere Songs auf, wie ‚Roddy McCorley‘, ‚The Patriot Game‘ und so weiter!“

Warum, fragt man sich, waren ausgerechnet traditionelle irische Folksongs zu dieser Zeit gerade in Amerika so erfolgreich? In Irland wäre die Karriere der Clancy-Brüder und Tommy Makems vermutlich nicht so erfolgreich verlaufen, bestätigt Clancy entschieden: „Es waren diese Aufgeregtheit und Freiheit der Neuen Welt und die Einflüsse der Rhythmen Amerikas. Leute wie die Weavers und das Kingston Trio gaben diesen Liedern den speziellen Drive. Wir fanden das sehr spannend und bedienten uns der alten Lieder, die üblicherweise von Solosängern vorgetragen wurden. Ich erinnere mich an eines unserer populären Lieder, ‚Brennan On The Moor‘, das hatte 58 Strophen – wir kürzten es auf vier und gaben ihm den Drive eines galoppierenden Pferdes.

Ich traf gerade neulich nach fast vierzig Jahren Marty Erlichman, der uns mit seinem Partner Lenny Rosenfeld gemanagt hatte, und fragte ihn: ‚Marty, was hast du damals eigentlich in unserer Gruppe gesehen?‘ Und er sagte ‚Liam, ich hatte nie etwas von Irland gehört und ich wusste nicht, was ihr Jungs darstellt, auch die Songtitel sagten mir überhaupt nichts. Ich konnte die meiste Zeit noch nicht mal die Texte verstehen. Aber ihr hab sie mit einem solchen Enthusiasmus gesungen, dass wir euch einfach unter Vertrag nehmen mussten!‘ Sie sperrten uns drei Tage lang jeweils acht Stunden in einen Proberaum und pressten aus unserer Erinnerung jeden Song, jede Story, jedes Gedicht heraus, das wir kannten, und halfen uns, Stücke auszusuchen. Sie sagten: ‚Schmeißt den Song auf den Müll, zu lokal ...‘ oder: ‚Ja! Diesen Song behalten!‘ – selbst bei Liedern in irischer Sprache, die sie nicht verstanden. Wir fragten: ‚Habt ihr denn überhaupt etwas vom Text mitbekommen?‘ Und sie sagten: ‚Nein, aber es ist irgendetwas darin, das ist universell!‘ Nach diesem gewissen universellen Etwas hatten sie Ausschau gehalten: Freude, Traurigkeit, was auch immer es war, es musste sie faszinieren. Marty war jemand, der uns nach vorn brachte. Er war es auch, der uns an die Ed Sullivan Show vermittelte.“

Senkrechtstarter

Am 12. März 1961, am Abend des St. Patrick’s Day, traten die Clancy-Brüder und Tommy Makem in der legendären TV-Show auf und wurden auf einen Schlag von achtzig Millionen Menschen gesehen. Ein begeisterter Zuschauer war der legendäre Produzent John Hammond von Columbia Records, der ihnen einen Fünfjahresvertrag mit einer Abschlagzahlung von 100.000 Dollar besorgte, 1961 eine Menge Geld. Für ihr erstes Columbia-Album A Spontaneous Performance Recording holten sich die Clancys einen alten Greenwich-Village-Bekannten ins Boot: Pete Seeger spielte Back-up Banjo auf dem Livealbum, das Songs enthielt, die schnell zu Klassikern wurden: „Brennan On The Moor“, „Jug Of Punch“, „Reilly’s Daughter“, „Finnegan’s Wake“, „Haul Away Joe“, „Roddy McCorley“, „Port Lairge“ und „Moonshiner“. Das Album wurde 1961 für einen Grammy nominiert. Im Laufe eines Jahres hatten sie zwei weitere Alben veröffentlicht, ein abschließendes für Tradition Records, und ein weiteres für Columbia: Hearty And Hellish! A Live Nightclub Performance.

Paul Grant, Liam Clancy und Kevin Evans

Es folgten ein Auftritt in der Carnegie Hall und weitere in nahezu jeder namhaften Radio- und Fernsehshow Amerikas. Was mag das für ein Gefühl für einen einfachen Jungen aus einem kleinen irischen Dorf gewesen sein? Clancy lacht, nickt und meint: „Was in den darauf folgenden zehn Jahren geschah, kann man nur mir dem vergleichen, was passiert, wenn man auf ein Raftingboot geschmissen wird, das durch die Stromschnellen des Colorado River fährt. (lacht) Du klammerst dich irgendwo fest, um das nackte Überleben zu sichern. Und du hast nie die Zeit, darüber nachzudenken: ‚Wo gehe ich hin? Was mache ich hier überhaupt?‘ Es war ein einziger, turbulenter, freudvoller Ritt ...!“

Ohne die Clancy-Brüder und Tommy Makem wäre die irische Folkszene nicht das, was sie heute ist. Sie waren diejenigen, die ein fruchtbares Feld bereiteten für die moderne Irish folk music. Liam Clancy wiegt nachdenklich den Kopf und sagt: „Als uns später einmal jemand kritisierte, weil wir zu kommerziell gewesen seien, verteidigte uns ... – ich glaube, es war Christy Moore oder einer von den Dubliners: ‚Moment mal, du verdienst deinen Lebensunterhalt mit dem, was sie angefangen haben! Sie haben eine Tür geöffnet, wo niemand überhaupt wusste, dass eine Tür existiert. Wir sind alle hindurchmarschiert, und du solltest verdammt noch mal froh darüber sein!‘“

Balladensänger

Bob Dylan bezeichnete Liam Clancy einmal als den besten lebenden Balladensänger. Nach welchen Aspekten sucht er sich die Lieder aus? In seinem Soloprogramm singt William – wie er als Kind genannt wurde – Clancy neben traditionellen Liedern auch moderne Songs aus der Feder verschiedener Singer/Songwriter, wie z. B. „The Mary Ellen Carter“ des Kanadiers Stan Rogers. Der Aspekt, nach denen Clancy seine Lieder aussucht, ist die „universelle Essenz, die ein Song hat. ‚The Mary Ellen Carter‘ handelt nur vordergründig von einem kleinen Schiff, das gesunken war, und von ein paar Burschen, die es wieder hoben und seetüchtig machten – als gutes Geschäft, wie man meinen könnte. Aber darum geht es in dem Lied gar nicht in erster Linie, sondern es geht um den unbezwingbaren menschlichen Kampfgeist.“

The Dutchman
Reunion
The Story of ...
We've Come A Long Way
The Makem & Clancy Concert
In Concert
Luck Of The Irish
Irish Troubadour
Yes ... Those Were The Days
Yes ... Those Were The Days

Liam Clancy ist ein singender Schauspieler oder schauspielernder Sänger, Lieder wie Eric Bogles „And The Band Played Waltzing Mathilda“ über australische Soldaten in der Schlacht von Gallipoli passen perfekt zu ihm, er singt diesen Song nicht, er spielt und zelebriert ihn regelrecht. „Ja, das stimmt“, resümiert Clancy, „einige dieser Stücke sind wirklich Schauspielersongs. Was ist denn der Job eines Schauspielers? Er muss jeden Abend die gleichen Zeilen deklamieren. Hamlet muss jeden einzelnen Abend rausgehen und sagen: ‚To be or not to be, that is the question!‘ Und wenn das Publikum nicht jeden Abend glaubt, dass es das erste und das letzte Mal ist, dass Hamlet jemals diesen Gedanken denkt, dann hat der Schauspieler versagt. Ich beschreibe das auch als ‚Rauchskulptur‘. Man modellierst den Rauch in eine Form, einen Umriss – und dann ist der Rauch mit der Aufführung verweht. Und am nächsten Abend macht man nicht dasselbe wie am Abend zuvor. Du schaffst eine gleichartige, aber doch neue Skulptur. Und die Leute sehen sie nur einmal. Sie sahen sie nicht zuvor und werden sie niemals danach noch einmal sehen. Diese Einmaligkeit, ihnen deine Geschichte zu erzählen und sie den Song, den du singst, glauben zu machen, das ist es, was die Aufgabe des Sängers oder Schauspielers ist.“

Trotz der jahrzehntelangen Bühnenerfahrung fühlt Clancy immer noch Nervosität vor seinen Auftritten – vielleicht das Geheimnis seiner faszinierenden Bühnenpräsenz. „Man kann sich seiner nie ganz sicher sein. Du nimmst eine andere Persönlichkeit an, wenn du auf die Bühne gehst. Es ist schwer zu erklären. Du musst gefasst sein, um das Singen zu bewältigen. Es muss in jedem Teil deines Körpers leben und du musst Energie an das Publikum weitergeben, das sie wiederum vervielfacht und dir zurückgibt. Das ist es, was den Künstler ‚unter Strom setzt‘.“

Makem & Clancy

Die Clancy-Brüder und Tommy Makem waren, mit Unterbrechungen und in wechselnden Besetzungen, bis in die Achtzigerjahre erfolgreich. Nachdem Liam Clancy einige Jahre im kanadischen Calgary gelebt hatte, gründete er in den Siebzigern zusammen mit Tommy Makem das Duo Makem & Clancy. Sie spielten mehrere Alben ein und tourten sehr erfolgreich in Irland, England, Australien, Kanada und Amerika.

Makem & Clancy, Mitte der Siebziger

Die politische wie wirtschaftliche Situation in Irland hat sich seither dramatisch verändert. Haben die neuen Umstände Einfluss auf die traditionellen irischen Musiker und jungen Singer/Songwriter von der Insel? „Die jungen Leute“, antwortet Clancy nachdenklich, „haben heute eine Art von Vertrauen, die wir nicht hatten. Ich wurde 1935 geboren, Irland wurde immer noch ‚Freistaat‘ genannt, wurde erst 1949 zur Republik. Mein Vater und meine Mutter wurden als british subjects geboren, nicht als citizens, sie waren also nicht gleichberechtigt, sondern ‚Subjekte‘ der britischen Monarchie. Mein Großvater war Buchhalter auf einem Anwesen, das von Oliver Cromwell im 16. Jahrhundert einem seiner Generale geschenkt worden war. Den Leuten, die es vorher besessen hatten, wurde gesagt: ‚Wenn Sie nicht am 5. Mai von dem Anwesen runter sind, werden Sie aufgehängt. Sie können westlich des Shannon gehen, nach Connaught, in die Badlands, oder Sie gehen zur Hölle!‘ Daher kommt der Ausspruch ‚zur Hölle oder nach Connaught‘. Das britische Empire unterjochte die Iren auf unglaubliche Weise. Das lebte fort bis in die Zeit, in der ich geboren wurde und aufwuchs, in dem Sinne, dass wir uns minderwertig fühlten gegenüber andern Menschen. Dieses Gefühl änderte sich im Laufe von nur einer Generation. Total! Und ich freue mich, dass ich von uns behaupten kann, dass wir einen gewissen Anteil daran hatten. Dass Leute, die sich vorher schämten, die alten Lieder zu singen, uns plötzlich die ganze Zeit über im Radio hörten. Und sie dachten: ‚Hey, es ist in Ordnung, diese Lieder zu singen!‘ Und Leute wie unsere alte Oma, die ich nie vorher ein Volkslied hatte singen hören, sang plötzlich ‚The Bonnie Bunch Of Roses‘ und all diese alten Songs, für die sie sich früher geschämt hatte. All das brach plötzlich aus ihr raus.“

Clancy erinnert sich an die Zeit, als er mit Tommy Makem als Duo auf Tour war: „Noch in den Siebzigern und Achtzigern war es anders, im Norden Irlands war es regelrecht Angst einflößend. Wir wurden andauernd von britischen Soldaten angehalten und mussten alles aus dem Van auspacken, alle Instrumente. Einmal zwang man mich mitten auf der Landstraße, mit meinem Konzertinakasten hundert Yards die Straße lang zu laufen, die Konzertina dann herauszunehmen und darauf zu spielen, damit sichergestellt war, dass es keine Bombe war. Als ich die Straße entlang lief, bemerkte ich eine Kokarde und ein Gewehr, das auf meinen Kopf zielte. Dann ließen sie uns den Wagen wieder beladen und weiterfahren. Wir hatten damals einen Musiker aus dem Norden bei uns. Der legte den Finger auf den Mund, deutete in Richtung Armaturenbrett und schüttelte den Kopf. Nur fünf Minuten später trafen wir auf eine weitere Straßensperre britischer Soldaten, die uns anhielten und wiederum den Wagen ausräumen ließen. Und was sie ausräumten, das war die Abhörwanze, die man uns beim ersten Stopp verpasst hatte. Ich kann die jungen Leute verstehen, die im Norden Irlands aufgewachsen sind. Wenn du es einmal erlebt hast, dass ein Gewehr auf deinen Kopf zeigt, gehalten von einem Mann in Uniform, der aus einem anderen Land kommt und in Cockney mit dir redet (imitiert): ‚Ge’ tha’ fu’in’ smoke off you faice! Where’re you from?‘ – (tonlos) ,I’m from here ...‘ – ,Well, you’re a long wai ’wai from Mum, ain’ you?‘ – ,Not as far as you are ...‘ – ‚Doun’ be fu’in’ smar’ wi’ me o’ I’ll blouw you fu’in’ min’ out!‘ Wenn dir das ein paar Mal passiert ist, dann willst du dir nur noch die größte, stärkste Knarre beschaffen und so viele dieser Bastarde umbringen, wie du kriegen kannst. Und das ist die Realität: Margaret Thatcher war einer der größten Rekruten der IRA, der je existierte. Genauso wie George Bush und die CIA El Kaida geschaffen haben.“

Die neue Generation, so Clancy, „hat sich sehr verändert, vielleicht zu sehr in mancher Hinsicht. Die jungen Leute haben viel Geld, sie fahren schnelle Autos und bringen sich damit um. Sie nehmen Drogen, es gibt viele Verbrechen, und das ist die dunkle Seite der Entwicklung. Andererseits ist das Land viel besser geworden, es gibt mehr Vertrauen, und die Leute denken zukunftsgerichtet.“

Last Man Standing

Einige Tage vor dem Folker!-Interview verstarb Tommy Makem. Liam Clancy ist damit das letzte noch lebende Mitglied der Clancy Brothers & Tommy Makem. Es muss ein einsames Gefühl sein, auf der Bühne zu stehen und zu wissen, dass man „der letzte Aufrechte“ ist. „Weeell ...“, Clancy ist ernst geworden und entgegnet nachdenklich: „Ich weiß, es liegt in der Natur des Lebens, geboren zu werden, zu wachsen und zu gedeihen, zu verwittern und zu sterben. Das ist der natürliche Prozess. Man kann zweierlei machen, wenn man die volle Bedeutung erkennt: Man kann sich auf den Boden werfen, mit den Beinen strampeln und schreien: ‚Nein, ich will nicht alt werden, ich will nicht sterben!‘ Aber davon wird es auch nicht besser! (lacht). Also akzeptierst du es und lachst darüber. Und du schaust zu, wie deine Enkel aufwachsen. Es ist nur schade, dass es niemanden mehr gibt, der anruft und sagt: ‚Erinnerst du dich daran, als wir im Playboy Club in Chicago spielten? Wie war noch mal der Name dieses Mädchens, das ich ausführte?‘ (lacht und sagt traurig) Das kannst du nun nicht mehr ..., sie sind alle weg.“

Liam Clancy könnte sich heute zurücklehnen und seine Pension genießen, sozusagen als „elder statesman of Irish folk music“. Aber er steht immer noch regelmäßig auf der Bühne, begleitet von Paul Grant (Gitarre) und Kevin Evans (Banjo und Mandoline). Ja, er sei bühnensüchtig, gibt Clancy zu: „Leben ist Arbeit, und wenn du aufhörst zu arbeiten, dann hörst du auf zu leben. Du kannst nicht in den Musikruhestand gehen und vom Auftreten zurücktreten – es ist alles, was du hast, als Musiker. Und ich habe immer noch wunderbare Visionen im Kopf von einigen der schönsten Lieder und Gedichte, die je geschrieben wurden. Jetzt, wo ich 72 Jahre alt bin, lese ich viel Lyrik von Yeats aus seiner späten Periode. Und in einem seiner letzten Gedichte sagt er:

‚An aged man is but a paltry thing,
A tattered coat upon a stick, unless
Soul clap its hands and sing, and louder sing
For every tatter in its mortal dress,
Nor is there singing school but studying
Monuments of its own magnificence;
And therefore I have sailed the seas and come
To the holy city of Byzantium.

Liam Clancy, Tonder 2007

O sages standing in God’s holy fire
As in the gold mosaic of a wall,
Come from the holy fire, perne in a gyre,
And be the singing-masters of my soul.
Consume my heart away; sick with desire
And fastened to a dying animal
It knows not what it is; and gather me
Into the artifice of eternity.‘
(Auszug aus „Sailing To Byzantium“ (1928) von William Butler Yeats)

Ist das nicht wundervoll? Und so etwas liegt zwischen den Deckeln eines Buches ... Tote Worte – bis, ja, bis jemand kommt und sie ausspricht und ihnen Leben einhaucht. Und das ist unser Job, ja, das ist unser Job, so lange wir können.“


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