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Noten ohne Quoten

Eine Stimme für das deutschsprachige Lied

von Nikolaus Gatter

Das dürfte Verfassungsschützer auf die Probe stellen: unser Grundgesetz, getönt & zugemixt als passendes Abschiedsgeschenk zur Abifeier oder Handreichung der Bundeszentrale für politische Bildung: M. ARFMANN, Dub’l G: Das Nähere regelt ein Bundesgesetz - Remix; THOMAS BIERLING/EVA WEIS/PETER LEHEL, Recht harmonisch: Das vertonte Grundgesetz - The Original Recordings (2 CDs, yeotone YT 07 001, www.yeotone.de, Remix-CD: 6 Tracks, 28:08; Original-Recordings-CD: 21 Tracks, 38:11). Der heilige, dem NS-Trümmerdeutschland abgerungene Urtext, auf den schon mancher hat schwören müssen, hier wird er gegrunzt, gegrummelt, gequietscht, geflüstert, gescratcht, remixed & overdubbed, kurz: durch den Wolf gedreht, auch zu Silbenfetzen zerschnippelt und quiltartig neu zusammengenäht (der Tickel wird vor’s Ar gesetzt u. ä.). „Sittengesetz“ dient als Rhythmus-Impulsgeber, Muezzingesang verkündet Religionsfreiheit vom Minarett herab, Freizügigkeit wird als Blues eingeklagt, und gälten, was Tierschützer fordern, schon Grundrechte für Vierbeiner, würden sie wohl als Katzenmusik vorgetragen. - Collagiert (aus Ringelnatz, Albers & Co.) sind auch die maritimen Sehnsüchte der auf der Elbe schippernden NILS OWE KRACK/JUREK LAMORSKI, Der Fluch der weißen Taube oder Warum es sich auf See viel schöner stirbt (Membran Music 231692, www.membran.net, 23 Tracks, 67:52). Der Countertenor vom Ohnesorg-Theater beginnt mit langen Sprechtexten zu „La Paloma“ und bringt seine Anekdötchen und Schnurren mit Hilfe des wahrhaft virtuosen polnischen Quetschebüggel-Maestros auf die Reeperbahn nachts um halb zwei. - Mit einer Marching Band, die zur Beerdigung im New-Orlans-Stil aufspielt, interpretiert FRANUI, „Wo du nicht bist, dort ist das Glück“ - Schubertlieder (col legno wwe 1CD 20301, www.franui.at, 17 Tracks, 69:03, mit Texten). Dass Schuberts Kompositionen nicht weit von Schrammeln und Gstanzerln angesiedelt sind, war immer schon bekannt; hier vertragen sie sich mit jazzigen Tönen, gesungen wird allerdings nur ausnahmsweise oder auch mal nur eine Zeile geflüstert. - Mehr Vertrauen in Schuberts Texter setzt HANNES LÖSCHEL, Herz. Bruch. Stück (loewenhertz 017, www.loewenhertz.at, 9 Tracks, 71:01, mit Texten) mit originellen Neuvertonungen. Der Austriake hat’s mit dem Morbiden, und so ist es kein Wunder, wenn Wilhelm Müllers Friedhofsverslein aus alter Zeit und nächtliches Herzbluten der seligen Karoline Pichler einander abwechseln. Die Musik, bei der man den Herzschrittmacher nicht langsamer einstellen muss, bietet Durchkomponiertes mit Improvisationsfenstern für Bläser, Geiger, Klavier, Harmonium, Harmonika u. v. a. - Als furiose Ulknudel hat sie begonnen, seit einiger Zeit möchte NESSIE TAUSENDSCHÖN, Restwärme (con anima/Hörsturz booksound, CA 26567, www.conanima.de, 16 Tracks, 69:30) ins melancholische Chansonfach wechseln („Niemals ganz alleine“, „Bar der Vernunft“, „Allein in der Landschaft“). Da es eine Liveveranstaltung ist, ruft sie ein paarmal pro forma „Und jetzt alle“, aber kaum jemand will die singende Säge accompagnieren, zu klamottig ist das Ganze, Pippi Langstrumpf in Moll mit Alkohol- und Bluthochdruckproblemen. - Zwei Liedermacher proben die Wiedervereinigung im HANDSTREYCH (ULRICH KIND/RENO REBSCHER), Im Fluss der Zeit (Trend-Records TCD 0200770, www.trend-records.com, 14 Tracks, 65:31, mit Texten). Der im Wessie-Folk rühmlich bekannte Reno Rebscher griff tief in die Saiten, trommelte (einige exquisite Instrumentalisten zusammen) und hat den Löwenanteil vertont; Ossie Kindt schreibt starke Texte. Aber gegen „Schiefer Baum“ und „Daumen nach oben“ fallen rührselig-weitschweifige Berlin-Liebeslieder etwas ab. - Es geht auch anders, flott, bildzeitungskurz und mit dem beliebten Hauptstadt-Gammelcharme bei WILLIAM WARNSTEDT & <DIE PASSANTEN<, Geschichten
aus dem Taxi & merkwürdige Liede
r (monstermusik mm 002, www.monstermusik.de, 17 Tracks, 50:41).
Fahrer Warnstedt hört nicht auf den Sprechfunk, sondern hat mitnotiert, was aus dem Fonds oder vom Beifahrersitz herüberschwallt. Nun liest er es wechselweise mit swingenden Kabarettchansons der am Taxistand wartenden Passanten vor; die letzteren werden auch nicht „schöner und jünger durch Kunstdünger“. - Ein weiteres Liebeslied an Berlin bringt der HaDi, Alles Liebe! (www.hadi-music.de, 12 Tracks, 50:54); das ist ein gewisser Hans Meyer zu Düttingsdorf, der mit ausgebildetem Flüsterstöhngesang auf Brels Spuren wandelt und von Heiko Kulenkampff am Klavier begleitet wird. Seiner Mutter ist HaDi so eingedenk wie seiner Ex, wegen der er sieben selbstkritische Bier auf einmal bestellt (werden die derweil nicht schal?), sein innerer Schweinehund redet ihn mit „Baby“ an. Auch die schwarze Ballade („Liebe unterm Fallbeil“) und die Hasenschartenparodie werden gepflegt. - Aus Bingen erreichen uns von PILO, Lyrische Weinlieder von der Antike bis heute (Studio Klangwelt/Rector-Records, ISBN-13: 978-3-933238-09-2, www.rector-records.de, 16 Tracks, 52:54, mit Texten). Es sind die Prostsongs der Önologiebewegung, mit drosselgass-kompatibler Akkordeon-Partykellerkeybord-Instrumentierung vorgetragen; gelegentlich verschleifende Stimmpirouetten mag man dem rebengedopten Pilo nachsehen. Sein Französisch ist gewöhnungsbedürftig, zum Wein wird auch mal „Bibermus“ serviert, der metrumquälenden „Ergo-Bibamus“-Vertonung zuliebe. Doch die hier zusammengetragene Lese hat erstaunliches Bukett, kitzelt in der Nase und ist blumig im Abgang. - Nicht sein Bier wäre wohl die CHARLY SCHRECKSCHUSS BAND, Ne Menge Leben (Schreckschuss Records/new music distribution 1315-1514-14, www.charly-schreckschuss.de, 12 Tracks, 43:56, mit Texten): Zum 30jährigen Bühnenjubiläum laden die Schreckschießer auf Cajun-Tour mit der „Geisterbahn“, zum R ’n’ B auf Plattdütsch, „in die Füherwehrkapell und in Handballverein“, wo Rainer Beutins erfahrungssatte Stimme klare, unmissverständlich „einfache“ Botschaften („es ist Zeit, Geschichte zu begreifen“) auftischt. - Ein Minimalist unter den Liedermachern, der dem Zeitgeist eins auswischen will, ist DIRK BOJER, 13 (www.dirkbojer.de, 10 Tracks, 31:29). Auf der Gitarre bringt er freilich nicht viel mehr zustande als kindisches Geklimper. Wie egal es ihm ist, ob er in „Radio Terror“ aufgelegt wird, lässt seine Parodie auf zirkuläres Moderatorengequatsche erahnen (über Phil Collins, Nena - „schön dass sie wieder da ist“ - Tina Turner und die „Aaachtziger“). Auch sonst hypnotisiert Bojer mit manischen Wiederholungen immergleicher Akkorde oder Liedzeilen und schafft so mitunter unheimliche, Hitchcocks Psycho-Motel beschwörende Atmosphäre („Altes Haus“). - „Jazz ist nicht tot, er riecht nur etwas seltsam“, beruhigen uns SALT PEANUTS, Wir tun’s - immer und überall (honeypie productions, www.saltpeanuts.org, 16 Tracks, 55:16, mit Textauswahl). Das vorwiegend (ein Bassbariton) weibliche Vokalquartett singt über Handymania-Beziehungen, Kochkunst (aber Achtung: das Verspeisen störrischer Liebesobjekte, die man zuvor mit Knollenblätterpilz vergiftet hat, kann der eigenen Gesundheit abträglich sein) und Wechsel-bäum-dich-auf-Beziehungen. Ein vergnüglicher, fingerschnips-motivierender Ausklang!

 

M. ARFMANN - Dub’l G

NILS OWE KRACK/JUREK LAMORSKI - Der Fluch der weißen Taube

FRANUI - Wo du nicht bist, dort ist das Glück

HANNES LÖSCHEL - Herz. Bruch.Stück

HADI - Alles Liebe

PILO - Lyrische Weinlieder von der Antike bis heute

<b> CHARLY SCHRECKSCHUSS BAND - Ne Menge Leben

DIRK BOJER - 13

SALT PEANUTS - Wir tun’s - immer und überall


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Deutschsprachiges Lied
im Folker! 5/2007