Noten ohne Quoten
Eine Stimme für das deutschsprachige Lied
von Nikolaus Gatter
Zum Auftakt Silbererz aus der schier unerschöpflichen Grube des Königs
WENZEL: Glaubt nie, was ich singe (Conträr 90441-2,
www.wenzel-im-netz.de, 16 Tracks, 54:35, mit Texten). Seine CD-Hülle
dokumentiert den melancholischen Blick, den er fast ein wenig
kokettierend-veteranenhaft auf die mählich welkende, verderbte Welt wirft:
mal schwermütig („All zu fern“), mal satirisch grinsend
(„Globalisierungstango"), mitunter volksliednah („Zeit und Raum“).
Schifferklavier, Trauerblaskapellen und Kirmes-Pianola erzeugen feinfühlige
Sounds, die seine unverfälschte Lagerfeuergitarre konterkarieren. Dass man
in Wien sterben müsse, ist jedoch nur eine Plattitüde wie die
Kalendersprüche, aus denen das reimgesteuerte Rondell „Jedes ICH braucht
auch ein DU“ gebaut ist. - Ein Vorname fehlt auch der CD von
MAURENBRECHER: Glück (Reptiphon SAT 1025-2, www.maurenbrecher.eu,
14 Tracks, 60:52, mit Texten). Seine Texte sind eben gar nicht Manfred,
sondern womöglich noch bürgerschreckiger, diabolisch-galliger geworden. Mit
rissigem Timbre und Knurrhahn-Charme besingt der Caruso der Kreuzberger
Kaputtnik-Szene Hartz, Edeka und den „Auberginenmann“, kurz: die
Katastrophen urbanen Alltags. Country, Barpiano und Elektrikblues bilden die
Ursuppe, in der Maurenbrechers Lieder schwimmen. Wer wollte ihn da mit der
Messlatte vermöbeln und zum „berühmtesten Künstler der Welt“ (Waschzettel)
erklären - „... in dieser Straße“, echot bei mir der alte Witz von den
konkurrierenden Nachbargeschäften, deren letztes dies als stärksten Trumpf
annonciert. - Ein Alltagspoet ist auch WERNER LÄMMERHIRT: Harte
Zeiten (DMG Germany /Brokensilence 54.218072.2, www.brokensilence.de, 12
Tracks, 59:36, mit Texten). Nur schwer konnte er sich zum
Schreiben durchringen, seine Texte geraten düster, realistisch und
schnörkellos. Im Studio von Mario Hené hat er die Overdub-Gitarrenbegleitung
solo eingespielt und überzeugt mit dem, was die anderen nicht haben: mit
Blues. - Volkssängerparodist mit Masche, in diesem Fall eine penetrant
betonierte Mr.-Bean-Physiognomie, ist RAINALD GREBE: Das
Robinson-Crusoe-Konzert (Brokensilence 03966, www.rainaldgrebe.de, 17
Tracks, 63:08). Er deutet den Lebensentwurf des legendären
Schiffbrüchigen positiv um, weil er diesmal ohne die Dröhnung der Kapelle
der Versöhnung auftritt. Sein Freitag ist ein Tontechniker mit
„Einsamkeitsschorf“, der ihm den Arbeitsplatz am Bösendorfer-Piano
mikrophoniert, ansonsten bleibt Grebe notorischer Nichtwähler („80.000
Joghurts sagen Hallo“) und Single („es steht auch auf der Klingel“). Gute
Poesie und noch besserer Vortrag! - Ausgezeichnete, schulbuchwürdige Texte
bieten auch FÖN: Ein bisschen plötzlich (Traumton/Indigo 4507,
www.euerfoen.de, 15 Tracks, 69:18, mit Texten in Auswahl). Ihre
Wortspiellaune findet den - nicht von Philip Roth erdachten - „menschlichen
Makler“ (nämlich einen „Makler mit menschlichem Antlitz“), nimmt
zukunftsweisend Anne Will aufs Korn (Pigor/Eichhorn haben’s mit der
Christiansen vorgemacht) und stimmt die Schöpfungsgeschichte auf den
Kammerton A („nachts knackt Adam dann am Waldrand“). Als nächstes sollten
sie versuchen, das E wegzulassen wie einst George Perec, der einen ganzen
Roman ohne den höchstfrequentierten Buchstaben schrieb. Sie reimen auch die
Fortsetzung der hungrigen und satten Ratten Heinrich Heines (auf Schlangen,
Molche etc.) - Aus Kloster
Banz, dem Camp David und Castelgandolfo der bairisch-sozialen
Einheitspartei, kommen Songs an einem Sommerabend - Die Neuen von den
Songs (pläne/BRW Service 88949, 19 Tracks, 77:53, mit Informationen).
Es sind nicht die schlechtesten Künstler, die sich seit 1987 als
Förderpreisträger der Hanns-Seidel-Stiftung in Szene setzten, aber sie gaben
ihre schlaffsten Songs, den unpolitischen Abhub, Witze über küssende
Friseusen, englisch-radebrechende Speisewagenschaffner und „Sabine vom
Biovital“, mit denen selbst in der Weißwurstdiktatur niemand aneckt. - „Dem
Sommer eine Stimme geben” (mal ehrlich, war das ein Sommer?) wollte auch
das MÜNCHNER SOMMERTHEATER IM ENGLISCHEN GARTEN: Die Lieder III -
Audiotheater (www.muenchner-sommertheater.de, 15 Tracks, 77:04, mit
Texten). Ihr Programm (Kleist, Molière, Shakespeare, Gogol), das seit
zwei Jahren im Amphitheater des Englischen Gartens stattfindet, ist mit
allerlei Liedern garniert, deren Texte und Melodien Ulrike Dissmann
geschrieben hat. Nun wurden sie mit musikalischer Leitung (und Begleitung)
von Ramon Bessel eingespielt und mit einführenden Kommentaren versehen. Ein
Gaunerlied, die launige Klage eines Kochs und die bauerntäppische
Drehleierweise „Leib und Seel” geben einen guten Eindruck von der Spiellaune
des Ensembles. - Was ASTRID HOFFMANN: Die 3. Frau - Chansons
(www.astrid-hofmann-chansons.de, 9 Tracks, 44:58, mit Texten) vorträgt,
klingt unmoduliert, atemlos und stimmschwach, die teils durchaus anhörliche
Begleitung ihrer Combo (eindrucksvolle Trompete von Reinhard Greiner) vermag
sie damit kaum zu übertönen. Sie meint es gut mit ihren Texten, doch die
erbauliche Botschaft, nichts sei unmöglich, man müsse einfach sein, wie man
ist, und an sich glauben etc., trifft eben nicht auf der Bühne zu und ein. -
Dagegen ist SIGURD RENTZ: Blick ins Wunderland - Chansons
(Klangwelt, www.sigurd-rentz.de, 11 Tracks, 51:06, mit Texten) so etwas
wie eine vortragskünstlerische Wollmilchsau: So kraftvoll die Mitstreiter in
Konzertgitarre, Klaviertastatur und Knieharfe greifen, so routiniert gibt er
den Charmeur, rezitiert Poesie („Du junger Prinz“), beweist Sprachwitz
(„Herbst wird’s an allen Enden“) und verpackt seine Frohbotschaft gleich
fehlerfrei in englischen wie in französischen Stilen. Der Mainzer
Liedermacher reagiert gewiss nicht pikiert, wenn ich ihn einen
Weltverbesserer nenne; er singt zum Benefiz eines Vereins von Eltern, deren
Kinder vorzeitig starben, den Kindern überhaupt gilt sein von sozialen
Widrigkeiten ungekränkter, provozierender, vor Strahlkraft zum Bersten
platzender Optimismus.
Als Promo-CD eingetroffen:
OLIVER BLUME: Romy (Global Records, www.oliverblume.de, 4 Tracks, 16:16)
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