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Zensur kennt keine Grenzen –

die Kritik an ihr darf auch keine kennen

Von Johannes Ismaiel-Wendt*

Johannes Ismaiel-Wendt

Stellen wir uns einmal den Blick eines deutschen Beamten vor, dem ein Antrag vorgelegt wird, in dem ein „Ausländer“ um Asyl bittet und als Begründung angibt, er wolle gerne entspannt die neueste CD von Shakira hören. Kann Shakira so wichtig sein?

Ich lerne Shakeb Isaar viel zu flüchtig im letzten Winter auf einer Tagung in Istanbul kennen. Er kommt aus Afghanistan und lebt seit einiger Zeit in Schweden im Asyl. In Kabul war er nach dem offiziellen Sturz der Taliban DJ und VJ bei Arman FM Radio und Tolo TV. Mit einer Freundin legte er dort neueste Popsongs auf, gerne auch von Shakira. Isaar war voller Enthusiasmus, aber nicht lange nach Programmstart erhielten sie im Sender Morddrohungen von religiösen Fanatikern. Sie spielten zu viel westliche Musik, die Videos zeigten zu viel unbedeckte Frauenhaut, und überhaupt spielten sie ja Musik. Eines Tages war die Freundin von Shakeb Isaar dann einfach tot - ein Unfall oder so, sagte man ihm. Mit Hilfe von Freemuse (s. Folker! Heft 1/2004), einer Organisation, die sich gegen die Zensur von Musik engagiert und auf deren Weltkonferenz** ich Isaar begegne, gelingt ihm die Ausreise nach Schweden. Er arbeitet jetzt von dort aus für Tolo TV - und sicher präsentiert er wieder Shakira.

Natürlich gibt es keine zersetzenden Melodien oder so mächtige Beats, dass sie ganze Staatssysteme ins Wanken bringen könnten. Zensur ist durch einen doppelten Kurzschluss im Umgang mit Musik verursacht.

Shakira? Blondiert, exotisiert, von einer immer das Gleiche bietenden Kulturindustrie global vermarktet. Wie wichtig wäre sie mir vor der Begegnung mit Shakeb Isaar gewesen? Nicht besonders, aber die Kritik an Zensur darf nicht an Qualitäten der Musik gekoppelt sein. An die Zensur darf nicht ein einziger Ton abgetreten werden. Voller Eindrücke und mit diesem Entschluss berichte ich meinen Freunden von Isaar und Freemuse. „Johannes, Zensur ist übel, klar“, bestätigen sie mich. „Aber willst du, dass die Nazis ihre Musik im Radio rauf und runter dudeln lassen dürfen?“

Zensur und Rechtsrock entspringen der gleichen essenzialistischen Ausschlusslogik: Nazi und Zensor wollen beide ihre imaginierte Gemeinschaft „vom Fremden sauber“ halten. Es ist eben nicht eine reine Toleranz, die ich hier proklamieren möchte. Es ist eine Kritik an allen religiösen, kulturellen, nationalistischen, ethnischen, rassistischen Bünden, die Glauben machen wollen, sie seien schon immer da gewesen und alles, was Selbstbildnis Istanbul außerhalb dieser geschlossenen Gemeinschaften liege, sei „Dreck“. „Rechts“ ist mit seinen Strategien zur Abwertung anderer und den Einschränkungen des freien Ausdrucks selbst schon Zensur pur. Rechte Musik total abzulehnen, ist somit nur konsequente Kritik der Zensur.


* Johannes Ismaiel-Wendt (geb. 1973) ist Kulturwissenschaftler M. A. und promoviert zurzeit in Musikwissenschaft über transkulturelle Metaphern populärer Musik. Er beleuchtet so genannte Weltmusik im Lichte kritischer postkolonialer Theorien. Zuletzt ist von ihm ein Aufsatz über Herbert Grönemeyers Fußball-WM-Hymne erschienen (in Kien Nghi Ha et al. [Hrsg.], Re/visionen. Münster: Unrast, 2007).

** Unter dem Titel Music Will Not Be Silenced ist eine Dokumentation der 3. Weltkonferenz zu Musik und Zensur vom 25. bis 26. November 2006 erschienen. Erhältlich über www.freemuse.org.


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