„Wir haben schon immer gern und viel und laut gesungen. Und wenn man zu zweit ist von Geburt (eineiige Zwillinge), dann geht das fast von allein. Weil wir nach dem letzten Krieg einige Jahre auf der unstersten Stufe des Produktionsprozesses schufteten, haben wir die Ausbeutung direkt erfahren und uns Gedanken darüber gemacht, wie man das abschaffen kann. Das hatten aber Karl Marx und seine Leute schon viel besser getan und wir machten uns ihre Gedanken zu Eigen. Wir fanden auch die Lieder, die das ausdrückten. Und wir haben sie schon gesungen, als man dafür fast nur Gelächter übrig hatte.“
Besser kann man das, wofür die Brüder Kröher stehen, gar nicht formulieren, wie es hier Oss Kröher 1972 in Sing In tat - dem damals von Heinz Mees herausgegebenen Magazin für Kabarett, Song und Chanson. Obwohl die beiden 1927 in Pirmasens geborenen Volkssänger nicht viele eigene Texte und Melodien geschrieben haben, also nicht der Tätigkeit nachgehen, die das Genre des Liedermachers wesentlich ausmacht, haben sie die deutsche Liedszene mit ihrer Arbeit entscheidend geprägt. „Hein & Oss haben sich“, wie Thomas Rothschild den beiden Musikern bescheinigt, „um das wahrhaft volkstümliche, das demokratische Lied bemüht. Sie sind sich treu geblieben.“ Und das, „lange bevor man von einer neuen Volksliedbewegung sprach“. Gemeinsam mit Peter Rohland spielten Hein und Oss Kröher eine wesentliche Rolle bei der Gründung der Festivals auf der Burg Waldeck. 1969 veröffentlichten sie unter dem Titel Rotgraue Raben - Vom Volkslied zum Folksong das erste wichtige Buch über die neue deutsche Liedbewegung in den 60er Jahren. Darin stellten sie u. a. in Interviews die zum damaligen Zeitpunkt wichtigsten Liedermacher vor, wie Hanns Dieter Hüsch, Walter Moßmann, Dieter Süverkrüp und Franz Josef Degenhardt. Letzterer hielt die Laudatio zum 75. Geburtstag der Kröher-Brüder am 17. September 2002 - im Rahmen eines großen Festes im Mainzer unterhaus. Mit dem Abdruck von Degenhardts damaliger Rede gratuliert der Folker! Hein und Oss Kröher zum „160.“ Geburtstag
wenn man als Gratulierender beinahe so alt ist wie die, denen man gratuliert, dann erübrigt sich sentimentales Getue. Wir haben allemal weniger vor uns als hinter uns. Und so brauchen wir uns nicht gegenseitig lobzureden. Wir können sagen, wie es ist. Zum Beispiel, ob wir uns gleichgültig sind, uns gar hassen oder mögen und sogar lieben. Und Letztes tun wir uns nun mal, meistens jedenfalls, der Hein, der Oss und ich.
Zuerst habe ich nur einen von ihnen kennen gelernt: Oss - in einer für uns Fahrende typischen Szene: nachts am Lagerfeuer. Es war beim ersten Waldeck-Festival. Irgendwann sagte er: „Es gibt noch einen, der genauso aussieht wie ich. Er ist mein Zwillingsbruder. Du wirst ihn bald kennen lernen.“ Das war bald darauf bei einem Festival in Berlin. Als ich meine Schmuddelkinder-Hymne sang, auf der Bühne, traten beide hinter mich, und sie spielten wie mein Schmuddelkinder-Freund Engelbert die Melodie des Refrains mit - auf in Butterbrotpapier gewickelten Haarkämmen. „Ich bin der Zwillingsbruder“, sagte Hein nach dem Lied. Das war der Beginn einer, nun, ich will nicht sagen wunderbaren (denn was heißt das schon?), aber einer festen Freundschaft zwischen uns dreien durch all die Jahre. So fest jedenfalls, dass sie auch hier und da Kniest, Streit, divergierenden Auffassungen über Gott und die Welt und wie das alles zusammenhängt standhielt.
In politicis etwa, wobei unsereiner als Marxist ja leicht unwillig wird, wenn er mit „Laien“ spricht. Doch hochnäsig bin ich hoffentlich nie gewesen, wie der Hein nie hochnäsig war und ist, wenn ich sein enzyklopädisches Wissen anzapfe, im naturwissenschaftlichen Bereich vor allem, wo er im Theoretischen wie im Praktischen weit mehr kann als der Normalgebildete und Studierte. Oder ebenfalls nicht der Oss, wenn ich von ihm wissen wollte, wann und wie ein altes Lied - sagen wir, aus dem 16. Jahrhundert - entstanden ist. Der Hein übrigens ist auch ein Könner in technicis, vor allem, was Automobile angeht.
...weiter im Folker! 5/2007
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