back

Ferner liefen...

Zugegeben: Doofsein hat nicht nur Vorteile. Macht aber vieles leichter. Dies zumindest behauptet mein niederländischer Freund Rasmus aus Rotterdam von seiner Freundin Moria. Er meint das nicht bös, singt ihr sogar Loblieder. Ansonsten hält er an der niederbretonischen Volksweisheit fest, wonach der gesunde Menschenverstand die am besten verteilte Gabe der Welt sei. Da wir alle glauben, aufs Beste damit versorgt zu sein, sind wir mit unserer jeweiligen Portion zufrieden und überzeugt, genug ist genug, mehr wäre weniger ...

Für die Schusseligsten sind Weltmeisterschaftsendspiele auch in der vierten Wiederholung noch spannend („Diesmal könnte er das Tor treffen!“). Katastrophennachrichten verlieren jeden Schrecken, wenn man’s cool findet, in einer Gegend zu wohnen, über der das Ozonloch am weitesten aufklafft. Wozu einen Krieg führen, las ich neulich in der jungen welt, der die USA nun schon 500 Milliarden kostet - hätt’ man den Zaster bar verteilt, hätte jeder Einwohner des Irak ein erfreuliches Geldgeschenk von 18.700 Dollar eingesackt. Das hülfe auch dem übelsten Aggressor rauf auf der Beliebtheitsskala. Und was dann? Mit angeregter Kaufkraft versorgen sich die Fellowship-Stipendiaten bei der amerikanischen Schusswaffenindustrie, die macht „Boom“ und das Geld bleibt in der Familie.

Oder nehmen wir die Senioren-Biker - in den 40er Jahren geboren, um wild zu sein -, die nach Einbruch des Sommerwetters und der Pensionsgrenze noch mal über die Landstraße brettern, zum Motocross am Rothaarsteig: „Früher war ich risikofreudiger“, dieser so einsichtige Spruch rahmt genau das schmale Zeitfenster der Vernunft ein. Mein Risiko, das der Typ früher so freudig mit in Kauf nahm, klettert auf Extremwerte, sobald die beginnende Altersdemenz über nachlassende Reaktionsgeschwindigkeiten hinwegtäuscht.

Wozu studieren? Verstand kann man mieten. All die vor angelerntem Wissen platzenden Abiturienten lassen sich mit flotten Fremdwörtern und lateinischen Brocken beeindrucken. Weist einer nach, man habe dreist eine Formulierung bei Feuerbach plagiiert, sagt man einfach: „Gut, nicht? Wo ich den alten Knaben noch persönlich gekannt habe“, und erzählt Anekdötchen, die jedem Talar-Ayatollah von Berkeley bis an die Sorbonne vorauseilen. „Koryphäen“ waren im Altertum doch bloß die Vorträllerer im Chor der attischen Tragödie. (Und Gamba, das wissen wir ja, sind diese Krabbenviecher, die man am besten à la viola zubereitet, und als Beilage werden geröstete Kastagnetten serviert, diese kleine, viel aromatischere Kastaniensorte - lecker!)

Tapfer bekämpft die Regierung grassierenden Blöd-Sinnverlust mit Alphabetisierungskampagnen („D für Demokratie“) unter dem Brainwash-Motto „Brain up!“ Wonach mag das in anglophonen Ohren klingen? Noch 2002 hatte kein Schwein was gemerkt vom „Jahr der Geisteswissenschaften“. Heute wetteifern Geistesmetropolen wie Göttingen und Braunschweig (neue Bahnhofsschilder!) um den Titel „Stadt der Wissenschaft“. Zugleich erhebt die Landesbibliothek der Bundesstadt erstmals Nutzungsgebühren, 20 Euroni per anno. Für Lastenausgleich sorgt ein 105 Meter langer Lastkahn. Er hört auf den Namen „MS Wissenschaft“, wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziert und tuckert mit der Ausstellung „Sprache ist mehr als Worte“ durch deutsche Binnenhäfen. Ein „schwimmendes Science Center“, bestehend aus „Stationen zum Zuhören und Nachsprechen“ (Schlüsselqualifikationen für angehende Akademiker), einem klingonischen Sprachcomputer - man weiß ja nie, wo man landet! - und dem digitalen Peking-Reiseführer Compass 2008.

Vier Tage Berlin, zwei Tage Dortmund, einen Tag Münster und vogue la galère. „So erfahren Besucher, dass manche Völker mit Klicklauten sprechen und andere die Bedeutung von Wörtern durch Tonhöhe verändern“, jubiliert die Presse. „Außerdem sind alle, die seltene und kaum bekannte Wörter kennen, eingeladen, diese zum Ausstellungsbesuch mitzubringen. Die ausgefallensten und schönsten dieser Sprachmitbringsel werden belohnt!“ Ursprünglich wollte ich Lieblingsworte wie „Hausenblase“, „Ablution“ oder „Berlocken“ einbringen, da fiel mir der gute alte Sebastian Brant wieder ein, der 1494 die erste deutsche Satire zwischen Buchdeckeln vom Stapel ließ: „Drum dachte ich zu dieser Frist / Wie ich der Narren Schiff ausrüst: / Galeen, Füst, Krack, Nauen, Bark, / Kiel, Weidling, Hornach, Rennschiff stark, / Schlitt, Karren, Stoßbären, Rollwagen. / Ein Schiff möcht die nit alle tragen, / Die jetzt sind in der Narren Zahl; / Ein Teil kein Fuhr findt überall, / Die stieben zuher wie die Immen, / Versuchen zu dem Schiff zu schwimmen / Ein jeder, der will Vormann sein; / Viel Narren, Toren, kommen drein, / Der’ Bildnis hab ich hier gemacht.“ Und habe herzhaft drob gelacht.

Nikolaus Gatter
go! www.lesefrucht.de


zurück


Home


vor


Valid HTML 4.01!

Interesse? Dann brauchst Du die Zeitschrift!
Also den Folker! preiswert testen mit dem Schnupper-Abo!

Die Kolumne
im Folker! 5/2007