Von Willi Rodrian
„Einmal ganz woanders gewesen sein,
das haut, das haut, das haut ganz schön rein ...“
website | ||||
www.embryo.de (offizielle Website mit Bandtagebuch seit 1998, Terminen, Photos und vielen interessanten Links) www.spacelook.de (informative Embryo-Homepage von Klaus Unland mit der Bandgeschichte der ersten 30 Jahre und einer umfangreichen Discographie der gut 30 offiziellen Alben von Embryo sowie einer Liste der Bootlegs, Videos, Sampler und Einzelprojekte vieler aktueller und ehemaliger Bandmitglieder) | ||||
auswahldiscographie | ||||
| ||||
lautet eine zentrale Textstelle auf der legendären Doppel-LP Embryo’s Reise von 1979, welche die neunmonatige Reise der Musiker nach Afghanistan, Pakistan und Indien dokumentiert. Dieser Satz kann als wichtigste Erfahrung der beteiligten Musiker gelesen werden, die sich sehr nachhaltig ausgewirkt hat und bis heute noch spürbar ist. Was als Jazz-Rock-Underground-Projekt 1969 in München begann und anfangs noch sehr nach einem Produkt der sich damals entwickelnden Independent-Psychedelic-Szene klang, erfuhr als Band durch die ersten Reisen nach Nordafrika und Asien einen radikalen musikalischen Wandel. Embryo’s Reise wurde Ende der 70er Jahre für viele zu einer der Kultplatten und öffnete Ohren und Augen für das, was man heute unter dem Allerweltsbegriff „Weltmusik“ verkauft. Es ist also keine Übertreibung, Embryo als die deutsche Gruppe zu bezeichnen, die als eine der ersten Klänge aus aller Welt in ihre Musik integrierte sowie mit Musikern aus anderen Ländern und Kulturen zusammenarbeitete.
Redet man von Progressive, Independent oder Weltmusik in Deutschland, dann liest sich die Bandgeschichte von Embryo wie eines der spannendsten und buntesten Kapitel der deutschen Musikgeschichte der vergangenen Jahrzehnte. Allen Moden zum Trotz ist Embryo immer noch am Leben und bleibt der Idee der absoluten und unverzichtbaren musikalischen Freiheit ebenso treu wie den Lebens- und Gesellschaftsidealen seiner Gründer und Mitmusiker. Es begleitet sie das liebevolle Etikett „Althippies“, dem sie auch gerne und oft gerecht werden mit ihrer bewussten Nichtbeachtung etablierter Mechanismen der marktorientierten Musikindustrie. Was jedoch oberflächlich betrachtet als Alptraum eines jeden Managers erscheinen mag und die Formation Embryo völlig unkontrollierbar erscheinen lässt, täuscht über die faktische Kontinuität hinweg, mit der Bandgründer Christian Burchard dieses Tourprojekt in einer scheinbaren Endlosschleife seit nun bald 40 Jahren am Leben erhält.
Christian Burchard ist die große Integrationsfigur der Band. Christian Burchard ist Embryo und seine Lebensmaxime ist eindeutig: Die Bühne ist das Leben, und das Leben findet auf der Bühne statt - so oft und so lange wie irgend möglich. Was nicht stattfindet, das ist die Unterordnung des eigenen Schaffens unter aktuelle Trends. Ein Prinzip, dass eigentlich seit der Gründung radikal durchgehalten wird.
Christian Burchard: „Schlüsselerlebnis für die Weltmusik war die Reise nach Nordafrika 1971. Wir haben ja auch angepeilt, dass wir in die Länder fahren, um dort Musiker zu treffen. [...] Es begann eigentlich alles mit den Medien. Da war ein Artikel über uns im Spiegel, Anfang 1971. Daraufhin hat sich ein engagierter Leiter vom Goethe-Institut in Casablanca mit uns in Verbindung gesetzt, und wir haben dann gleich gesagt, wenn wir eine Tournee machen, dann wollen wir auf keinen Fall mit dem Flieger dorthin, sondern mit dem Auto, mit all den Instrumenten. Wir wollen die Musikerszene vor Ort kennen lernen.
Das hat dann auch funktioniert. Wir haben in Marokko, Algerien und Tunesien gespielt. Für uns war es der absolute Kick, eben, dass wir wieder völlig am Anfang standen. Wir waren mit dem anderen Tonsystem konfrontiert, das die orientalische Musik hat. Also die Zwischentöne, die wir auf unseren Instrumenten nicht haben. Dann die verschachtelte Rhythmik, die typisch ist für die orientalische Musik. Nach dieser Tournee haben wir erst einmal komplett umgedacht. Der Roman [Bunka; Anm. d. Verf.] hat beispielsweise die Saz genommen und dann die Oud. Das war ungefähr zehn Jahre, bevor diese Instrumente bei uns überhaupt populär wurden. Ich habe mir mein Xylophon mit den arabischen Vierteltönen selber gebaut. [...] Das war ein Weg ins vollkommen Unbekannte, weil es ja keine Beispiele in dieser Richtung gab. Es gab kaum Begegnungen zwischen europäischer und orientalischer Musik - außer vielleicht bei Yusef Lateef, der sich mit außereuropäischer Musik bereits in den 50er Jahren beschäftigt hat. Allerdings blieb er mehr im Jazzkontext. Wir haben dann angefangen - wenn es möglich war -, Musiker aus den Ländern, in die wir gereist sind, einzuladen.“
Auf Anregung Roman Bunkas, der vorher bereits Begegnungen mit indischen Musikern wie Trilok Gurtu hatte, war es vor allem die indische Musik mit all ihren Facetten, die im Mittelpunkt des Interesses der Musiker stand. Da die Reise mindestens ein dreiviertel Jahr dauern sollte, musste sie entsprechend vorbereitet sein. Es mussten Auftritte organisiert werden, ein Filmteam sollte den Trip dokumentieren, an dem ca. 30 Personen teilnahmen. Planung und Organisation brauchten letztendlich gut drei Jahre.
Burchard: „Die Konzerte mussten vorbereitet sein, damit wir die Gelegenheit hatten, etwas zu verdienen. Die Reise musste ja finanziert werden. Das lief über alle möglichen Kontakte. Da war zum Beispiel Peter Michael Hamel von der Gruppe Between. Der saß in Bombay im Goethe-Institut als ihm der Leiter des Instituts sagte: ‚Ich habe hier ein Angebot von der Gruppe Embryo ...‘ Das waren auch Glücksfälle. Diese Indienreise war praktisch unser großer Schritt in Richtung Weltmusik. Weltmusik ist ja sowieso eine Bezeichnung, die man vorsichtig gebrauchen muss. Das ist ein Begriff, der eigentlich ein bisschen größenwahnsinnig ist in gewisser Beziehung. Die Welt ist so vielfältig, das sind Galaxien. Kein Mensch kann das wirklich erfassen und verarbeiten.“
Auch Dieter Serfas (61), Drummer der ersten Stunde bei Embryo und Ex-Mitglied von Amon Düül, erinnert sich intensiv an die Tatsache, dass Musik als ein wesentliches Element der Kommunikation erfahren wurde. Ein Phänomen, das langsam verschwindet.
Dieter Serfas: „Diese nigerianische Afrika, so wie wir das damals dort erlebt haben, das geht verloren. Wo die Sprache der Talking Drum noch verstanden wird als Kommunikation, als Zwiesprache mit den Gottheiten, das verschwindet jetzt immer mehr.“
Allerdings mussten die Bandmitglieder mitunter schmerzhaft die Erfahrung machen, dass die Zeit damals, Anfang der 80er Jahre, diese Verbindung europäischer und außereuropäischer Musik noch nicht mit offenen Armen aufnahm.
Burchard: „Nach der Reise war das erst mal keine Erfolgsstory. Wir haben die Musik hier live vorgestellt. Da sind dann Leute zur Kasse gegangen, haben ihr Geld zurückverlangt und gesagt: ‚Das ist ja nicht Embryo.‘ Aber wir haben das konsequent weitergemacht, und wir hatten das Glück, dass wir das geschafft haben, die wunderbaren Gruppen, die wir beispielsweise in Indien getroffen hatten - wie das Karnataka College of Percussion -, nach Deutschland zu holen und Tourneen mit ihnen zu unternehmen. Und dann konnten die Leute das auch live hören, das war eine wunderbare Sache. Mit über 20 Personen sind wir durch die ganze Republik gereist.“
In dem Film Vagabund Karawane, der Reisedokumentation, die 1981 vom ZDF ausgestrahlt wurde, gibt es eine markante Szene, in der die Musiker der deutschen Band Embryo in Islamabad auf einen Wanderzirkus treffen und es zu gemeinsamen Auftritten mit dem Zirkusorchester kommt.
Burchard: „Das mit dem Zirkus, das kam ganz spontan, das war überhaupt nicht geplant. Wir haben uns mit den Zirkusleuten getroffen, wir haben uns gut verstanden. Die haben gesagt: ‚Ihr seid eine Band, dann spielt mit uns ...‘ Und das hat funktioniert. Es war ein Austausch da, und das Publikum war total begeistert.“
Genau diese Begegnung hat erst vor Kurzem der Autor Stefan König in seinem Buch Die Nanga-Notizen, einem Bergsteigerroman, literarisch verewigt. Aus diesem stammt die folgende Passage (mit freundlicher Genehmigung des Autors):
„‚Was das Außergewöhnliche heute Abend ist‘, erläuterte er, ‚ist die
Musik. Sie wird normalerweise von einheimischen Musikern live zu den
Zirkusnummern gespielt. Heute spielen sie zusammen mit Musikern aus
Deutschland. Einer Gruppe, die alle paar Jahre durch Pakistan fährt
und mit den Musikern aus der Region zusammenspielt. Ich dachte mir,
das könnte interessant sein für Sie.‘
Die fünf einheimischen Künstler waren unschwer von den Deutschen zu
unterscheiden. Sie hatten graue und braune Straßenanzüge an, ihre
Haare waren kurz, und jeder der Männer trug einen Schnurrbart. Sie
spielten Saiteninstrumente, die Sitars ähnelten, und verschiedene
Handtrommeln. Bei den Deutschen handelte es sich um Althippies. Drei
Männer mit langen Haaren und einer Kleidung, bei der sich europäische
mit asiatischen und orientalischen Elementen ziemlich willkürlich
mischten. Einer spielte E-Gitarre, einer saß hinter einem Schlagzeug,
und der Mann am Vibrafon war offensichtlich tonangebend. Auf den
ersten Blick eine überaus sonderbare Zusammenstellung also: Hier
pakistanische Volksmusikanten, da übrig gebliebene Rockstars aus den
frühen Siebzigern. Da war so genannte Weltmusik zu befürchten:
traditionelle Volksmusik als Marzipan auf der pappigen
Popcremetorte.“
(Aus: Stefan König, Die Nanga-Notizen, Zürich: AS-Verlag, 2006)
Heute allerdings beschränken sich die Reisen - neben den häufigen Tourneen im europäischen Ausland in Italien, Spanien, bis hin nach Polen - aus pragmatischen Gründen eher auf den Mittelmeerraum.
Burchard: „In letzter Zeit fahren wir vor allem nach Nordafrika, nach Marokko und so. Auch weil es leicht zu erreichen ist. Man muss nicht fliegen. Wir haben ja ein großes und spezielles Instrumentarium. Die Xylophone zum Beispiel. [...] Zurzeit sind es aber weniger Kooperationen mit Musikern aus Asien oder Afrika. Momentan gibt es dieses Projekt mit den Alphörnern [mit dem Münchner Alphorn-Kollektiv; Anm. d. Verf.]. Da unsere Musik ja viel von der Improvisation lebt, kann man das nicht so planen, das muss man machen. Aber es gibt zwischendurch immer wieder entsprechende Projekte, wie beispielsweise das im Dezember 2006 mit Roman Bunka und dem argentinischen Gitarristen Luis Borda.“
Mitunter nimmt das dann auch gesellschaftspolitische Formen an, wie beispielsweise bei dem China-Solidaritätskonzert in München im Jahr 1995.
Burchard: „Zum Jahrestag des Massakers auf dem Tiananmen-Platz haben wir ein Konzert gemacht, eine Benefizveranstaltung für die Opfer. Eine Veranstalterin hat uns angerufen und gesagt: ‚Embryo, ihr seid doch immer offen für so etwas. Ich habe jetzt hier zehn oder fünfzehn chinesische Musiker, und vielleicht könnt ihr was zusammen machen - hier in München.‘ Das waren alles Exil-Chinesen, die auf das Massaker aufmerksam machen wollten. Außerdem mit dabei waren Rabih Abou-Khalil, Titus Waldenfels und Lothar Stahl. Die Veranstaltung fand im Gasteig statt, und mit einigen der chinesischen Musiker haben wir dann wirklich spontan nach einer kurzen Probe am Nachmittag live gespielt. Danach haben wir ein Jahr lang immer wieder mit ihnen gespielt, auch bei Konzerten in ganz Deutschland.“
Ein weiterer Wegbegleiter und Zeitzeuge ist der Münchner Gitarrist und Oudspieler Roman Bunka (56), der heute nur noch sporadisch als Gastmusiker bei Embryo spielt. In der gemeinsamen Zeit mit der Band erhielt er jedoch wesentliche Impulse für seine spätere musikalische Karriere.
Roman Bunka: „Als ich zu Embryo kam, da war Christian fleißig am Schlagzeug. Das war an sich sein Hauptinstrument. Die Drummer waren damals bei den Bands eigentlich immer die wichtigsten. Er hatte schon ethnische Hörerfahrungen. Er hatte Pygmäenmusik gehört, daran erinnere ich mich noch. Und Afrika war natürlich sehr wichtig, auch durch den Jazz, der ja sehr präsent war. Das war natürlich bedingt durch sein langes Zusammenspiel mit Mal Waldron, dem berühmten Jazzpianisten.
Der erste Einfluss waren diverse Reisen nach Afrika über das Goethe-Institut und dann natürlich die Reise nach Indien. Da war man dann schon voller Bewunderung oder Verwunderung, was es denn alles so gibt auf der Welt, was für tolle Musik, und wie klein doch unser Horizont in Deutschland ist. Ich war vorher schon einmal in Indien gewesen [1974; Anm. d. Verf.] und habe dort Trilok Gurtu getroffen. Ich wollte die Veena lernen und habe mit Trilok dort Konzerte gespielt, mit Gitarre und Oud. Die arabische Musik schlummerte noch so ein bisschen im Hintergrund. Im Vordergrund standen erst einmal die indische Musik und vor allem die Musik in der Türkei, die uns ja sehr nah ist. Das war dann eher die Rhythmik, die interessant war. Dass man begriff, in der türkischen Volksmusik gibt es sehr viel ungerade Rhythmen, und das war natürlich immer wieder ein Fundament für Christian, weil er diese ungeraden Rhythmen liebt, all diese 9/8, 11/8, 13/8 - diese unglaublich komplexen Strukturen mussten erst einmal erforscht werden.
Wichtig waren die Konzerte mit Embryo in Marokko, später. Da hat man natürlich viel arabische Musik gehört, auch in den Medien vor Ort, und da kam dann ein großes Interesse auf an der ganzen arabischen Musikkultur.“
Wie für viele andere ehemalige und gegenwärtige Musikerkollegen bei Embryo war auch für Roman Bunka die persönliche Begegnung mit Christian Burchard von großer Bedeutung.
Bunka: „Menschen gehen verschiedene Wege, und Christian spielt sehr viel, auch mit vielen jungen Musikern, und das war schon immer seine große Stärke, dieser pädagogische Aspekt. Christian ist wie eine fahrende Musikschule. Er ist ein guter Pädagoge. Das sehe ich auch an seiner Tochter, die jetzt bei Embryo mitspielt. Das haben nur wenige Musiker geschafft mit ihren eigenen Kids. Das ist ein großes Talent von ihm. Ich weiß, dass Christian auch für mich in den ersten Jahren ungeheuer wichtig war. Ich kam als Gitarrist mehr vom Rock, vom Blues. Christian hat uns jungen Musikern damals die Jazzmusik nahegebracht.“
Ähnliche Erfahrungen schilderte mir auch Georg Janker (38), eigentlich E-Techniker von Beruf, der jedoch gerne und sporadisch den Kontrabass bei Embryo mitspielt, wann immer sich Auftritte mit dem Beruf vereinbaren lassen.
Georg Janker: „Diese Idee, etwas Neues zu erfinden aus dem Spontanen heraus, das ist das spannende bei Embryo. Genau dieser Aspekt macht es für mich interessant, bei Embryo zu musizieren: Du kannst diese Musik als Bassist eigentlich supergut würzen, viel besser als beim Jazz. Beim Jazz bist du als Bassist immer nur der Service für die Leute im Vordergrund, beispielsweise die Bläser - bei Embryo bin ich zwar auch der Service, aber da habe ich zum ersten Mal das Gefühl, dass es Sinn macht, über eine halbe Stunde immer das Gleiche zu spielen. Das ist für mich ein sehr wichtiger Aspekt, der wieder mit Mal Waldron zu tun hat: dieser Sessionaspekt. Auszuprobieren, was man eigentlich mit einem Stück machen kann. Jedes Mal, wenn man sich trifft, kommt dann wieder was Neues raus. Dieser Workshopgedanke, den es eigentlich gar nicht mehr gibt, außer eben im Fall von Embryo, das ist ja eine ganz alte Tradition des Jazz. Die endlosen Sessions.
Christian ist so eine Art Übervater, der alles ganz gut unter Kontrolle hat. Er nimmt auch junge, nicht perfekte Musiker mit auf, bildet sie aus, die können dann mitspielen, egal wie gut sie sind. Und das bewundere ich, wie er das zusammenbringt, zu musizieren mit absoluten Profis, aber auch mit totalen Neulingen. Das ist wie eine Schule. Die spuckt immer irgendwelche Musiker aus und immer wieder kommen neue nach.“
Ein anderes, wenn nicht das wichtigste musikalische Prinzip von Embryo ist die Improvisation. Es wird keine Reproduzierbarkeit angestrebt wird, wie sie derzeit im digitalen Zeitalter üblich geworden ist und wo die gesamte technische Machbarkeitspalette darauf abzielt, jedem Konzertbesucher an jedem Ort jederzeit dasselbe perfekte Konzert zu verkaufen. Weitab solch technokratischer Ideale bewegen sich die Musiker und die Musik von Embryo. Jeder Auftritt ist anders, einzigartig. Die Bühne wird gelebt und erlebt, es wird improvisiert, und manische Sammler horten Aufnahmen von jedem Konzert seit Jahrzehnten.
Die Musik von Embryo ist im Fluss, in ewigem Wandel - wie das Leben selbst. Und so geht es bei den Konzerten der Gruppe nicht darum, eine großartige Show abzuliefern. Der Weg ist das Ziel, es geht um Annäherung, Kommunikation und Entwicklung. Dieser Weg ist ebenso vielfältig und wechselhaft wie die Besetzung der Gruppe. Die wichtigste Konstante dabei ist Christian Burchard. Seit ca. acht Jahren ist nun auch seine Tochter Marja Burchard (21) mit von der Partie, die auf Embryos Bühnen in aller Welt, von Europa über Afrika bis nach Japan, aufgewachsen ist. Auch für sie stellt Embryo eine wesentliche Lebenserfahrung dar.
Marja Burchard: „Embryo ist für mich auf jeden Fall Heimat. Mit 14 bin ich zum ersten Mal mitgetourt und habe ein bisschen mitgespielt. Es war total einfach, in die Band hineinzuwachsen. Das war meine Jugend. Das war cool. Embryo ist für mich Heimat, eine Sprache und eine Schule. Und eine Bereicherung. Die Möglichkeit, viele Sachen zu sehen und zu erleben. Ich fühle mich von meinem Vater überhaupt nicht bevormundet. Ich bin total frei. Die Verbindung zu ihm ist total intensiv. Aber wir reden nicht viel. Der sieht immer, was abgeht. Er sagt nicht, du musst jetzt das machen oder das. Er lässt mir die Freiheit, zu spielen, was ich will. Mein Vater ist Embryo. Er ist ja auch meistens vorne, er hat die Musiker in der Hand. Er kann aufbauen, wen er will, und er kann zerstören. Er kann jeden Menschen gut umspielen, egal wie gut oder schlecht der als Musiker ist. Er kann ihn so gut umspielen, dass es einfach gut klingt.
Überhaupt die vielen Begegnungen und Plätze, die man sieht. Leute, die Embryo mögen, sind meistens total offene Menschen, sonst kannst du das auch nicht ertragen. Ich spiele ja in mehreren Bands mit, aber Embryo gibt mir in musikalischer Hinsicht am meisten. Da hat man mehr Entfaltungsmöglichkeiten. Embryo ist auf jeden Fall Bewegung, immer etwas anderes, immer sind andere Musiker dabei. Eine total anarchische Band. Es ist erstaunlich, dass sie überhaupt existieren kann. Das ist ja total unkommerziell und gegen den Mainstream. Embryo ist Entwicklung, Schule, und viele, viele Einflüsse. Christian ist die treibende Kraft, derjenige, der durchgehalten hat.“
Geld spielt bei Embryo allem Anschein nach keine große Rolle. Geld sichert mehr oder weniger das Leben, hat aber keinerlei Einfluss auf musikalischen Ausdruck oder musikalische Entwicklung. Das erscheint auf den ersten Blick völlig unprofessionell, ermöglicht in dieser Hinsicht jedoch den größten denkbaren Professionalismus und eine enorme Unabhängigkeit.
Christian Burchard, der sich immer sehr bescheiden und unscheinbar gibt, auf der Bühne wie im Leben, geht mit unbeirrbarer Beharrlichkeit und beispielhafter musikalischer Konsequenz seinen Weg und hilft zugleich vielen anderen, ihren Weg zu finden. Das allein verdient schon Respekt.
Embryo ist seit 38 Jahren ständig auf Tour, und zu spielen, ist das Lebenselixier schlechthin. Die Bühne stellt sich als permanenter Workshop dar, als Übungs- und Begegnungsraum. Denn Begegnung ist eines der wichtigsten Elemente in der Musik von Embryo. Deshalb ist es auch kaum möglich, die Band in irgendeine Schublade zu stecken. In diesem sehr speziellen Embryo-Meltingpot verschmilzt alles miteinander: Jazz, Rock, Musik aus aller Welt, Persönlichkeiten und Instrumente. Wie hat es die Münchner Abendzeitung einmal so schön formuliert: „Nach den Gesetzen des Musikmarktes dürfte es eine Band wie Embryo eigentlich gar nicht (mehr) geben.“ Aber allen ökonomischen Gesetzen zum Trotz, existiert Embryo auch heute noch, und es bleibt zu hoffen, dass uns diese absolute Ausnahmeband noch lange erhalten bleibt.
Diesen Sommer noch steht die Veröffentlichung einer neuen Embryo-CD an, unter dem programmatischen Titel Freedom In Music (beim Label Schneeball im Vertrieb von Indigo). Sie wird kollektive Bandimprovisationen in den unterschiedlichsten Besetzungen in Aufnahmen von 2003 bis 2007 präsentieren. Mit dabei unter anderem Dieter Serfas, Lothar Stahl, Jens Pollheide, Mik Quantius, Roman Bunka, Georg Janker, Steffen Müller, Marja und Christian Burchard und Gäste aus aller Welt wie Larry Porter, Fakhraddin Gafarov, Alexander Alexandrov sowie das Münchner Alphorn-Kollektiv.
2009 feiert Embryo 40-jähriges Jubiläum, und es scheint an der Zeit, endlich die einzigartige Geschichte dieser Gruppe zu schreiben, als alternatives Beispiel dafür, wie man mit der grenzenlosen und nicht erfassbaren Vielfalt dieser unserer Welt umgehen kann, jenseits von Mainstream und industrieller Verwertbarkeit.
Eine Liste der exklusiv auf der Folker!-Webseite erschienenen Artikel findet ihr im Archiv.
|
|
|
|
Interesse? Dann brauchst Du die
Zeitschrift! |
Embryo – |